# taz.de -- Ökonom zum Industriestrompreis: „Er ist gut fürs Klima“
       
       > Der Ökonom Tom Krebs sagt, dass ein stabiler Strompreis Unternehmen im
       > Land halten kann. Das gesenkte Risiko ermögliche erst die grüne
       > Transformation.
       
 (IMG) Bild: Bessere Zeiten für die energieintensive deutsche Wirtschaft? Regenbogen über dem Ruhrgebiet
       
       taz: Herr Krebs, energieintensive Unternehmen drohen, Deutschland wegen
       angeblich zu hoher Strompreise zu verlassen. Die Ampel streitet deshalb
       über einen [1][Industriestrompreis] – seit Mai. Wird sie sich noch einigen? 
       
       Tom Krebs: Es gibt zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein
       Industrie- beziehungsweise Brückenstrompreis kommt. Immerhin konnten sich
       ja auch die Gewerkschaften darauf verständigen, dass die Strompreise
       übergangsweise staatlich reguliert werden müssen. Im DGB gab es in der
       Vergangenheit Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern eines
       Industriestrompreises. Nun spricht sich der DGB geschlossen für die
       Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse aus.
       
       Was unterscheidet diesen DGB-Vorschlag vom Industriestrompreis? 
       
       Der Industriestrompreis ist nur Teil eines Gesamtkonzepts zur Begrenzung
       der Stromkosten. Der Vorschlag sieht nicht nur Hilfen für energieintensive
       Unternehmen vor, sondern eine perspektivische Verlängerung der allgemeinen
       Strompreisbremse für alle Kunden bis 2030. Für Privathaushalte und
       Kleinstgewerbe soll der Strompreis auf 35 Cent pro Kilowattstunde und für
       kleine und mittlere Unternehmen auf 10 Cent gedeckelt werden. Teil der
       modifizierten Strompreisbremse sollte dann auch ein Brückenstrompreis für
       energieintensive Unternehmen in Höhe von 6 Cent pro Kilowattstunde sein.
       Das würde die Wirtschaft stabilisieren sowie insbesondere untere und
       mittlere Einkommen vor möglichen neuen Kostenexplosionen beim Strompreis
       schützen.
       
       Sie plädieren auch für einen zusätzlichen Rabatt von einem Cent pro
       Kilowattstunde für Unternehmen, die sich an Tarifverträge mit
       Gewerkschaften halten. Was soll das bringen? 
       
       Unternehmen mit Tarifvertrag bezahlen in der Regel bessere Löhne und
       Gehälter als Unternehmen ohne Tarifbindung. So kann dieser Zusatzbonus
       einen wichtigen Beitrag leisten, die starken Reallohnverluste, die
       Beschäftigte durch den Inflationsschub 2022/2023 erlitten haben,
       längerfristig wieder auszugleichen.
       
       Die Inflation klingt ab, auch der allgemein prognostizierte Rückgang der
       Wirtschaftsleistung in diesem Jahr von rund 0,5 Prozent ist im Vergleich zu
       vergangenen Krisen relativ gering. Braucht es überhaupt noch Maßnahmen wie
       den Industriestrompreis? 
       
       Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft weitaus schwerer getroffen,
       als diese Zahlen suggerieren. Eigentlich hätte die Wirtschaft in diesem
       Jahr nach zwei Jahren Coronapandemie um 4 bis 5 Prozent wachsen müssen. Wir
       haben also unterm Strich einen Verlust bei der Wirtschaftsleistung von
       mindestens 4 Prozent. Das sind große Produktionsverluste, die auf die
       Energiekrise zurückzuführen sind. Da wäre es fatal, wenn jetzt noch
       aufgrund der hohen Strompreise energieintensive Unternehmen aufgeben oder
       ihre Produktion verlagern.
       
       Und ein Industriestrompreis ist das richtige Mittel dagegen? 
       
       Ja, in Kombination mit anderen Maßnahmen wie zum Beispiel einer
       öffentlichen Investitionsoffensive. Ein Brückenstrompreis sichert nicht nur
       den Standort Deutschland, indem er den Unternehmen Planungssicherheit gibt.
       Er trägt auch zu mehr Resilienz der deutschen Wirtschaft bei.
       
       Wieso macht ein Industriestrompreis die deutsche Wirtschaft resilienter,
       also widerstandsfähiger? 
       
       Wenn Unternehmen ihre Produktion wegen zu hoher Energiekosten ins Ausland
       verlagern, dann bedeutet das, dass deutsche Unternehmen gewisse Produkte
       künftig importieren müssen. Das kann zu gewaltigen Problemen führen, wie
       das Beispiel der deutschen Autobauer zeigt, die vor zwei Jahren wegen
       Chip-Lieferengpässen teilweise in Kurzarbeit gehen mussten.
       
       Aus diesem Grund fördert die Bundesregierung jetzt mit
       Milliardensubventionen die Ansiedlung von Halbleiter-Firmen in Deutschland. 
       
       Prinzipiell ist das auch richtig. Übrigens ist die Begrenzung der
       Stromkosten auch Teil der Förderpakete für die Halbleiterhersteller. Ich
       möchte, dass die Bundesregierung für alle Unternehmen in Deutschland
       kalkulierbare Strompreise gewährleistet.
       
       Die Industrie klagte bereits vor zehn Jahren im Rahmen der Debatte um die
       EEG-Umlage, mit der früher die Kosten der Energiewende auf die Verbraucher
       verteilt wurden, über angeblich zu hohe Stromkosten. Was hat sich seitdem
       verändert? 
       
       Dass wir eine Energiekrise haben. Und sie ist längst noch nicht vorbei.
       Strom ist immer noch doppelt so teuer wie vor der Krise. Deswegen muss der
       Staat den Unternehmen eine Brücke bauen, bis der Ausbau der Erneuerbaren
       den Strompreis wieder genügend nach unten gedrückt hat. Denn die
       Energiekrise ist eine Krise der fossilen Energie. Aus diesem Grund müssen
       wir auch so schnell wie möglich aus der Nutzung fossiler Energiequellen
       aussteigen. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Und deswegen ist der
       Industriestrompreis wichtig.
       
       Andere Ökonom*innen gehen davon aus, dass Strom durch die Energiewende
       teurer wird. Eine Abwanderung energieintensiver Unternehmen sei deswegen
       gar nicht zu vermeiden. Was halten Sie von diesem Argument? 
       
       Ich gehe davon aus, dass sich der Strompreis langfristig auf einen Preis
       von 5 bis 8 Cent pro Kilowattstunde einpendelt, wenn die Ausbauziele der
       Bundesregierung erreicht werden und der Strommarkt funktioniert. Andere
       Ökonom*innen müssen erst mal begründen, warum Strom im Zuge der
       Energiewende noch teurer werden soll. Das Problem der Debatte um den
       Industriestrompreis ist, dass kaum jemand mit Zahlen arbeitet. Es gibt nur
       wenige Studien, die beziffern, wie sich die Strompreise in den nächsten
       Jahren entwickeln werden, und die Ergebnisse dieser Studien werden in der
       Debatte kaum verwendet. Deswegen kann man auch in der Ökonomenszene nicht
       vernünftig diskutieren, ob ein Brückenstrompreis wirklich eine Brücke in
       die Zukunft baut oder zur Dauersubvention wird.
       
       Verhindert ein Industriestrompreis nicht wichtige Investitionen in den
       Klimaschutz, weil Unternehmen durch einen gedeckelten Strompreis keinen
       Anreiz zum Sparen haben? 
       
       Nein. Im Gegenteil. Der Industriestrompreis ist gut fürs Klima.
       
       Warum? 
       
       Die gesamte Industrie wird sich im Rahmen der Energiewende transformieren
       müssen. Das gilt ganz besonders für die energieintensive Industrie. Eine
       klimaneutrale Industrie wird eine auf Strom basierende Industrie sein.
       Gewisse Prozesse müssen von Erdöl und Erdgas auf Strom umgestellt werden.
       Doch die Unternehmen werden die dafür nötigen Investitionen nur tätigen,
       wenn sie einen Strompreis haben, mit dem sie kalkulieren können.
       
       Wäre es dann nicht klimapolitisch sinnvoll, wenn gewisse energieintensive
       Produktionsschritte in Länder ausgelagert werden, in denen es erneuerbare
       Energien im Überfluss gibt? 
       
       Das wird vermutlich aber nicht passieren. Wahrscheinlicher ist es, dass die
       Unternehmen in Länder wie China oder Australien abwandern, die zwar gute
       Bedingungen für den Ausbau von erneuerbaren Energien haben, aber trotzdem
       noch viel mit fossilen Energieträgern wie Kohle arbeiten. Eine Abwanderung
       wäre also sogar schlecht für das Klima. Und für den Industriestandort
       Deutschland hätte es unüberschaubare Folgen.
       
       Stromkosten machen [2][laut Bundesbank] im Schnitt lediglich 0,7 Prozent
       der gesamten Produktionskosten aus. Warum sind die Unternehmen da überhaupt
       so aufgeregt? 
       
       In energieintensiven Branchen wie der Chemie- und der Papierindustrie liegt
       der Anteil der Stromkosten aber bei 13 beziehungsweise 18 Prozent. Und wenn
       ein Produktionsschritt ausgelagert wird, kann das auch negative Folgen auf
       andere, nachgelagerte Produktionsschritte haben. Wenn zum Beispiel ein
       Aluminiumhersteller seine Produktion ins Ausland verlagert, dann sind nicht
       nur seine 2.000 Angestellten, sondern viel mehr Arbeitnehmer*innen
       davon betroffen.
       
       Sie gehen von Kosten von bis zu 60 Milliarden Euro für Ihre modifizierte
       und verlängerte Strompreisbremse aus. Ist das nicht viel Geld? 
       
       Diese Maßnahme ist nicht zu teuer, wenn man die Verluste betrachtet, die
       eine Untätigkeit zur Folge hätte. Allein die kurzfristigen
       Produktionsverluste infolge der Energiekrise könnten sich bis Ende 2024 auf
       insgesamt 390 Milliarden Euro belaufen. Und eine Verlängerung der
       Strompreisbremse kann durchaus auch günstiger als die von mir veranschlagte
       Summe ausfallen, wenn die Energiewende schneller gelingt und die
       Strompreise schneller sinken.
       
       Angesichts der gegenwärtigen Haushaltslage wird Ihr Vorschlag schwer zu
       finanzieren sein. Woher soll das Geld kommen? 
       
       Man könnte die Verlängerung der Strompreisbremse aus Mitteln des
       Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanzieren, der bereits zur Finanzierung
       der aktuellen Gas- und Strompreisbremsen verwendet wird. Dessen Mittel sind
       bei Weitem noch nicht aufgebraucht. Man müsste also nicht an anderer Stelle
       sparen.
       
       Das würde die FDP vermutlich aus finanzpolitischen Gründen ablehnen. 
       
       Die Finanzpolitik ist derzeit leider ein großes Standortrisiko.
       
       Im FDP-geführten Finanzministerium sieht man das vermutlich anders.
       Minister Lindner hat mit dem Wachstumschancengesetz zudem gerade
       Entlastungen für die Unternehmen in Höhe von 7 Milliarden Euro auf den Weg
       gebracht. 
       
       Gerade am Wachstumschancengesetz kann man sehen, was derzeit falsch läuft.
       Denn darin enthalten ist eine Investitionsprämie für den Klimaschutz, die
       alle gut finden. Doch die dafür bereitgestellten Mittel – weniger als eine
       Milliarde Euro – sind viel zu gering, um einen ökonomischen Impuls zu
       erzeugen.
       
       Trotzdem sind das wieder Milliarden für Unternehmen, während die Menschen
       allein mit der Inflation zurechtkommen müssen. Ist das nicht
       sozialpolitisch gefährlich? 
       
       Natürlich braucht es sehr viel mehr als nur einen Industriestrompreis. Es
       braucht zusätzliche Klima- und Sozialinvestitionen des Staates, die über
       das bereits Geplante hinausgehen. Und als wissenschaftliches Mitglied der
       Mindestlohnkommission bin ich für die Anhebung des Mindestlohns auf 14
       Euro, die leider bisher am Veto der Arbeitgebervertreter gescheitert ist.
       Aber von einem Industriestrompreis profitieren auch Arbeitnehmer*innen.
       
       Inwiefern? 
       
       In der Industrie werden in der Regel überdurchschnittlich gute [3][Löhne
       und Gehälter] bezahlt. Ein Industriestrompreis soll gewährleisten, dass die
       gutbezahlten und klimaneutralen Jobs der Zukunft in Deutschland geschaffen
       werden.
       
       2 Nov 2023
       
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