# taz.de -- Antisemitismus in der Kultur: Haushaltsordnung gegen Judenhass
       
       > Kein Geld für Kultur mit antisemitischen Inhalten: Mit der Umsetzung
       > dieser Forderung beschäftigte sich eine juristische Fachtagung in Berlin.
       
 (IMG) Bild: Ein Banner des Kollektivs Taring Padi während der documenta fifteen wurde wegen antisemitischer Darstellungen mit Planen verhängt
       
       Im Kampf gegen Antisemitismus ruhen die Hoffnungen auf einem dicken gelben
       Buch: „Bundeshaushaltsordnung / Landeshaushaltsordnungen: Staatliches
       Haushaltsrecht“ lautet der Titel des 1.000 Seiten umfassenden Wälzers, der
       wenig kulturelle Erbauung verspricht. Und doch soll der leicht veränderte
       Inhalt dieses Buchs, geht es nach den Vorstellungen des Berliner Tikvah
       Instituts und einer Reihe renommierter Juristen, der Schlüssel werden, mit
       der sich die staatliche Alimentierung von Judenhass im deutschen
       Kulturbetrieb verhindern lässt.
       
       „Wir halten eine gesetzliche Regelung für sinnvoll, die antisemitische,
       rassistische und andere menschenverachtende Konzepte von Zuwendungen
       ausschließt. Die Haushaltsordnungen wären als allgemeines Gesetz dafür ein
       denkbarer Standort“, erklärte Volker Beck, der Geschäftsführer des Tikvah
       Instituts, am Montag in Berlin. Tatsächlich bereitet der Bundestag eine
       entsprechende Gesetzesinitiative vor, wie die CDU-Abgeordnete Gitta
       Connemann mitteilte.
       
       Seit dem Skandal um die Ausstellung [1][eindeutig antisemitischer Kunst auf
       der documenta 15 in Kassel und der Unfähigkeit der Geschäftsführung der
       Kunstschau, daraus Folgerungen zu ziehen], mehren sich die Stimmen für
       rechtsstaatliche Konsequenzen. Die Welle von Judenhass in Deutschland seit
       dem Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober auf Israel hat gezeigt, dass es sich
       da nicht gerade um ein Nischenthema handelt.
       
       ## Der Staat darf keine Werturteile über Kunstwerke abgeben
       
       Es hat in jüngster Zeit in Berlin nicht an Initiativen gefehlt, um zu
       verhindern, dass Antisemiten in Deutschland auch noch von staatlichen
       Zuwendungen profitieren. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) wollte im
       Januar Förderungsbescheide mit einer Art Selbsterklärung garnieren, in der
       nichtstaatliche Organisationen versichern sollten, dass die Gelder nicht in
       „rassistische, antisemitische, queerfeindliche oder anderweitig
       ausgrenzende Ausdrucksweisen“ flössen. Nachdem diese Idee wegen
       juristischer Bedenken gescheitert war, schwebt Berlins Justizsenatorin
       Felor Badenberg (CDU) nun vor, dass der Verfassungsschutz überprüft, ob die
       Empfänger staatlicher Unterstützung auch koscher sind.
       
       Beide Vorstellungen stießen am Montag auf einer juristischen Fachkonferenz
       des Tikvah Instituts in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin
       auf wenig Unterstützung. Das begründet sich auch aus dem Grundgesetz. So
       sei die dort verankerte Kunstfreiheit so zu verstehen, dass dem Staat
       keineswegs erlaubt sei, Werturteile über Kunstwerke abzugeben, also etwa zu
       entscheiden, ob dieses oder jenes Werk antisemitische Inhalte verbreite und
       deshalb abgehängt werden müsse. Eine solche Entscheidung käme
       ausschließlich dem vom Staat beauftragten Fach-Gremium zu, das etwa eine
       Kunstschau leitet, sagte Nina Keller-Kemmerer von der Universität Gießen.
       „Kunst ist Kunst, ob mit oder ohne Antisemitismus“, stimmte der
       Rechtsanwalt Patrick Heinemann zu.
       
       Zu beachten sei ferner die Meinungsfreiheit. Antisemitismus ist keine
       Meinung, sondern ein Verbrechen, dieser Slogan mag politisch völlig richtig
       sein. Juristisch allerdings gelte, verdeutlichte Hans Michael Heinig von
       der Universität Göttingen: „Antisemitismus ist natürlich eine Meinung.“
       Allerdings sei die Entscheidung, ein bestimmtes Projekt wegen
       antisemitischer Inhalte nicht zu subventionieren, etwas ganz anderes als
       ein Verbot.
       
       ## Der Verfassungsschutz wäre heillos überfordert
       
       Chialos Vorschlag einer Art Bekenntnisklausel gegen Hass liefe auf eine
       Einmischung des Staates hinaus, denn der Staat müsste dann überprüfen, ob
       ein Künstler sich auch an diese Bestimmung gehalten hat. Der freiheitliche
       Staat dürfe keine Wertebekenntnisse verlangen, sagte Beck. Die Vorstellung,
       dass der Verfassungsschutz die rechtsstaatliche Güte von Organisationen
       checkt, die eine Zuwendung erhalten sollen, stieß auf der Tagung auch
       deshalb auf Widerstand, weil damit aus allen Zuwendungsträgern
       Verdachtsfälle gemacht werden würden – und zudem Zweifel bestanden, ob der
       Verfassungsschutz mit einer solchen Aufgabe nicht heillos überfordert wäre.
       Der Berliner SPD-Politiker Martin Matz sah in dieser Vorstellung ein
       „Signal des Misstrauens“.
       
       Keller-Kemmerer wies auf einen rechtsstaatlich einwandfreien Weg hin, der
       auch Volker Beck vom Tikvah Institut vorschwebt: eine
       Anti-Antisemitismusklausel in den Förderrichtlinien, festgehalten im
       Artikel 23 in ebenjenem gelben Buch über die Bundeshaushaltsordnung.
       Ausgangspunkt ihrer Überlegung ist, dass die Freiheit der Kunst zwar
       garantiert ist, es aber kein Recht auf eine staatliche Förderung gibt.
       
       Zudem leite sich aus dem Grundgesetz ein Verbot staatlicher Diskriminierung
       ab, heißt es in Artikel drei doch: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes,
       seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und
       Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen
       benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Die Verbreitung von Antisemitismus
       sei aber eine Diskriminierung von Jüdinnen und Juden.
       
       ## Es geht um konkrete Handlungen, nicht Bekenntnisse
       
       Eine [2][Anti-Antisemitismusklausel], sagte Keller-Kemmerer, würde nicht
       den jeweiligen Künstler, wohl aber die von einer staatlichen Zuwendung
       profitierende Organisation rechtlich binden, keinen Judenhass zu
       verbreiten. Sie greife deshalb auch nicht in die Kunstfreiheit ein. Volker
       Beck wies darauf hin, dass das Stiftungsrecht schon heute verlangt, dass
       politische Stiftungen die „freiheitliche demokratische Grundordnung sowie
       den Gedanken der Völkerverständigung“ fördern.
       
       Allerdings blieb ungeklärt, wie bei Streitfragen verfahren werden könnte.
       Denn es ist nicht immer leicht zu klären, wann etwa eine künstlerische
       Auseinandersetzung mit dem Staat Israel eine Dämonisierung und damit ein
       antisemitisches Machwerk darstellt und wann eben nicht – [3][dies hängt
       unter anderem auch vom jeweiligen Betrachter ab]. Folgt man der
       Kunstfreiheit, geziemt es dem Staat jedenfalls nicht, eine solche
       Entscheidung zu treffen.
       
       Immerhin böte eine solche Regelung den Vorteil, dass sie auf konkrete und
       aktuelle Handlungen von Zuwendungsempfängern hinziele und nicht etwa
       darauf, was eine Person zum Beispiel vor 20 Jahren einmal über Israel und
       den Zionismus zum Besten gegeben hat – ein Vorgehen, das bei Einsatz des
       Verfassungsschutzes zu befürchten sei.
       
       ## Schleswig-Holstein ging voran
       
       Erstaunlicherweise existiert eine ähnliche Regelung bereits – in
       Schleswig-Holstein. Philipp Salamon-Menger vom dortigen
       Bildungsministerium berichtete von der in Kiel gültigen
       [4][Antidiskriminierungsformel], die verlangt, dass zu Fördernde sich
       eindeutig gegen Antisemitismus und Rassismus bekennen. Das Ergebnis: Es
       gebe bisher „keine Rückfragen, keine Konfliktfälle, keine Versagung von
       Förderung“, sagte Salamon-Menger, der im gleichen Atemzug zugab, dass die
       fehlenden Reaktionen möglicherweise damit zu tun haben könnten, dass sein
       Bundesland ein wenig abgelegen ist.
       
       Eine ähnliche Regelung ist nun endlich auch im Bundestag anhängig. „Aufgabe
       des Gesetzgebers ist es, Lücken zu schließen. Das Zuwendungsrecht wäre ein
       Instrument, um zu reagieren“, stimmte die CDU-Bundestagsabgeordnete Gitta
       Connemann zu. Eine entsprechende Regelung auf Bundesebene sei in Arbeit,
       sagte die Vizechefin der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe.
       
       2 Jul 2024
       
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