# taz.de -- Angriffe auf Politiker:innen: Bedrohungsallianz von rechts
       
       > Die Angriffe auf Politiker:innen passieren nicht im luftleeren Raum.
       > Sie geschehen in einem Klima, in dem Terror von rechts lang ignoriert
       > wurde.
       
 (IMG) Bild: Eine Demo der rechtsextremen „Freien Sachsen“ im November 2022 in Dresden
       
       Der Beginn bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Schon in den ersten
       Tagen des Wahlkampfs für die Europa- und Kommunalwahlen gab es Angriffe auf
       Politiker:innen. Am Freitag voriger Woche wurde der
       [1][SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke] beim Aufhängen von Wahlplakaten
       brutal zusammengeschlagen. Er erlitt einen Jochbeinbruch, Hämatome und
       Schnittverletzungen.
       
       Mit blauem Auge und Pflaster zeigte er sich später bei X. Tatverdächtig
       sind vier Jugendliche zwischen 17 und 18 Jahren, die Kontakte zur
       rechtsextremen Szene gehabt haben sollen. Es gibt Hinweise auf Verbindungen
       zur rechtsextremen Gruppierung „Elblandrevolte“.
       
       Am Dienstag, vier Tage nach dem Angriff auf Ecke, wurden in Dresden die
       [2][Grünen-Kommunalpolitiker:innen Yvonne Mosler und Cornelius
       Sternkopf attackiert,] auch dieser Angriff geschah beim Aufhängen von
       Wahlplakaten. Tatverdächtig sind ein Mann und eine Frau. Der Mann soll die
       Politikerin beiseite gestoßen und bedroht haben, die Frau bespuckte sie.
       
       Am selben Tag schlug ein Mann in einer Berliner Bibliothek der
       Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey einen Beutel mit hartem Inhalt auf
       den Kopf. Der Tatverdächtige könnte laut Polizei eine psychische Erkrankung
       haben. Die grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin
       [3][Göring-Eckardt, wurde nach einer Parteiveranstaltung in
       brandenburgischen Lunow-Stolzenhagen] bedrängt.
       
       ## Entkultivierung in den Debatten
       
       Deutschland 2024, ganz normal? Festellen lässt sich eine Entkultivierung
       in den Debatten. Sie ist schon lange offensichtlich, bei Themen wie der
       Flüchtlingspolitik, bei Subventionskürzungen für die Agrarwirtschaft und
       dem Heizungsgesetz. Den Worten folgen Taten.
       
       Verbale Entgleisungen kamen und kommen nicht nur aus dem Milieu der AfD.
       Politische Gegner:innen werden als politische Feinde markiert – das ist
       eine semantische Differenz, der die Option innewohnt, entweder miteinander
       zu reden oder zuzuschlagen. Diese Differenz mag bei den Attacken auf die
       rot-grün-gelbe Bundesregierung aus der Opposition als auch aus den Medien
       nicht so bewusst zu sein.
       
       Bei der Analyse der Sprache des Nationalsozialismus warnte Victor Klemperer
       in „LTI“ aber gleich nach 1945: „Worte können sein wie winzige Arsendosen:
       Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und
       nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Die permanente Wiederholung
       von verbalen Angriffen treibt die Entkultivierung voran.
       
       So berechtigt die Kritik an der Bundesregierung sein mag, so auffällig ist
       eine Reduzierung. Die FDP wird weniger angefeindet. Der Hass und die Hetze
       [4][fokussieren sich vor allem auf die Grünen.] Bei den Bauernprotesten in
       diesem Winter fiel das besonders auf. Die Proteste offenbarten auch, dass
       die Enthemmung nicht bloß im Osten der Republik zunimmt. Im
       schleswig-holsteinischen Schlüttsiel verhinderten im Januar aufgebrachte
       Landwirt:innen, dass Robert Habeck eine Fähre verlassen konnte. Im
       baden-württembergischen Biberach mussten die Grünen wegen massiver Proteste
       ihren traditionellen Aschermittwoch absagen.
       
       ## Verharmlosung, Verdrängung, Vergessen
       
       Die Drohkulisse hat sich aber schon lange vor den Angriffen der vergangenen
       Tage aufgebaut. Die Taten passieren nicht im luftleeren Raum. Doch die
       Geschichte des rechten Terrors in der Bundesrepublik ist auch immer eine
       Geschichte der Verdrängung, Verharmlosung und des Vergessens. Eine
       Ignoranz, die auch mit ermöglichte, dass der NSU unerkannt zehn Menschen
       ermorden konnte.
       
       Die alltäglichen Angriffe in den Jahren nach der Wende von Rechtsextremen
       gegen alle, die als Feinde markiert waren, wurden erst fast 30 Jahre später
       unter dem Hashtag [5][„Baseballschlägerjahre“] breiter thematisiert. Die
       Brandanschläge in den 1990er Jahren, bei denen mindestens 32 Menschen
       starben, erinnert sich die weiße Mehrheitsgesellschaft kaum. Und wenn, dann
       zu den Jahrestagen von Mölln und Solingen, an denen an ein rituelles „Nie
       wieder“ gemahnt wird.
       
       Könnte einer der Gründe sein, was die Anwälte von Semiya Şimşek vor Beginn
       des NSU-Verfahren zum Umgang mit den Opfern fragten? „Liegt es daran, dass
       es eine schwache Bevölkerungsgruppe trifft, die Migranten?“ Der Vater von
       Şimşek, Enver Şimşek, war der Erste, der vom NSU ermordet wurde.
       
       Das Kaum-Erinnern fällt jetzt ebenso bei den Bedrohungen der
       Politiker:innen auf. Die Ermordung Walter Lübckes durch einen
       Rechtsextremen, der der AfD Geld spendete und an deren Kundgebungen
       teilnahm, wird bei der Bedrohung von Politiker:innen kaum bis gar
       nicht erwähnt. 2019 erschoss der Täter den Regierungspräsidenten, weil der
       CDU-Politiker sich für Geflüchtete einsetzte. Einer schoss, doch mehrere
       hatten lange zuvor den Ton gesetzt.
       
       ## Eingebettet in eine Hass-Community
       
       Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf denn auch Erika Steinbach
       via Twitter vor, eine „Mitschuld“ an dem Mord zu haben, da die Vorsitzende
       der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung „auf ihren Social-Media-Kanälen“
       Hass gegen Lübcke verbreitet habe.
       
       Schnell werden die Täter – überwiegend männlich – zu Einzeltätern erklärt.
       Sie alle sind jedoch, wie der Attentäter aus Halle und in Hanau, in eine
       Hass-Community eingebettet, die zur Tat antreibt. Ein Vorbild dieser
       internationalen „White Supremacy“-Szene ist der Attentäter, der in
       Neuseeland 51 Menschen hinrichtete.
       
       Das Morden konnte live auf einem Portal für Computerspiel-Videos verfolgt
       werden. Eine Gamefizierung des rechten Terrors, bei dem das Publikum im
       Livestream weltweit zusehen kann.
       
       Vor Jahren warnten bereits Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter
       Sitzer vor neuen „Bedrohungsallianzen“. Diese Bedrohungen beginnen mit
       Verschiebungen auf der Einstellungsebene, schrieben sie 2020. Diese
       Verschiebungen bemühten sich aber manche Politikwissenschaftler:innen,
       Politiker:innen und Journalist:innen schon bei Pegida zu
       verharmlosen.
       
       Enttäuschte „Wutbürger“ seien da bloß auf der Straße, Galgen mit
       Politiker:innenfiguren irritierten allerdings schon ein wenig.
       Dieses Ausbrechen einer „rohen Bürgerlichkeit“ aus der gesellschaftlichen
       Mitte mahnte Heitmeyer früh an. Die Rohheit trifft
       Kommunalpolitiker:innen seit der Krise der Flüchtlingspolitik 2015
       und den Pandemiemaßnahmen 2020 verstärkt.
       
       ## Das autoritär-nationalradikale Milieu
       
       Die Bedrohungsallianz umfasst Einzelpersonen, die Einstellungen der
       gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit teilen, sowie ein Milieu von
       Bewegungen und Parteien, die „autoritär-nationalradikal“ ausgerichtet sind,
       als auch Zellen und Unterstützende, die terroristisch und klandestin
       agieren, schreiben Heitmeyer, Freiheit und Sitzer.
       
       Im Februar dieses Jahres offenbarte das kommunale Monitoring, dass 38
       Prozent der befragten Oberbürgermeister:innen und Landrät:innen
       Anfeindungen erleben mussten. Die rechtsextremen Straftaten sind 2023
       erneut gestiegen, auf 28.945. Die Gewalttaten auf 1.270. Insgesamt sind es
       über 41.640 Straf- und Gewalttaten.
       
       Statistisch werden pro Tag in Deutschland 117 rechtsextreme Taten verübt.
       Ein Terror, der bisher kaum aufschreckt. Der rechte Terror beginnt aber
       nicht erst, wenn geschlagen oder geschossen wird, er beginnt, wenn Menschen
       ihr Leben aus Angst umstellen. Und Wahlkämpfende sich überlegen müssen, wie
       sie sich schützen.
       
       11 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Speit
       
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