# taz.de -- Demokratieexperte über rechte Gewalt: „Schulen sind komplett überfordert“
       
       > An Schulen komme demokratische Erziehung oft zu kurz, sagt Daniel
       > Trepsdorf. Dabei sei das die beste Prävention gegen Gewalt und
       > Extremismus.
       
 (IMG) Bild: Die wesentliche Aufgabe von Schule in einer Demokratie ist es, gemeinsam eine demokratische, selbstbewusste und kritische Persönlichkeit zu entwickeln
       
       Taz: Herr Trepsdorf, in [1][Cottbus soll ein Lehrer Schüler mit
       Fluchterfahrung tätlich angegriffen haben] – ein rassistisches Motiv liegt
       nahe.Wie geht man damit um, wenn rechte Gewalt von einem Lehrer ausgeht?
       
       Daniel Trepsdorf: Solche Personen wären in der Tat wenig geeignet für den
       pädagogischen Beruf. Da muss man ganz konsequent mit Disziplinarmaßnahmen
       kontern. Lehrerinnen und Lehrer haben ja in doppelter Hinsicht eine
       unglaubliche Vorbild-Funktion, sie sind Vertrauenspersonen. Wenn da Dinge
       wie Menschenverachtung, Mobbing, Ausgrenzung von Schülerinnen und Schülern
       mit Fluchterfahrung oder anderen Religionen stattfinden, entsteht da
       schnell ein Negativ-Vorbild. Klassen identifizieren sich damit, was folgt
       ist noch mehr Gewalt in der Schule. Das ist ein Problem mit besonderen
       Herausforderungen.
       
       Also einfach den entsprechenden Lehrer suspendieren? 
       
       Nein, es reicht nicht, zu sagen: XY ist jetzt nicht mehr im Dienst. Die
       Aufarbeitung ist extrem wichtig, weil sonst eine Mythenbildung oder ein
       Operferkult entstehen können. Gerade Kindern und Jugendlichen, aber auch
       Eltern gegenüber muss hier ein psychologisches Reflexionsangebot gemacht
       werden.
       
       Rassismus und Rechtsextremismus unter Lehrern – ist das eher die Ausnahme,
       oder ein verbreitetes Problem? 
       
       Eigentlich sind Lehrerinnen und Lehrer ja in solchen Fragen sensibilisiert.
       Trotzdem sind Schulen und die Lehrerschaft natürlich immer ein Spiegelbild
       der Gesellschaft, und wenn rechtsextreme Einstellungen eine Normalisierung
       auch im Sozialraum Schule erfahren, dann nehmen menschenfeindliche
       Gesinnungen durchaus auch im Lehrerkollegium zu.
       
       Was sind die größten [2][Probleme mit Rechtsextremismus an Schulen]? 
       
       Wir als Beratungsstelle werden am häufigsten wegen Straftaten nach § 86a
       StGB angefragt. Also Hakenkreuz- oder Runenschmierereien zum Beispiel.
       Immer noch komplett [3][unterbelichtet sind aber Klassenchats], wo zum
       Beispiel explizite Gewaltdarstellungen des Holocaust aus dem Dark Web z. B.
       im Chat einer 6. Klasse auftauchen. Wir merken, dass Schulen komplett
       überfordert sind mit Rechtsextremismus – insbesondere im ländlichen Raum
       mit einem strukturellen Pädagogenmangel von bis zu 15 Prozent in manchen
       peripheren Regionen.
       
       Sind das Jugendliche, die provozieren wollen, oder gefestigte rechtsextreme
       Einstellungen? 
       
       Wenn man von den [4][Zahlen der „Mitte-Studie“ ausgeht], die von der
       Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre deutschlandweit erhoben werden,
       haben bis zu 8 Prozent der Deutschen ein gefestigt rechtsextremes Weltbild,
       circa 20 Prozent mit einem latent rechtsextremen Weltbild kommen dazu.
       Diese Zahlen lassen sich auf die Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern
       übertragen, die stimmen auch mit unserer Beratungswahrnehmung überein. Das
       Dunkelfeld dürfte sogar noch höher liegen. Wenn der heimische Küchentisch
       als progressiv menschenrechtsorientierte Sozialisierungsinstanz wegfällt,
       weil die Eltern selbst auf einen rechtsextremen Überzeugungskanon
       zurückgreifen, dann sind Kinder die ersten Opfer dieses radikalen
       Gedankengutes.
       
       Was können Sie als Beratungsstelle an den Schulen erreichen? 
       
       Wenn ein Schüler mit dem Hitlergruß auf dem Schulhof steht oder an Fasching
       mit einer Uniformen erscheint, die an die SS angelehnt ist, dann verbindet
       sich natürlich erst einmal eine wahnsinnige Herausforderung damit. Wir
       gehen das Thema anders an als etwa Polizei und Justiz. Aus
       sozialpädagogischer Perspektive geht es um Prävention, Aufklärung und
       Sensibilisierung: Wie ist das zustande gekommen, warum ist die Situation
       eskaliert? Wo haben die Kinder den Zugriff auf menschenverachtende Quellen
       her, mit welchem Personenkreis sind sie unterwegs, wussten die Eltern
       davon?
       
       Wie sieht das konkret aus? 
       
       Wir machen 15-20 Beratungsprozesse im Jahr in Schulen, mit psychosozial
       geschultem Personal. Meistens werden wir aber erst gerufen, wenn es zu spät
       ist, wenn Schülerinnen oder Schüler tätlich angegriffen, strukturell und
       psychisch gemobbt wurden, oder wenn es zu rechtsextremen Äußerungen im
       Klassenchat kommt. Wichtig ist: Man muss sowohl schulische als auch
       außerschulische Orientierungsangebote schaffen, und das nicht mit dem
       didaktischen Holzhammer, sondern versuchen, die Kinder für
       sozialpädagogische Projekte zu begeistern, wie zum Beispiel eigene
       Kurzfilme zu drehen und damit eigene Geschichten zu erzählen.
       
       Egal, ob sie von Lehrern oder Schülern ausgeht: Was muss sich grundsätzlich
       an Schulen ändern, damit rechte und rassistische Gewalt nicht mehr
       stattfindet?
       
       Ganz wichtig ist, nicht nur auf die konkrete Täter-Opfer-Konstellation zu
       schauen. Wir erarbeiten in einem sozialen Raum mit den Kindern zum Beispiel
       eigene Leitbilder: Was heißt demokratisch miteinander sprechen, was heißt
       würdeorientiert handeln? Warum brauchen wir eigentlich Menschenrechte, was
       heißt würdevolle und gewaltfreie Kommunikation? Wir merken, dass diese
       demokratische Handlungsbasis in den Schulen viel zu wenig vorkommt. Das ist
       auch nichts für die Oberstufe, wir müssen damit in der Grundschule und
       eigentlich schon in der Kita anfangen. Was heißt es, gehört zu werden,
       Selbstwirksamkeits-Erfahrungen zu machen? Das sind die Themen, die
       Resilienz erzeugen.
       
       Und das hilft gegen ganz konkrete Gewalt? 
       
       Die wesentliche Aufgabe von Schule in einer Demokratie ist es, gemeinsam
       eine demokratische, selbstbewusste und kritische Persönlichkeit zu
       entwickeln. Das steht zwar in jedem Schulgesetz, aber es wird viel zu
       selten angewandt. Wenn ich als Heranwachsender im schulischen Kontext
       gefestigt mit Selbstbewusstsein, mit Anti-Bias-Training, mit gewaltfreier
       Kommunikation im praktischen Alltag zu tun hatte, dann bin ich am besten
       imprägniert gegenüber extremistischen Überwältigungsversuchen.
       
       15 Mar 2024
       
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 (DIR) [3] /Rechtsextreme-Chats-in-der-Schule/!5983139
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