# taz.de -- EGMR verurteilt Griechenland: Schüsse waren „unverhältnismäßig“
       
       > Die Küstenwache schoss 2014 auf ein Boot, ein Migrant starb. Darüber
       > urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
       
 (IMG) Bild: Schiff der griechischen Küstenwache, während einer Patrouille in der Ägäis im Norden von Lesbos, Griechenland im September 2019
       
       ATHEN taz | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht drei
       syrischen Geflüchteten eine Entschädigung von 80.000 Euro für einen
       tödlichen Vorfall im Jahr 2014 in der Ostägäis zu. Die griechische
       Küstenwache hatte dreizehnmal auf ein mit Migranten besetztes Boot
       geschossen. Ein Bootsinsasse starb in Folge seiner Verletzungen.
       
       Konkret habe Griechenland gegen Artikel 2 der Europäischen
       Menschenrechtskonvention verstoßen, wie der Europäische Gerichtshof für
       Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg am [1][Dienstag via X (ehemals
       Twitter)] bekanntgab. Artikel 2 sieht vor, dass „das Recht jedes Menschen
       auf Leben gesetzlich geschützt“ ist. Niemand darf absichtlich getötet
       werden, heißt es weiter in Artikel 2.
       
       In dem vorliegenden Fall hatte die griechische Küstenwache am 22. September
       2014 vor der Kleininsel Pserimos, die zwischen den größeren Inseln Kos und
       Kalymnos und nur wenige Seemeilen vor der türkischen Küste liegt, dreizehn
       Schüsse auf ein Flüchtlingsboot abgefeuert. Ein Flüchtling wurde dabei
       tödlich verletzt. Drei Überlebende, die Syrer Douaa Alkhatib, Nourredin
       Tello sowie Lana Tello, hatten sich an den EGMR gewandt, nachdem die
       griechische Justiz den Fall ins Archiv gestellt hatte.
       
       Im Urteil kritisiert das Straßburger Gericht energisch das Vorgehen der
       griechischen Justiz. Die bei den Schüssen verletzten Flüchtlinge und
       Migranten seien während des Strafverfahrens niemals als Zeugen geladen
       worden, wie der EGMR feststellt. Obendrein habe es die Staatsanwaltschaft
       des griechischen Seegerichts versäumt, „wichtige Beweise wie den
       gerichtsmedizinischen Bericht über das Todesopfer sowie die eklatanten
       Mängel des vorgelegten ballistischen Berichts gründlich zu prüfen“.
       
       ## Justiz hart gegen Fluchthelfer
       
       Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte zudem fest, dass die
       griechischen Behörden „keine klaren Regeln für den potenziell tödlichen
       Einsatz von Waffen bei Einsätzen der Küstenwache aufgestellt“ hatten. Die
       griechische Küstenwache habe dem EGMR-Urteil zufolge auf
       „unveröffentlichte, veraltete und unzureichende Einsatzregeln von 1992“ für
       den Einsatz von Waffen gegen Boote verwiesen. Der Einsatz der griechischen
       Küstenwache sei laut EGMR insgesamt „nicht ausreichend geplant und
       vorbereitet“ gewesen.
       
       Die Einlassung der griechischen Küstenwächter, wonach man „nur auf den
       Motor des Schiffes gezielt“ habe, ließ der Europäische Gerichtshof für
       Menschenrechte nicht gelten. Die „extrem gefährlichen“ dreizehn Schüsse
       stellten eine „unverhältnismäßige Gewaltanwendung“ dar. Das habe die
       Bootsinsassen „einem Risiko für ihr Leben ausgesetzt“. Die Küstenwache habe
       das vorhersehen müssen.
       
       Zum Zeitpunkt des Vorfalls nahe Pserimos regierte in Athen eine Koalition
       aus der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der sozialdemokratischen
       Pasok unter Premierminister Antonis Samaras. Der ist bis heute ein
       einflussreicher Abgeordneter der heute allein regierenden ND. Zudem gilt
       der Ex-Premier als glühender Verfechter einer restriktiven
       Migrationspolitik und der sogenannten „Festung Europa“.
       
       Die griechischen Behörden sind unterdessen auch wegen eines verheerenden
       Bootsunglücks vor der Hafenstadt Pylos ins Fadenkreuz geraten. [2][Mitte
       Juni 2023 war ein heillos überfüllter Fischkutter] vor der Küste der
       Halbinsel Peloponnes gesunken. Mutmaßlich ertranken mehr als 600 Menschen –
       vor allem Frauen, Kinder und Alte. Kurz davor hatte das Boot Kontakt mit
       der Küstenwache. Auch in der Causa Pylos arbeitet die griechische Justiz
       sehr langsam. Gegen Flüchtlingshelfer geht die griechische [3][Justiz
       hingegen mit auffälliger Härte] vor.
       
       18 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://twitter.com/ECHR_CEDH/status/1747183347497882070?ref_src=twsrc%5Egoogle%7Ctwcamp%5Eserp%7Ctwgr%5Etweet%7Ctwtr%5Etrue
 (DIR) [2] /Bootsunglueck-im-Mittelmeer/!5939907
 (DIR) [3] /Prozess-gegen-Fluechtlingshelferinnen/!5984804
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ferry Batzoglou
       
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