# taz.de -- Antisemitismus im Kulturbetrieb: Kunst und Judenhass
       
       > Jüdinnen und Juden im deutschen Kulturbetrieb beklagen die Wiederkehr
       > antisemitischer Stereotype. Das war nun Thema einer Tagung.
       
 (IMG) Bild: Banner des Künstlerkollektivs Taring Padi: verhüllt wurden antisemitische Abbildungen
       
       Der Anmeldebogen für ihren ersten Job nach dem Studium machte Aviva
       stutzig. Sie sollte ihr religiöses Bekenntnis angeben. In der Rubrik waren
       alle möglichen Religionszugehörigkeiten aufgeführt. Ihre nicht. Aviva,
       deren richtiger Namen auf ihren Wunsch hin hier nicht genannt wird, ist
       Jüdin, und sie steht dazu, ebenso wie zu ihrer prinzipiellen Unterstützung
       für den Staat Israel.
       
       Aviva hatte Modedesign studiert, ihr Wunsch war es, bei einer großen
       deutschen Bühne zu arbeiten. Das durfte sie nun. Aber diese Bühne hatte
       einen Aufruf unterstützt, [1][„Plädoyer der Initiative GG 5.3
       Weltoffenheit“] genannt. Dieser wendet sich gegen einen
       Bundestagsbeschluss, nach dem die als antisemitisch eingestufte BDS-Kampage
       zum Boykott Israels keine öffentliche Unterstützung erhalten solle. GG 5.3
       sieht darin den Versuch, „wichtige Stimmen aus dem kritischen Dialog“
       auszugrenzen.
       
       Das findet Aviva nicht. Das empfinden auch viele andere deutsche Jüdinnen
       und Juden nicht so, auch der Zentralrat der Juden. Der beklagt, dass die
       Initiative suggeriere, hier werde ein kritischer Dialog unterdrückt. Wo es
       doch genau umgekehrt sei.
       
       Aviva fühlte sich unwohl bei der Arbeit. Sie soll Künstlern eine Bühne
       bereiten, die ihrerseits eine Nähe zu BDS demonstriert hatten. Sie soll ein
       Video verbreiten, dessen Protagonist Demonstrationen gegen Israel
       unterstützt hat. Antisemitismus dagegen sei nie ein Thema bei diesem
       Theater gewesen, sagt sie.
       
       ## Tagungstitel: „Von der Kunstfreiheit gedeckt?“
       
       Nach einem halben Jahr reichte Aviva ihre Kündigung ein. Sie sagt:
       „Aufgrund meines Jüdischseins war ich dazu gezwungen, meinen Job
       aufzugeben.“ Am Ende sei sie noch inquisitorisch nach ihrer Meinung zur
       israelischen Besatzung des Westjordanlands befragt worden.
       
       Die 30-jährige Aviva erzählt ihre Geschichte auf einem Podium in der
       [2][Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz]. „Von der Kunstfreiheit
       gedeckt?“ lautet der Titel der Tagung, und es geht dabei um Antisemitismus
       in Kunst und Kultur. Zusammengekommen sind hier vor allem diejenigen, die
       von der Hetze in ihrem Innersten betroffen sind: Jüdinnen und Juden aus
       Deutschlands Kulturlandschaft.
       
       Es geht um den [3][Antisemitismusskandal auf der documenta], natürlich. Um
       die dort sichtbare „organisierte Verantwortlichkeit, finanziert durch
       deutsche Steuergelder“ (Zentralratspräsident Josef Schuster), bei der
       nichts und niemand Konsequenzen daraus ziehen wollte, dass Judenhass in
       brutalster Form öffentlich gezeigt wurde, und mit einem Video über die
       japanische RAF ein Aufruf zum Terror noch dazu.
       
       Aber Thema ist auch die Identitätsdebatte, wo Juden oft den privilegierten
       Weißen zugerechnet werden, im Gegensatz zu den Unterdrückten im Globalen
       Süden, wie Karin Stögner von der Universität Passau beklagt.
       
       ## Zionismus wird zum kolonialen Projekt banalisiert
       
       Der Zionismus wird in dieser Erzählung zum kolonialen Projekt banalisiert,
       Antisemitismus zur Unterkategorie von Rassismus, Israel in der Folge zum
       kolonialen Apartheidprojekt. Aus all dem resultiere der Wunsch nach
       Entmachtung der vorgeblich so einflussreichen Juden, gepaart mit dem
       Desinteresse an ihrem Wissen, sagt Marina Chernivsky. Und so setzten sich
       antisemitische Stereotype fest.
       
       Es sind Kategorien, in die die Juden nicht hineinpassen. Was nicht passt,
       wird passend gemacht. Noch einmal Stögner: „Identität, Identität hier,
       Identität dort. Juden sollen keine Identität haben.“
       
       Was der Israelboykott des BDS konkret bedeutet, davon wusste
       [4][Kulturmanagerin Katja Lucker] ein Lied zu singen. Ihr Musicboard
       Berlin, das internationale Künstler aus aller Welt fördert, wird seit
       Langem boykottiert, weil sie sich eben nicht davon abhalten lässt, auch
       israelische Künstler einzuladen.
       
       Die Folge: „Arabische Künstler sagen alle ab.“ Ein ägyptischer Künstler
       werde derzeit bedroht, „weil er bei uns war“. Sie erhalte häufiger den
       wohlgemeinten Ratschlag: „Hör doch mal auf mit Israel, dann hast du keinen
       Stress mehr.“ Lucker macht nicht den Eindruck, als wolle sie dem folgen.
       
       ## Hilfe durch deutsches Förderrecht
       
       Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats, findet auf der Tagung
       deutliche Worte. Kunst und Meinungsfreiheit unter Ausschluss des
       Antisemitismus seien selbstverständlich „keine Gegensätze“. Israelische
       Künstler würden bei der documenta aber offenbar seit Jahren „systematisch
       ausgegrenzt“, beklagt er, und betont: „So kann es nicht weitergehen.“
       
       Wie aber soll es dann weitergehen? Der Regisseur Benno Plassmann vom
       Institut für Neue Soziale Plastik hat da eine Idee: die
       Verwendungsnachweisprüfung. Da, so heißt es im besten Beamtendeutsch: „Der
       Verwendungsnachweis belegt, dass die gezahlten Mittel auch für den
       beantragten Zweck eingesetzt wurden.“
       
       Wenn schon niemand die Verantwortung für das Zurschaustellen von Judenhass
       in der Kunst übernehmen wolle, dann könne doch das deutsche Förderrecht
       abhelfen, sagt Plassmann. Wenn statt für ein Kunstwerk öffentliche Gelder
       für eine Förderung von Terrorismus ausgeben würden, dann hätten sich die
       Zuständigen dafür zu verantworten, verlangt er. Und auch Schuster sagt,
       dass man genau prüfen müsse, „was mit dem Geld passiert ist“.
       
       Das dies nicht ausreicht, um den wieder erwachenden Judenhass in Kunst und
       Kultur zu bekämpfen, wissen an diesem Tag alle Beteiligten. Deshalb ist
       derzeit ein Projekt in Vorbereitung, mit dem Antisemitismus in der Kunst
       thematisiert werden soll. „Reclaim Kunstfreiheit“ lautet der Titel. Aviva
       arbeitet dort mit.
       
       15 May 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Kulturinstitute-gegen-Anti-BDS-Beschluss/!5730501
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 (DIR) [3] /Symposium-zur-documenta15/!5910506
 (DIR) [4] /Start-des-Festivals-Pop-Kultur-Berlin/!5704224
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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