# taz.de -- Medien nach Machtübernahme der Taliban: Schaut wieder nach Afghanistan!
       
       > Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 sollte das deutsche
       > Bundesaufnahmeprogramm Journalisten helfen. Doch es hat große Tücken.
       
 (IMG) Bild: Frauen als Reporterinnen sind in Afghanistan doppelt gefährdet
       
       Es scheint lange her und weit weg: Bewaffnete Kämpfer nehmen Kabul ein,
       verzweifelte Menschen strömen zum Flughafen und versuchen, das Land zu
       verlassen. Im August 2021 kamen die Taliban in Afghanistan erneut an die
       Macht. Die chaotischen Szenen der Evakuierung gehen damals um die Welt.
       Heute, mehr als zweieinhalb Jahre später, hat die internationale
       Aufmerksamkeit stark abgenommen. Anders als das Leid vieler Menschen vor
       Ort.
       
       [1][Reporter ohne Grenzen (RSF)] erreichen weiter verzweifelte Anfragen von
       Journalist*innen, die wegen ihrer kritischen Recherchen von den Taliban
       verfolgt werden. Manche müssen das Land verlassen, um nicht im Gefängnis zu
       landen. Die Taliban gehören zu den größten Feinden der [2][Pressefreiheit]
       weltweit.
       
       Gerade meldete sich eine Journalistin bei Reporter ohne Grenzen, die sich
       trotz der Risiken entschieden hat, im Land zu bleiben und weiter zu
       berichten. Nun wurde sie festgenommen und kam erst nach mehreren Tagen
       frei. Die Journalistin – als Frau und Reporterin gleich doppelt gefährdet –
       überlegt, zu fliehen. Das Dilemma: In einem Nachbarland wäre sie zwar erst
       mal vor den Taliban sicher. Dort kann RSF ihr aber nicht mehr helfen, im
       [3][Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP)] der deutschen Bundesregierung
       berücksichtigt zu werden.
       
       Das am 17. Oktober 2022 angelaufene BAP war ein Hoffnungsschimmer für viele
       afghanische Journalist*innen. Jeden Monat wollte die Bundesregierung 1.000
       gefährdete Afghan*innen nach Deutschland holen. Doch die eigentlich
       begrüßenswerte Initiative erfüllt aus Sicht von RSF nicht das, was sie
       versprochen hat: Anderthalb Jahre nach dem Start sind über das BAP erst
       rund 350 Personen nach Deutschland eingereist.
       
       Unter ihnen sind zwei von RSF vorgeschlagene Familien. Rund ein Dutzend
       weitere Journalist*innen haben zumindest schon Aufnahmezusagen
       erhalten. Ein zentrales Problem: Das BAP schließt zunächst in Drittstaaten
       geflohene Medienschaffende aus.
       
       Organisationen wie RSF können nur Fälle von Personen einreichen, die sich
       zu dem Zeitpunkt noch in Afghanistan aufhalten. Doch nach dem Fall Kabuls
       im August 2021 sind zahlreiche gefährdete Journalist*innen auf eigene
       Faust in Nachbarländer geflüchtet. Mitarbeitende der Bundesregierung hatten
       afghanischen Medienschaffenden damals geraten, schnellstmöglich dorthin
       auszureisen. Langsame, intransparente Prozesse und eine komplizierte
       Sicherheitsüberprüfung in Islamabad bremsen das Programm zusätzlich.
       
       ## Medienpluralismus zerstört
       
       Was die Taliban angerichtet haben, zeigt sich auch im Vergleich mit der
       Zeit vor ihrer Machtübernahme. So hatte sich in den vorangegangenen 20
       Jahren in Afghanistan eine lebendige und plurale Medienlandschaft
       entwickelt. Die Taliban haben große Teile davon zerstört. Mehr als die
       Hälfte der 547 Medien, die noch 2021 registriert waren, sind nach Angaben
       einer Studie der [4][Afghan Independent Journalists Association (AIJA)] aus
       dem Jahr 2023 verschwunden. Von den rund 12.000 Medienschaffenden, die 2021
       noch in Afghanistan arbeiteten, haben inzwischen mehr als zwei Drittel
       ihren Beruf aufgegeben.
       
       Nach ihrer Machtübernahme haben die Taliban zudem Frauen weitgehend aus der
       Medienlandschaft verdrängt. Mehr als 80 Prozent der afghanischen
       Journalistinnen mussten inzwischen ihre Arbeit aufgeben.
       
       Die Medienschaffenden, die nicht ihren Beruf aufgeben mussten oder das Land
       verlassen haben, arbeiten unter prekären Bedingungen. Ihre Arbeit war zwar
       schon vor August 2021 gefährlich. Neben den Taliban hat auch der
       „Islamische Staat“ (IS) Anschläge verübt. Doch mit dem Machtwechsel kamen
       zahlreiche Vorschriften der Taliban hinzu.
       
       In der Provinz Kandahar etwa dürfen Journalist*innen keine Fotos und
       Videos mehr während Treffen von lokalen Taliban-Vertretern aufnehmen. In
       der Provinz Chost dürfen Frauen nicht mehr in Radio-und Fernsehsendungen
       sprechen. Hinzu kommen strikte Kleidervorschriften für Journalistinnen im
       ganzen Land. Die Taliban machen Medien auch inhaltliche Vorgaben, sie
       drohen und verfolgen Journalist*innen, greifen sie körperlich an, nehmen
       Reporter*innen fest, zensieren Berichte und durchsuchen Redaktionen.
       Auch Exilmedien müssen daher unter strikten Sicherheitsvorkehrungen
       arbeiten: Reporter*innen in den verschiedenen Provinzen des Landes
       kennen einander nicht und veröffentlichen unter Pseudonym.
       
       ## Widerstand aus dem Exil
       
       RSF erinnert aber auch an den Widerstand afghanischer Journalist*innen. Sie
       recherchieren trotz schwierigster Bedingungen vor Ort weiter oder
       informieren die Bevölkerung aus dem Exil – auch wenn der Weg ins Exil für
       die meisten Medienschaffenden voller Fallstricke und Umwege ist.
       
       Der Gründer des investigativen Online-Magazins [5][Etilaatroz], Zaki
       Daryabi, floh im Oktober 2021 aus Kabul. Vor seiner Abreise wurden sein
       jüngerer Bruder und ein Etilaatroz-Kameramann festgenommen und verprügelt,
       als sie über einen Frauenprotest in Kabul berichteten. Auch Daryabi erhielt
       eine Vorladung. Er ging aber nicht zur Polizei, um nicht festgenommen zu
       werden. Ihm und anderen Mitarbeitenden des Magazins gelang es vielmehr,
       Flugtickets zu bekommen und das Land zu verlassen. In den USA konnte
       Daryabi einen Teil des über die ganze Welt verstreuten Teams von Etilaatroz
       wieder zusammenbringen, um sein Online-Magazin und die Online-Zeitung
       [6][KabulNow] neu zu starten. Beide Medien haben inzwischen mehrere
       Mitarbeitende im US-Bundesstaat Maryland und Korrespondent*innen in
       Afghanistan. Ihre Online-Leser*innenschaft wächst.
       
       Diese Entwicklung haben die Taliban nicht vorausgesehen: Eine neue
       Generation von vernetzten Afghan*innen, die sich seit zwei Jahrzehnten an
       den Konsum relativ freier und pluralistischer Medien gewöhnt hatten und
       sich von den Taliban nicht vorschreiben lassen, wie sie denken und
       kommunizieren sollen, ist entstanden.
       
       Die Autorin ist Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen in Berlin mit
       dem Schwerpunkt Asien 
       
       Afghanistan: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 178
       
       Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage
       der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der
       Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [7][hier].
       
       4 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-Pressefreiheit/!t5007487
 (DIR) [3] /Flucht-aus-Afghanistan/!5949936
 (DIR) [4] http://aiju.af/
 (DIR) [5] https://en.wikipedia.org/wiki/Etilaatroz
 (DIR) [6] https://kabulnow.com/
 (DIR) [7] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anne Renzenbrink
       
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