# taz.de -- Streit um Elterngeld: Reiche Kinder erwünscht
       
       > Das Elterngeld war schon immer ungerecht: Während die Armut von
       > Alleinerziehenden wuchs, ließen sich andere vom Staat ihre Traumreise
       > bezahlen.
       
 (IMG) Bild: Der Mittelschichtklassiker: Urlaub machen, wenn Elterngeld gezahlt wird
       
       Die Diskussion übers Elterngeld diese Woche war super. Kaum hatte
       Familienministerin Lisa Paus – vom Finanzminister unter Kürzungsdruck
       gesetzt – vorgeschlagen, das Elterngeld für Sehrgutverdiener abzuschaffen,
       hagelte es Stellungnahmen, Interviews, Kommentare, Zahlen, Daten. Es war
       ein Fest der allgemeinen Faktenfindung und Urteilsbildung.
       
       Wenn schon gespart werden müsse, seien die obersten Einkommensprozente
       dafür [1][nicht die schlechteste Adresse], meinten viele. [2][Andere: Was
       für eine Idee], bei den Einkommen über 150.000 Euro zu kürzen! Genau dort
       werde doch der beabsichtigte Effekt gefährdet: Papa kümmert sich auch ums
       Kind! Und überhaupt: das Signal!
       
       Mein Verhältnis zum Elterngeld ist leider dadurch belastet, dass ich seine
       Einführung ab 2005 relativ aufmerksam begleitet habe. Das war, bevor
       Twitter im Minutentakt neue Details zu Gesetzesvorschlägen ausspuckte und
       es Statistiken noch nicht so fix aus dem Netz zu fischen gab – im Vergleich
       zu heute waren Diskussionsprozesse geradezu bedächtig. Von Argument zu
       Gegenargument, das dauerte schon mal einen Monat oder zwei.
       
       Doch wartete ich damals vergeblich auf die empörten Familienpolitikerinnen,
       die endlich auf den ganz entscheidenden Haken an der Sache hinwiesen: Weil
       für das Elterngeld das Erziehungsgeld abgeschafft wurde, wurden die
       Leistungen für arme Familien einfach mal glatt halbiert. Sie bekamen bis
       dahin 300 Euro pro Monat für zwei Jahre, daraus wurde nun ein Jahr.
       Irgendwoher musste das Geld ja kommen, um die neue Lohnersatzleistung bis
       zu 1.800 Euro zu zahlen. Die Kurzfassung dieses Vorgangs lautet
       „Umverteilung von unten nach oben“.
       
       ## Mehr Kinder von Gutverdienenden erwünscht
       
       Das Familienministerium unter Ursula von der Leyen rückte auch irgendwann
       die Zahlen dazu heraus, wer mit dem Elterngeld in die Röhre guckte:
       „155.000 Familien mit einem Einkommen unter 30.000 Euro netto erhalten
       weniger Elterngeld, als ihnen bisher für zwei Jahre Erziehungsgeld zustehen
       würde“, [3][schrieb mir die Pressestelle im Mai 2006]. Das war nicht die
       endgültige Größe. Unter anderem ging das mit den Hartz-IV-BezieherInnen
       auch noch alles durcheinander. Das Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung zeigte aber in den Folgejahren auf, wie die Armut
       unter alleinerziehenden Müttern zunahm, und verwies zur Erklärung trocken
       unter anderem aufs Elterngeld.
       
       Doch so ist das, wenn viele profitieren, die artikulationsstark sind, und
       hier sind JournalistInnen ausdrücklich mitgemeint: Die Idee einer
       staatlichen Kompensation des Babyjahres fanden einfach zu viele viel zu
       gut, um auf die Details zu schauen. Endlich interessiert sich der Staat
       genug für Familien, um den Verdienstausfall zu zahlen! Die These, dass
       gerade Gutausgebildete und Gutverdienende einen Anreiz bräuchten, um mehr
       Kinder zu kriegen – es seien ja die Kinder, von denen man mehr wollte
       (Gerhard Schröder [4][sprach das aus], die SPD hatte das Elterngeld bis
       2005 vorbereitet) –, verfing auf beschämend schlichte Weise.
       
       Im Ergebnis gab es dann bald auch [5][Reportagen von jungen Familien zu
       lesen], die dank Elterngeld endlich ihre Traumreise mit dem Camper machten,
       das Kind in der Mitte: Er nahm seine acht Papa-Wochen, und der Staat zahlte
       ein Gutteil des Trips, wie toll! In Neuseeland wunderten sich die
       Pensionswirtinnen über die deutsche Babyschwemme.
       
       Die Geburtenrate ist nicht so gestiegen, dass irgendwer das ernsthaft aufs
       Elterngeld zurückführen würde. Der Arbeitsmarkt saugt die Mütter jetzt auch
       von selbst auf – deren Wiedereinstieg ist ohnehin nicht mehr gefährdet.
       Und die Väter? Die nehmen statistisch jetzt ein paar Wochen mehr Elternzeit
       als im Jahr 2007. Schön, das. Der Preis dafür war und bleibt hoch.
       
       10 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-streit-ueber-elterngeld-christian-lindner-und-die-bahn-sanierung-gentechnik-a-683e02b0-18c1-4010-81ae-ceb093a61073
 (DIR) [3] /!433573/
 (DIR) [4] https://www.deutschlandfunk.de/schroeder-will-familienpolitik-in-den-mittelpunkt-ruecken-100.html
 (DIR) [5] https://www.tui.com/blog/reisen-in-der-elternzeit-neuseeland/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Winkelmann
       
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