# taz.de -- Demos gegen rechts: Hört uns zu und haltet uns aus
       
       > Bei den begrüßenswerten Reaktionen auf die jüngste AfD-Recherche werden
       > Erfahrungen von Migrant*innen nicht mitgedacht. Das schwächt die
       > Proteste.
       
 (IMG) Bild: Gute Laune beim Protest gegen die AFD, hier am 21. Januar vor dem Berliner Reichstagsgebäude
       
       Es ist mein dritter Probentag an diesem Theater und der dritte Tag an dem
       ich auf meinem Arbeitsweg rassistisch angegangen wurde. Drei Tage in Folge
       ist eine neue Härte und ich könnte einige ganz persönliche Beispiele dieser
       neuen Härte aufzählen, doch alles worauf ich hinaus will ist: Was wir in
       den Zeitungen über den Rechtsruck lesen, die Wahlprognosen, die Statistiken
       zu antisemitischer und rassistischer Gewalt, das ist weder Theorie noch
       Gruselgeschichte, das alles hat seit vielen Jahren sehr direkte
       Auswirkungen auf viele Menschen in diesem Land.
       
       [1][Alltagsrassismus], [2][behördlicher Rassismus], rechter Terror … das
       ist für die einen ein prägender Teil ihrer Lebensrealität, und für andere
       bleibt es abstrakt. Die Correctiv-Recherche hat vielen Menschen erstmalig
       das Ausmaß der Bedrohung anschaulich machen können und den richtigen Alarm
       ausgelöst. Herzlich Willkommen an unserer Seite!
       
       Nicht nur im Theater muss dieses „Zusammen“ noch geprobt werden. Dort hatte
       die reißerische Ankündigung des Berliner Ensembles für eine Aufführung der
       Recherche und die klamaukige Umsetzung Unmut ausgelöst – besonders in den
       Bevölkerungsgruppen, deren [3][Deportation] besprochen wurde.
       Migrant*innen, ihre Erfahrungen und Traumata wurden bei antirassistischer
       Kunst mal wieder nicht mitgedacht. Künstler*innen of Color und
       zuständige Diversitätsbeauftragte werden wohl eine Weile brauchen, um das
       Vertrauen wiederherzustellen und ihr Publikum zurückzuholen.
       
       Und auch auf den beeindruckend großen Demos klappt das Zusammenspiel noch
       nicht ganz. Denn während die einen mal wieder mit Wut und Schmerz auf die
       Straße gehen, um für ihr bloßes Existenzrecht zu kämpfen und dabei
       versuchen, die Aufregung mit politischen Inhalten zu füllen, machen andere
       Party und tanzen mit Sekt, während „Nazis raus“ gerufen wird. Doch nicht
       nur d[4][ieser Eventcharakter] wird gerade hinterfragt. Behinderte
       Aktivist*innen kritisieren zurecht, dass die Demos nicht barrierearm
       sind und vielen Teilnahme und Teilhabe erschwert wird.
       
       ## PoC und Behinderten wird Spaltung vorgeworfen
       
       Wir können froh sein, dass wir all diese kritischen Stimmen hören. Das
       heißt: Es gibt sie – die Vielfalt, die wir verteidigen wollen. Die
       Reaktionen sind jedoch bedenklich: Kritiker*innen sollen doch bitte
       ruhig sein. Denn jetzt geht es darum, den Faschismus aufzuhalten.
       Ausgerechnet PoC und Behinderten wird Spaltung vorgeworfen.
       
       Ich habe ganz viel Verständnis dafür, dass da Menschen mit
       unterschiedlichen Bedürfnissen und unter verschiedenen Voraussetzungen auf
       die Straße gehen. Ich verstehe, dass einige unter „laut gegen rechts“ Musik
       und Spaß verstehen und sich das besser anfühlt. Ich weiß, dass Menschen im
       ländlichen Raum – besonders im Osten – richtig was riskieren, wenn sie auf
       die Straße gehen. Doch es muss möglich sein, über das Wie zu diskutieren.
       Wenn das schon als demotivierend gilt, ist diese Bewegung nicht sonderlich
       stabil. Gegen Spaltung hilft Kritik annehmen.
       
       „Kein Fußbreit den Faschisten“ heißt auch, keine Rückschritte zu machen.
       Multiperspektivität und Inklusion dürfen nicht plötzlich weniger wichtig
       sein. Jetzt die Arbeit für mehr Diversität und Gleichberechtigung
       einzustellen oder gar die Regierungsparteien nicht mehr für ihre
       rassistische Abschiebepolitik anzugreifen, wäre kontraproduktiv und Teil
       des Rechtsrucks. Eine Migrationsgesellschaft, in der die Perspektiven von
       Migrant*innen nichts zählen, ist nicht viel wert. Deshalb: Hört uns zu
       und haltet uns aus.
       
       25 Jan 2024
       
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