# taz.de -- Geschichte des Antisemitismus: Von der Antike bis zur Documenta
       
       > Der Historiker Sebastian Voigt legt mit „Der Judenhass“ ein gerade jetzt
       > wichtiges Buch vor. Es zeigt die Tradition antisemitischer Judenbilder
       > auf.
       
 (IMG) Bild: Nazi-Propaganda: Aus der Ausstellung ‚Der ewige Jude‘ im Berliner Reichstagsgebäude im November 1938
       
       Der [1][7. Oktober 2023 stellt eine Zäsur in der Geschichte Israels dar].
       An diesem Tag starben mehr Jüdinnen und Juden als an jedem andern Tag seit
       der Shoah. Paradoxerweise befeuert das Massaker erneut den Judenhass,
       dessen Ende einmal mehr nicht absehbar ist.
       
       Bereits vor der militärischen Reaktion Israels wurde weltweit der
       [2][Terror der Hamas als „Dschihad“ und „antikolonialer Widerstand“]
       begrüßt. Diese Allianz aus Islamismus und postkolonialem Jargon muss
       aufhorchen lassen, da die verbindende Klammer einmal eine offene, ein
       anderes Mal eine klammheimliche Freude über die Morde an Jüdinnen und Juden
       bildet.
       
       In diesem Kontext erscheint das Buch „Der Judenhass. Eine Geschichte ohne
       Ende?“ des Historikers Sebastian Voigt. Sein Unternehmen, die Geschichte
       des [3][Judenhasses von der Antike bis zur documenta fifteen]
       nachzuzeichnen, ist von erschreckender Aktualität.
       
       Der Autor weiß das und fügt dem bereits fertiggestellten Buch ein
       bestürztes, wenn auch nicht verwundertes Nachwort bei, das den 7. Oktober
       und dessen Folgen thematisiert. So zieht sich die in den Reaktionen auf das
       Massaker auftretende Täter-Opfer-Umkehr und die Tatsache, dass sich der
       Hass auf Juden von keiner Erfahrung korrigieren lässt, wie ein roter Faden
       durch die Geschichte.
       
       Auch wenn der Schwerpunkt des Buches auf dem modernen Antisemitismus in der
       deutschsprachigen Welt liegt, beansprucht Voigt, über die Entwicklungen ab
       dem 19. Jahrhundert hinaus eine durchaus umfassende Geschichte des
       Judenhasses zu schreiben. Wird dieser doch bereits im 5. Jahrhundert v. u.
       Z. im Buch Ester erstmalig erwähnt. Hier setzt das Buch an und eilt rasant
       auf gerade einmal zehn Seiten in die Neuzeit.
       
       Dieser Zeitspanne ungeachtet gelingt es Voigt, auf wenigen Seiten die
       Entstehung antijudaistischer Stereotype wie den Vorwurf des Gottesmordes,
       der Hostienschändung oder der mittelalterlichen Brunnenvergiftung plausibel
       zu erklären und zu verdeutlichen, wie diese als verschwörungsideologische
       Strukturelemente des modernen Antisemitismus fortleben.
       
       ## Als minderwertig und überlegen zugleich imaginiert
       
       Gleichwohl schreibt Voigt keine Kontinuitätsgeschichte des Antisemitismus,
       wie etwa der Judaist Peter Schäfer in seiner „Kurzen Geschichte des
       Antisemitismus“ aus dem Jahr 2020 oder die [4][Auseinandersetzung Tilman
       Tarachs mit den christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus] aus dem
       Jahr 2022.
       
       Das Buch hebt dagegen ideologiekritisch die widersprüchliche Spezifik des
       modernen Antisemitismus hervor, der die Juden als minderwertig und
       überlegen zugleich imaginiert. Nur Juden wurden und werden als
       Imperialisten und Kommunisten in einer Figur wahrgenommen, wie das zentrale
       Kapitel zum Nationalsozialismus zeigt.
       
       Gerade hierin liegt eine Stärke des Buchs. Voigt legt präzise dar, dass der
       moderne Antisemitismus gerade wegen seiner flexiblen Anpassungsfähigkeit an
       gesellschaftliche Umstände bis heute Bestand hat. Pointiert werden
       ideologische Verbindungen etwa des antiimperialistischen Weltbildes eines
       linken Antizionismus der 1970er Jahre mit dem von Rechtsterroristen aus den
       1980er Jahren nachgezeichnet – Voigt erwähnt auch einen
       holocaustrelativierenden Artikel der taz aus jener Zeit.
       
       Nach der Lektüre des Buches sollte es nicht mehr verwundern, warum sich
       etwa Mitglieder der RAF und Neonazis der Wehrsportgruppe Hoffmann in
       denselben Trainingslagern der PLO ausbilden ließen, warum der FDP-Politiker
       Jürgen Möllemann Verständnis für islamistische Selbstmordattentate äußerte
       oder warum so viele [5][Nachrufe auf den kürzlich verstorbenen Martin
       Walser] so wenig von dessen antisemitischer Schuldabwehr wissen wollten.
       
       Gerade jetzt, wo Rufe nach Kontextualisierung des 7. Oktobers laut werden,
       die erstaunlich oft vergessen, jüdische Opfer zu erwähnen, ist das für eine
       breite Leser:innenschaft bestimmte Buch von Voigt wichtig. Der Autor
       beharrt darauf, dass die Menschen der Geschichte nicht einfach hilflos
       ausgeliefert sind, auch wenn sie sich niemals vollständig von ihr lösen
       können. Das Buch zeigt die lange Tradition antisemitischer Judenbilder auf
       und weist dennoch zu Recht darauf hin, dass ein Ende der Geschichte des
       Judenhasses möglich ist. Gegenwärtig befinden wir uns indes noch mitten
       darin.
       
       7 Jan 2024
       
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