# taz.de -- Deutsche Waffenlieferungen an Israel: „Ausfuhrgenehmigungen stoppen“
       
       > Die Menschenrechtsorganisation ECCHR will Deutschland juristisch daran
       > hindern, Waffen an Israel zu liefern. Grund ist die Art der Kriegsführung
       > in Gaza.
       
 (IMG) Bild: Zerstörte Wohnhäuser im Norden des Gazastreifens im Februar 2024
       
       taz: Herr Schwarz, wie ist die Idee entstanden, gegen die Lieferung
       deutscher Waffen an Israel vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu klagen? 
       
       Alexander Schwarz: Menschenrechte mit juristischen Mitteln durchzusetzen
       steht im Zentrum unserer Arbeit als Menschenrechtsorganisation. Dazu
       gehört, grundlegende Rechtsprinzipien, wie die Achtung des humanitären
       Völkerrechts, juristisch zu verteidigen. Auch arbeiten wir bereits seit
       mehreren Jahren gegen Rüstungsexporte und haben wiederholt juristische
       Interventionen gegen Waffenexporte nach Saudi-Arabien unternommen. Hinzu
       kommt, dass unsere Organisation seit Jahren mit palästinensischen
       Partnerorganisationen im Westjordanland und in Gaza kooperiert. Viele
       unserer palästinensischen Kolleg:innen in Gaza haben Familienangehörige
       und Freunde durch die israelische Kriegsführung verloren, darunter viele
       Kinder. [1][Nach den brutalen Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober] und den
       israelischen Reaktionen wurde für uns deshalb schnell deutlich, dass die
       Einhaltung des internationalen Rechts im Gazakrieg juristisch verteidigt
       werden muss. Es ist eben doch sehr offenkundig, dass die israelische Armee
       in Gaza gegen humanitäres Völkerrecht verstößt. Wir erheben die Klage
       deshalb im Namen von fünf betroffenen Palästinensern, die gegenwärtig in
       Rafah ausharren, bereits aber mehrfach vertrieben wurden und aktuell um ihr
       Leben bangen. Uns geht es dabei allein um die Art und Weise, wie Israel
       diesen Krieg in Gaza führt. Das betrifft weder das Selbstverteidigungsrecht
       noch das Existenzrecht des Staates Israel.
       
       Was werfen Sie der Bundesregierung in Ihrer Klage juristisch vor? 
       
       Wir berufen uns in unserer Klage auf das Kriegswaffenkontrollgesetz. Danach
       ist eine Ausfuhrgenehmigung von Kriegswaffen zu versagen, wenn Grund zu der
       Annahme besteht, dass die Bundesrepublik durch die Genehmigung gegen ihre
       völkerrechtlichen Verpflichtungen verstößt. Deutschland ist in Hinblick auf
       Rüstungsexporte europäische und internationale Verpflichtungen eingegangen,
       die wir im Falle von Kriegswaffenexporten nach Israel als verletzt ansehen.
       Konkret sehen wir Verstöße gegen den Waffenhandelsvertrag, die Genfer
       Konventionen von 1949 aber auch gegen Verpflichtungen aus der
       Völkermordkonvention. Im Kern geht es um die Art und Weise der israelischen
       Kriegsführung. So sieht der internationale Waffenhandelsvertrag vor, dass
       ein Rüstungsgut nicht exportiert werden darf, wenn ein überwiegendes Risiko
       besteht, dass damit schwere Verletzungen gegen humanitären Völkerrechts
       begangen werden. Nach unseren Erkenntnissen, gibt es klare Anhaltspunkte
       dafür, dass die israelische Armee [2][in Gaza schwere Verletzungen gegen
       humanitäres Völkerrecht und sogar Kriegsverbrechen begeht.] Das
       Kriegswaffenkontrollgesetz funktioniert bei Verstößen wie ein Riegel, den
       wir jetzt aktivieren wollen. Wir haben deshalb im Wege des
       Eilrechtsschutzes beantragt, die Ausfuhrgenehmigungen der Bundesregierung
       zu stoppen.
       
       Im Fall der Klage Nicaraguas gegen die [3][Waffenlieferungen der
       Bundesrepublik an Israel], argumentieren die deutschen Vertreter, man
       liefere nur defensive Waffen und überprüfe deren Einsatz. 
       
       Tatsächlich hat der deutsche Vertreter vor dem Internationalen Gerichtshof
       argumentiert, dass die Bundesregierung seit Oktober nur vier Genehmigungen
       für den Export von Kriegswaffen nach Israel erteilt habe. Von diesen
       Lieferungen sind insbesondere 3.000 genehmigte Panzerfäuste für unsere
       Klage relevant. Die Panzerfäuste sind für den Einsatz in Gaza bestimmt und
       stammen aus deutscher Produktion. Allerdings kann bei Panzerfäusten nicht
       von Defensivwaffen gesprochen werden. Trotz der Bezeichnung als
       Panzerabwehrwaffen handelt es sich bei Panzerfäusten um einen Waffentyp,
       der in ganz verschiedenen Situationen eingesetzt wird, wie etwa im
       Bodenkrieg, in städtischen Gebieten oder bei Angriffen auf Gebäude und
       Infrastruktur. Wir tragen in unserer Klage deshalb vor, dass Panzerfäuste
       desselben Typs, wie diejenigen aus deutscher Produktion, durch die
       israelische Armee bei mutmaßlich völkerrechtswidrigen Angriffen zum Einsatz
       kommen. Als Beleg hierfür haben wir unter anderem durch soziale Medien
       verbreitete Videoclips zusammengestellt, welche die Verwendung dieser
       Waffen durch die israelischen Streitkräfte in Gaza zeigen.
       
       Die israelische Armeeführung sagt, dass die Zahl der bei den Kämpfen
       getöteten Zivilisten im Vergleich zu anderen Kämpfen im urbanen Umfeld, so
       wie der Vertreibung des Islamischen Staates aus der irakischen Stadt
       Mossul, gering sei. 
       
       Wir sehen ein ganz anderes Lagebild, bestätigt von
       Menschenrechtsorganisationen und Berichten von Organen der Vereinten
       Nationen. 70 bis 80 Prozent aller Gebäude im Gaza-Streifen wurden zerstört
       oder beschädigt. Dabei handelt es sich nach unseren Erkenntnissen in den
       meisten Fällen um zivile Gebäude, darunter Krankenhäuser, Schulen,
       Moscheen, Nahrungsproduktionsstätten und zivile Versorgungsanlagen. Das
       Büro des Hochkommissars für Menschenrechte, auf dessen Berichte wir in
       unserer Klage verweisen, hat gleich mehrere Bombardierungen durch die
       israelischen Streitkräfte dokumentiert, durch die mehrstöckige Gebäude
       vollständig zerstört wurden, wobei in mehreren Fällen durch einen einzigen
       Angriff mehr als hundert Zivilisten getötet wurden. Hinzu kommt, dass dabei
       nach unseren Recherchen kein militärisches Ziel ersichtlich war. Auch macht
       die Tatsache, dass sich unter einem Wohngebäude ein Hamas-Tunnel befindet,
       das Wohngebäude nicht automatisch zu einem legitimen militärischen Ziel.
       Vielmehr muss geprüft werden, ob das untertunnelte Gebäude aufgrund seiner
       Zweckbestimmung oder seiner konkreten Verwendung überhaupt wirksam zu
       militärischen Handlungen beiträgt. Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit
       zu wahren. Steht also beim Beschuss eines militärischen Ziels die
       unvermeidbare Inkaufnahme ziviler Opfer nicht im Verhältnis zu einem
       militärischen Vorteil, muss der Kampfeinsatz unterbleiben. Wir sehen durch
       die Art und Weise der israelischen Kriegsführung gewichtige Anhaltspunkte
       dafür, dass diese Regeln systematisch missachtet werden und die israelische
       Armeeführung offenkundig bereit ist, hohe zivile Opferzahlen in Kauf zu
       nehmen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: dass Israel
       grundsätzlich das Recht hat, sich gegen Angriffe zu verteidigen, steht
       außer Frage. Dieses Recht darf jedoch nicht zur Rechtfertigung von
       Verstößen gegen humanitäres Völkerrecht, quasi als Blankoscheck, herhalten.
       Völkerrechtlich handelt es sich beim Selbstverteidigungsrecht um das „Ob“
       eines Krieges, hinsichtlich der Kriegshandlungen jedoch um das „Wie“. Beide
       Rechtsbereiche sind strikt zu trennen. Damit ist aber auch klargestellt,
       dass gezielte Tötungen von Zivilisten, die unverhältnismäßige Inkaufnahme
       von zivilen Opfern und wahllose Eigentumszerstörungen oder das Aushungern
       der Bevölkerung vom Recht auf Selbstverteidigung nicht umfasst werden.
       
       Müssen deutsche Politiker damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu
       werden? 
       
       Nein. Bei unserer Klage handelt es sich um eine verwaltungsrechtliche
       Klage, die darauf abzielt, die erteilten Ausfuhrgenehmigungen von
       Kriegswaffen aufzuheben. Sollte die Klage Erfolg haben, hätte dies zur
       Folge, dass noch nicht erfolgte Lieferungen von Kriegswaffen, die unter
       diese Genehmigung fallen, von Deutschland nicht weiter ausgeliefert werden
       dürften. Es geht bei unserer Klage also nicht um die individuelle
       Verantwortlichkeit einzelner Personen oder Akteure.
       
       Müssen die Kriegsverbrechen nicht wie im Falle des Krieges in
       Ex-Jugoslawien strafrechtlich aufgearbeitet werden? 
       
       Strafrechtlich könnten diejenigen Personen zur Verantwortung gezogen
       werden, die in Israel und Gaza Kriegsverbrechen oder andere
       Völkerstraftaten begehen, solche anordnen oder Beihilfe leisten. Das gilt
       für Angehörige der israelischen Streitkräfte ebenso wir für Kämpfer der
       Hamas. Wenn es die deutsche Strafjustiz mit dem Versprechen des
       Völkerstrafrechts ernst meint, sollten umgehend Ermittlungen auf Grundlage
       des deutschen Völkerstrafgesetzbuches erfolgen. Unsere Organisation hat
       deshalb bereits im letzten Dezember die Bundesanwaltschaft öffentlich dazu
       aufgefordert, sowohl die Tötung der deutsch-palästinensischen Familie
       Abujadallah aus Gaza als auch [4][die Tötung der Deutsch-Israelin Shani
       Louk] als Kriegsverbrechen zu untersuchen. Bislang hat die
       Bundesanwaltschaft allerdings verlautbaren lassen, dass sie keine
       Anhaltspunkte für die Begehung von Völkerstraftaten sieht. Eine
       Entscheidung, die sich, zumindest juristisch, nicht nachvollziehen lässt.
       Schließlich ist die Bundesanwaltschaft nach dem Legalitätsprinzip
       verpflichtet, jedem Anfangsverdacht einer Straftat nachzugehen. Und
       natürlich dürfen Entscheidungen über eine Strafverfolgung nicht von
       politischen Folgen abhängig gemacht werden, auch bei entgegenstehender
       Staatsraison. Gleichzeitig sollte man sich bereits an den Gedanken
       gewöhnen, dass nicht nur Kämpfer der Hamas, sondern in nicht allzu ferner
       Zukunft auch israelische Soldaten und Befehlshaber Gegenstand von
       Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag sein
       dürften. Dort werden gerade aktiv Ermittlungen in beide Richtungen geführt,
       Beweise gesammelt und Zeugen angehört. Das Weltstrafgericht ist dem
       Anspruch der Universalität in besonderer Weise verpflichtet und wird sich
       hoffentlich nicht von politischer Opportunität leiten lassen.
       
       19 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Eskalation-im-Nahost-Konflikt/!5965541
 (DIR) [2] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!5996322
 (DIR) [3] /Studie-zu-Waffenexporten/!6002667
 (DIR) [4] /Nachruf-auf-entfuehrte-Shani-Louk/!5970092
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Gaza
 (DIR) Israel
 (DIR) Rüstungsexporte
 (DIR) Justiz
 (DIR) Internationaler Gerichtshof
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Palästina
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Israel
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Schwerpunkt Nahost-Konflikt
 (DIR) Rüstungsexporte
 (DIR) Rüstungsexporte
 (DIR) Gaza-Krieg
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nicaraguas Klage vor dem IGH: Eilantrag abgewiesen
       
       Der Internationale Gerichtshof lehnt Nicaraguas Antrag gegen Deutschlands
       Hilfe für Israel ab – und den deutschen Antrag, die Klage nicht zuzulassen.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Bau von Pier vor Gaza begonnen
       
       Der von den USA angekündigte temporäre Hafen vor Gazas Küste ist im Bau.
       Wegen der bevorstehenden israelischen Offensive in Rafah haben Zehntausende
       die Stadt verlassen.
       
 (DIR) Propalästinensisches Zeltlager: Nur Hummus oder auch Hamas?
       
       Die Teilnehmer*innen eines propalästinensischen Camps beklagen
       Repressionen der Polizei. Laut Medienberichten sollen einige Terror
       verharmlosen.
       
 (DIR) Krieg in Nahost: Der Erste zieht Konsequenzen
       
       Der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes ist wegen des Versagens um
       den 7. Oktober zurückgetreten. Andere bleiben.
       
 (DIR) Bataillon „Netzach Jehuda“: Sanktionen gegen israelische Militäreinheit
       
       US-Außenminister Blinken stellt Maßnahmen gegen die Militäreinheit „Netzach
       Jehuda“ in Aussicht. Ihr werden Menschenrechtsverstöße im Westjordanland
       vorgeworfen.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahostkrieg+++: Zypern kündigt Hilfe für Gaza an
       
       Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis will die EU-Hilfslieferungen für
       Gaza über den Seekorridor wieder aufnehmen. Im Westjordanland kam es erneut
       zu Gewalt.
       
 (DIR) +++ Nachrichten im Nahostkrieg +++: Erdoğan trifft Hamas-Chef
       
       Der türkische Staatspräsident empfängt in Istanbul den Chef der
       radikalislamischen Hamas, Ismail Hanijeh. US-Medien zufolge erwägt die
       Hamas, Katar zu verlassen.
       
 (DIR) Deutsche Waffen für Israel: Beamte kritisieren Nahost-Politik
       
       Hunderte Mitarbeiter von Ministerien fordern, keine Waffen mehr an Israel
       zu liefern. Auf eine entsprechende Klage reagiert die Regierung reserviert.
       
 (DIR) Studie zu Waffenexporten: Deutsche Panzerfäuste in Gaza
       
       Deutschland ist Israels zweitgrößter Waffenlieferant, sagt eine neue
       Studie. In den Wochen nach dem 7. Oktober 2023 nahmen die Exporte stark zu.
       
 (DIR) Kritik an Deutschlands Israel-Politik: Strafanzeige gegen die Regierung
       
       „Beihilfe zum Völkermord“ in Gaza wirft eine Gruppe deutscher
       Jurist*innen unter anderem dem Kanzler vor. Die Aussichten sind
       allerdings gering.