# taz.de -- Aufnahme von Menschen aus Afghanistan: „Ein echtes Blockadeprogramm“
       
       > Die Bundesregierung wollte Schutzbedürftige aus Afghanistan aufnehmen,
       > legt ihnen aber große Steine in den Weg. Zuletzt gab es immerhin
       > Hoffnung.
       
 (IMG) Bild: Protestaktion, um die Ortskräfte zu evakuieren, in Berlin im August 2022 – bis heute ist nicht viel passiert
       
       FRIEDRICHSHAFEN taz | Eigentlich wollte Deutschland mit dem
       Bundesaufnahmeprogramm besonders gefährdeten Menschen aus Afghanistan
       Sicherheit bieten. Doch bisher lief es sehr schleppend. Auch in der
       Ampelkoalition sorgt das für Unmut. „Der gute Wille auf dem Papier bringt
       uns rein gar nichts“, sagt etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh.
       
       Mitte August 2021 hatten die Taliban erneut die Macht in Afghanistan
       übernommen. Deutschland versprach, [1][nicht nur Ortskräften], sondern auch
       anderen gefährdeten Menschen zu helfen. Das geschah zunächst über eine
       sogenannte Menschenrechtsliste, später über ein Überbrückungsprogramm und
       schließlich, seit Oktober 2022, mit dem Bundesaufnahmeprogramm.
       
       Doch die Kritik an dessen schlechter Umsetzung reißt nicht ab. Eine Folge
       davon ist laut Lindh, dass die Zahl der Asylgesuche gestiegen ist. „Wir
       erreichen damit nur, dass die Menschen wieder mehr die gefährlicheren
       Fluchtwege nutzen“, betont Lindh. Eben das dürfe nicht das Ziel sein.
       
       Ende Juni 2023 wurden die Verfahren um ein Sicherheitsinterview mit den
       Betroffenen ergänzt. Seitdem finden sämtliche humanitäre Visaverfahren für
       Afghan*innen ausschließlich in Pakistan statt. Zusagen stehen zudem bis
       zur Erteilung des Visums unter Vorbehalt. Sie können jederzeit
       zurückgenommen werden. [2][Die taz hat über mehrere solcher Fälle
       berichtet].
       
       ## Ein „echtes Blockadeprogramm“
       
       „Betroffene haben die Sicherheit erst, wenn sie im Flieger nach Deutschland
       sitzen“, sagt Canan Canlı, Vize-Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft
       Migration und Vielfalt in der SPD. Die Prüfungen seien langwierig,
       intransparent und kräftezehrend für die Schutzsuchenden. Ablehnungen würden
       nicht einmal begründet.
       
       Obendrein müssten Betroffene es erst mal „irgendwie“ ins Nachbarland
       Pakistan schaffen, wo die Verfahren stattfinden. So würden Menschen trotz
       der Gefährdung, die deutsche Ministerien anerkennen, im Stich gelassen.
       Canlı spricht „von fehlendem politischen Willen“. Dabei seien die Fakten
       bei Afghanistan so klar wie sonst selten: „Die Gefahr für die
       zurückgelassenen Menschen ist für alle sichtbar und eindeutig.“
       
       Canlı bezieht sich auch auf [3][den Zwischenbericht der Enquetekommission
       des Bundestags zum deutschen Engagement in Afghanistan]. Dennoch folgten
       aus den darin bemängelten Fehlern keine Konsequenzen „Die Regierung fühlt
       sich zu wenig unter Druck gesetzt“, ärgert sich Canlı über die Koalition,
       an der ihre Partei beteiligt ist. Das Aufnahmeprogramm werde seinem Namen
       nicht gerecht, sei vielmehr ein „echtes Blockadeprogramm“, so die
       SPD-Politikerin aus Kiel. Aus ihrer Sicht müsse das Verfahren komplett neu
       aufgelegt werden. „Oder will man warten, bis die Betroffenen tot sind,
       damit man sie nicht mehr retten muss?“
       
       1.000 Aufnahmezusagen pro Monat sollten erteilt werden. Lange lag der
       Monatsschnitt nicht einmal bei 70. Seit dem offiziellen Start des Programms
       im Oktober 2022 bis Anfang Februar dieses Jahres hatte es gerade einmal
       1.079 Zusagen und 105 Einreisen gegeben.
       
       Doch nun scheint Bewegung hineinzukommen: Zuletzt seien die Zahlen
       „deutlich gestiegen“, betont der SPD-Abgeordnete Lindh. Die Gesamtzahl der
       Zusagen betrug Ende April 2.208, die Gesamtzahl der Einreisen 399. Die Zahl
       der Zusagen hat sich also etwa verdoppelt. Und die Zahl der
       Schutzbedürftigen, die tatsächlich einreisen konnten, hat sich beinahe
       vervierfacht – auch wenn das Niveau noch immer niedrig ist. Laut Lindh ist
       das Programm also erst jetzt gestartet. „Davor konnte davon nicht ernsthaft
       die Rede sein“, sagt der SPD-Politiker.
       
       20 May 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Reiner
       
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