# taz.de -- Antisemitismus im Kulturbetrieb: Zoff um eine Klausel
       
       > Berlins Kultursenator wehrt sich gegen Kritik an seiner verpflichtenden
       > Erklärung gegen Antisemitismus. Er sieht sie als Beginn eines Dialogs.
       
 (IMG) Bild: Joe Chialo (CDU), Berlins Kultursenator, verteidigt seinen Vorstoß gegen Antisemitismus
       
       BERLIN taz | Die von Kultursenator Joe Chialo eingebrachte
       [1][Antidiskriminierungsklausel] könnte zukünftig Grundlage für sämtliche
       Zuwendungen des Senats werden. Im Kulturausschuss am Montagnachmittag sagte
       Chialo, dass es durchaus denkbar und zu begrüßen sei, die Klausel auf alle
       Bereiche auszuweiten. Seiner Information nach würden sich seine
       „Senatskolleginnen und -kollegen damit befassen“.
       
       Wie Ende vergangener Woche bekannt geworden war, müssen aktuell alle
       Künstler*innen und Kulturschaffenden die [2][Klausel unterzeichnen, wenn
       sie sich um Fördergelder] der Senatsverwaltung für Kultur und
       gesellschaftlichen Zusammenhalt bewerben. Chialo bestätigte im Ausschuss
       auch, dass die Klausel ebenso für Förderung von gesellschaftlichem
       Engagement und Ehrenamt aus seinem Haus gelten soll. Sie gelte seit dem 21.
       Dezember.
       
       Kultursenator Chialo will damit die „Prävention von Diskriminierung und
       Antisemitismus“ verstärken. Mit der Klausel verpflichten sich mögliche
       Empfänger*innen von Zuwendungen dazu, „sicherzustellen, dass die
       gewährten Fördergelder keinen Vereinigungen zugutekommen, die als
       terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden“. Sie bekennen sich
       außerdem „zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von
       Antisemitismus“, und zwar „gemäß der [3][Antisemitismus-Definition der
       International Holocaust Remembrance Alliance] (IHRA) und ihrer Erweiterung
       durch die Bundesregierung“.
       
       Mit einem [4][offenen Brief hatten sich Kunst- und Kulturschaffende] am
       Freitag gegen die Klausel und insbesondere [5][gegen die IHRA-Definition
       von Antisemitismus] gewandt. Sie kritisierten, diese Definition würde
       Kritik an Israel unmöglich machen. Die Klausel schränke daher die Kunst-
       und Meinungsfreiheit ein, die Unterzeichner*innen nannten sie eine
       „politische Instrumentalisierung“. Sie sprachen sich [6][stattdessen für
       die Antisemitismus-Definition aus der Jerusalem-Deklaration] aus.
       
       ## Anfang eines Diskussionsprozesses
       
       Im Kulturausschuss verteidigte Senator Chialo die Klausel. Sie sei
       „präventiv, deklaratorisch und nicht verbindlich“. Und er lud zum Dialog
       darüber ein: „Wir stehen am Anfang von einem Diskussionsprozess“, sagte
       Chialo. „Wir können jetzt ins Gespräch kommen, sie modifizieren und
       verbessern.“ Als „Angebot im demokratischen Raum“ bezeichnete Chialo seinen
       Wunsch nach Dialog, und „dass die Tonalität wichtig sei, damit die
       Gespräche gelingen können“. Da sehe er angesichts der Reaktionen auf die
       Klausel „erheblichen Nachholbedarf“.
       
       Elke Breitenbach (Linke) kritisierte Chialo im Ausschuss für sein Vorgehen.
       Da die Klausel schon gelte, sei es kein Gesprächsangebot. „Damit haben Sie
       viel Porzellan zerschlagen“, warf sie Chialo vor. „Die [7][Beschlüsse aus
       der Landeskonzeption gegen Diskriminierung] kann man unterschiedlich
       umsetzen – wir hätten es anders gemacht“, sagte sie. Ebenfalls aus der
       Linken kam die Frage auf, ob Chialo dem Anliegen nicht eher geschadet habe,
       da sein Vorstoß nun so eine breite Gegenwelle erzeugt hätte.
       
       „Der Senatsverwaltung geht es nach meiner Wahrnehmung um politische
       Kontrolle der freien Kunst und Kultur“, sagte Elif Eralp, Sprecherin für
       Antidiskriminierung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. „Dabei hat die
       Berliner Kulturlandschaft, die sich schon lange gegen Antisemitismus,
       Rassismus und jede Form der Diskriminierung engagiert, keinen Anlass
       geboten für so eine Maßnahme und so einen Generalverdacht“, sagte sie der
       taz.
       
       Daniel Wesener von den Grünen sagte, seine Partei habe einen fünfseitigen
       Fragenkatalog zu der Klausel eingereicht: zu den Rechtsgrundlagen und
       Definitionen, Abweichungen vom Landeskonzept, zur Umsetzung, den Verfahren.
       Er bedankte sich für das Dialogangebot – und rief die anderen Fraktionen
       auf, ihre Fragen zu ergänzen.
       
       ## Mehrheitlich genutzte Definition
       
       Aus Sicht von im Rat der Künste zusammengeschlossenen Kulturverbänden
       kontraproduktiv im Kampf gegen Diskriminierung auswirken. „Wir begrüßen
       Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus sowie Maßnahmen gegen jede Form
       von Diskriminierung und Rassismus“, schrieben Koalition der Freien Szene,
       Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin, der Landesverband freie
       darstellende Künste, die Initiative Neue Musik und das Festiwelt-Netzwerk
       Berliner Filmfestivals in einem am Montag veröffentlichten Appell.
       
       Nach ersten juristischen Einschätzungen verfehle die aktuelle Form der
       Antidiskriminierungsklausel aber die angestrebten Ziele. „Sie kollidiert
       mit dem Grundgesetz und bringt eine mannigfaltige Rechtsunsicherheit,
       zweifelhafte Praktikabilität und die Gefahr der Diskriminierung mit sich.“
       Mit der Klausel werde „ein gefährlicher Präzedenzfall der Gesinnungsprüfung
       von Einzelpersonen geschaffen, die womöglich eine auf Dauer angelegte
       Überprüfungspflicht nach sich zieht“, hieß es von den Verbänden.
       
       „Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur“, sagte Chialo und sprach auch von der
       Angst, die Jüdinnen und Juden seitdem in Berlin hätten. Er habe außerdem
       mit Kulturschaffenden und -häusern am Donnerstag Rücksprache gehalten, und
       viel Zuspruch für die Klausel gehört. Die IHRA-Definition sei die
       Definition, die mehrheitlich genutzt werde. Und er wies darauf hin,
       [8][dass auch Schleswig-Holstein bereits so eine Klausel verabschiedet]
       habe. „Andere Länder und der Bund bereiten Ähnliches vor, mein Anliegen
       ist, dass wir da auch zu gemeinsamen Regelungen kommen“, sagte er.
       
       Fast verärgert stellte Chialo im Laufe der Debatte klar: „Es gibt kein
       Grundrecht auf staatliche Fördermittel“. Und er machte seine Motivation
       deutlich: „Als Kultursenator habe ich auch die Verpflichtung zu handeln,
       damit öffentliche Gelder nicht in terroristische und extremistische
       Organisationen fließen. Und mit der Klausel handeln wir jetzt. Aber mit
       ausgestreckter Hand“, betonte er.
       
       8 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.berlin.de/sen/kultgz/aktuelles/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1402065.php
 (DIR) [2] https://www.berlin.de/sen/kultgz/aktuelles/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1402065.php
 (DIR) [3] https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus
 (DIR) [4] https://www.tagesspiegel.de/kultur/offener-brief-gegen-chialos-antisemitismus-klausel-kulturschaffende-sehen-die-kunstfreiheit-gefahrdet-11011945.html
 (DIR) [5] https://openletterberlinculture.net/
 (DIR) [6] /Antisemitismusdefinition-der-IHRA/!5982067
 (DIR) [7] https://www.berlin.de/sen/lads/schwerpunkte/rechtsextremismus-rassismus-antisemitismus/landeskonzeption/
 (DIR) [8] https://www.landtag.ltsh.de/nachrichten/23_11_24_antisemitismus/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uta Schleiermacher
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Joe Chialo
 (DIR) Extremismusklausel
 (DIR) Berlin Kultur
 (DIR) Kulturförderung
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Innenministerkonferenz
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Antidiskriminierungsklausel in Berlin: Viel Lärm mit Ablenkung
       
       Die Diskussionen über die Antidiskriminierungsklausel des Berliner
       Kultursenators Joe Chialo lassen bislang eines aus. Es geht doch um den
       BDS.
       
 (DIR) Neue Antisemitismus-Definition: Ist das Kunst oder antisemitisch?
       
       In Berliner Kulturbetrieb gibt es Streit um eine neue
       Antisemitismus-Klausel. Was ist die IHRA, zu der man sich von nun an
       bekennen muss?
       
 (DIR) Antisemitimsmus im Kulturbetrieb: Kein Problem zum wegsignieren
       
       Die Klausel der Berliner Kulturverwaltung gegen Diskriminierungen stößt auf
       harte Kritik. Künstler*innen sehen einen Trend zum Bekenntniszwang.
       
 (DIR) Antisemitismusdefinition der IHRA: Berliner Bekenntnispflicht
       
       Der Berliner Senat will Förderungen in Zukunft an ein Bekenntnis zur
       IHRA-Antisemitismusdefinition knüpfen. Das ist unbedingt notwendig.
       
 (DIR) Innenministerkonferenz zur Nahostdebatte: „Bollwerk gegen Antisemitismus“?
       
       Die Innenministerkonferenz widmet sich dem Kampf gegen Judenhass und
       diskutiert Gesetzesverschärfungen. Innenministerin Faeser ist hierfür
       offen.
       
 (DIR) Kulturförderung gecancelt: Das Oyoun wehrt sich
       
       Weil es nach Antisemitismus-Vorwürfen keine Förderung mehr vom Senat
       bekommen soll, bereitet sich das Kulturzentrum auf einen Rechtsstreit vor.