# taz.de -- Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse: Emotionen auf breiten Gängen
       
       > Positive Energy, Emotion, Happy End: Der Romance-Boom ist auf der
       > Frankfurter Buchmesse angekommen. Aber was ist mit den literarischen
       > Stimmen?
       
 (IMG) Bild: Volle Hallen bei der Frankfurter Buchmesse am 20. Oktober
       
       FRANKFURT taz Sichtbarkeit herstellen für Bücher, Themen und Autorinnen und
       Autoren, dafür sei die Messe da. So lautet ein Mantra in der Buchbranche,
       und es stimmt ja auch. Was also sieht man, wenn man in Frankfurt die
       Messehallen betritt?
       
       Man sieht breite Gänge. Das ist der allererste Eindruck. Zwischen den
       Messeständen hindurchführen wahre Prachtstraßen. Was einerseits erfreulich
       ist, weil es offensichtlich Platz zu verteilen gab, andererseits aber auch
       Krisenvermutungen aufruft. Das sind jetzt noch nicht die
       Vor-Corona-Verhältnisse, einige Verlage sind dieses Jahr gar nicht erst
       gekommen, andere haben ihre Stände verkleinert. Nach einem kraftvollen Boom
       sieht das nicht aus.
       
       Wobei gleichzeitig für die Kartenverkäufe an die rein bücherinteressierten
       Besucher Rekordzahlen vermeldet werden. Die Veranstaltungen auf der Messe
       waren bislang oft auch gut besucht, nur gibt es halt weniger
       Veranstaltungen als früher.
       
       Zweiter Eindruck: Romance boomt. Die halbe Halle 3.0 ist in Pink und
       Violett getaucht, an den Ständen Bücher mit viel Emotion, positiver Energie
       und Happy Ends und oft neongrellen bunten Covern, die sich auf TikTok und
       Instagram gut präsentieren lassen. Und vor den Verlagsständen stehen
       Leserinnen und Leser artig mit einem Buch in der Hand Schlange, um es sich
       signieren zu lassen, was man dann wieder gut vor seine Handykamera halten
       kann.
       
       ## Kaum Autorennamen wirklich präsent
       
       Wer sich mit Verlagsleuten über diesen Trend unterhält, erntet halb
       belustigte, halb aber auch sehr ernste Blicke. Tatsächlich hat dieses
       Segment derzeit bedeutende Zuwächse – Hauptzielgruppe sind Mädchen zwischen
       14 und 19 Jahren –, das rettet manchen Verlagen gerade die Umsatzzahlen.
       Und genauso tatsächlich ist das alles auch ein bisschen lustig, als Revival
       von romantischer Pulp Fiction in einer Coming-of-Age-Variante für
       Leser*innen, die die Figuren „fühlen“ wollen. Auf jeden Fall ist dieser
       Trend sehr sichtbar in Frankfurt.
       
       Dritter Eindruck: Themen sind derzeit wichtiger als die literarischen
       Stimmen. Während über Israel und die AfD in den Gesprächen viel diskutiert
       wird, sind nur dreieinhalb Autorennamen wirklich präsent.
       
       Der von Tonio Schachinger, dem Buchpreisgewinner, der von [1][Salman
       Rushdie, dem Friedenspreisträger], und der von Daniel [2][Kehlmann, weil er
       Daniel Kehlmann] ist, alle anderen Autor*innen laufen eher so mit – mit
       Ausnahme noch von Charlotte Gneuß, deren [3][DDR-Roman „Gittersee“] zu
       Recht viel gelobt wird und deshalb halb sichtbar durchgekommen ist: als
       DDR-Roman, weniger in seiner literarischen Machart.
       
       Dass die literarischen Stimmen derzeit weniger sichtbar sind, mag der
       düsteren Weltlage geschuldet sein. So ganz wird man aber auch den Eindruck
       nicht los, dass die Gründe dafür auch an Veränderungen im Literaturbetrieb
       selbst liegen. Was immer man gegen solche Platzhirsche wie Grass, Walser,
       Frisch, Enzensberger sagen kann, sie haben die Literatur stets im Gespräch
       gehalten. Niemand wünscht sich diese Zeit zurück, doch an ihre Stelle
       getreten ist vielleicht etwas zu viel Flow.
       
       Besondere Aufmerksamkeit für Debüts, auf Zielgruppen zugeschnittene
       Programme, auf Preise hin terminierte Veröffentlichungen, boomende
       Festivals bei gleichzeitiger Diskreditierung von Rezensionen als altbacken
       – dass diese Melange zwar viele aufpoppende Namen, aber nur wenige
       schwergewichtige Stars produziert, die von sich aus Sichtbarkeit
       herstellen, ohne über Themen gehen zu müssen, das muss man eben auch
       feststellen.
       
       Vielleicht kommt als nächster Trend ja wieder mehr Augenmerk aufs
       Literarische. So ganz untergründig – etwa in der Art, wie die Branche die
       Literatursendeplätze im Radio verteidigt – meint man so etwas auch
       wahrzunehmen. Schön wär’s.
       
       21 Oct 2023
       
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