# taz.de -- Kunst und Einwanderung: Vom Rand aus gesehen
       
       > „There is no there there“ im MMK in Frankfurt am Main versammelt 30
       > Kunstschaffende mit Migrationshintergrund. Sie haben viel zu erzählen.
       
 (IMG) Bild: Woher kommt die Gurke noch mal? Vlassis Caniaris, „Sliced Cucumber“, 1974 (Ausschnitt)
       
       Das neue Vokabular in der fremden Sprache ist recht spezifisch:
       Mülltrennung, Besuchsordnung, Einweisungsschein. Nachts kommt der
       Hausmeister in die Zimmer der Eheleute und schaut, ob alles seine
       Richtigkeit hat. Das ist ungünstig für die Arbeiterinnen: „Wir müssen ja
       früh aufstehen!“ Želimir Žilniks grandioser Film „Hausordnung“ jongliert
       zwischen Vignetten, die sich der Wohnsituation von Gastarbeiterinnen und
       Gastarbeitern in der BRD anno 1976 widmen.
       
       Obwohl „There is no there there“ im Museum für Moderne Kunst (MMK)
       Frankfurt keine Schau über Gastarbeiter ist, handelt sie bisweilen von
       deren Lebensverhältnissen. Wohl weil ihre Künstlerinnen und Künstler selbst
       oft am Rand stehend auf das neue Land blickten.
       
       Kurator Gürsoy Doğtaş und MMK-Direktorin Susanne Pfeffer präsentieren 30
       Künstlerinnen und Künstler, die durch Anwerbeabkommen, Residenzen oder
       Kunststudium nach Deutschland gekommen waren – und einige auch als
       künstlerisch tätige ArbeiterInnen.
       
       Doğtaş hatte ein schlichtes Anliegen: Er wollte jene aufspüren, die im
       Curriculum der nachkriegsdeutschen Kunstgeschichte nicht vorkamen. Das
       unterscheidet diese bemerkenswert von anderen Ausstellungen zum Thema, die
       eher didaktische oder historische Ansätze verfolgen – oder sich gar nicht
       erst auf die Kunst jener, [1][von der sie eigentlich handeln wollen,
       einlassen].
       
       Zugehörigkeit und Ausschluss 
       
       Das mag symptomatisch sein für den deutschen Ausstellungsbetrieb, [2][der
       zwar regelmäßig US-amerikanischen Rassismus thematisiert], aber noch immer
       weniger Begriff davon zu haben scheint, wie Zugehörigkeit und Ausschluss in
       BRD, [3][DDR und auch davor konkret funktionierten].
       
       Zu sehen gibt es starke und zum Teil noch nie gezeigte Arbeiten, die
       ikonische Museumsarchitektur des MMK nehmen sie unerschrocken ein. Ihre
       Künstlerinnen und Künstler zeigen sich dennoch fast rührend bescheiden.
       
       „Ich bin kein politischer Künstler“, erklärt der in Iran geborene Maler
       Akhbar Bekalam (*1944) beim Eröffnungsrundgang. Gleichwohl hielt das
       Politische Einzug in seine Bilder: „Erst der Schah, dann die Ajatollahs“,
       kommentiert er sein damaliges motivisches Interesse an politischen
       Repressionen. Auf Bekalams Ölmalereien scheinen die Figuren geradezu aus
       dem Bild herauszudrängen.
       
       Fast jeder Raum des postmodernen Hans-Hollein-Baus ist eine
       Mikro-Inszenierung in sich. Ganz in Türkis getaucht der spitz zulaufende
       Bug, vor dem Serpil Yeters (*1956) und Hanefi Yeters (*1947) Malereien
       migrantischer Alltagsszenerien aus dem Westberlin der 1970er Jahre
       aufleuchten. Andere Kabinette zeigen Skulpturen, Textilarbeiten,
       Siebdrucke, Wandgemälde oder weitere Filme.
       
       Kunst, die für sich steht 
       
       Auch wenn die Biografie selbstredend eine Rolle bei der Auswahl spielte,
       geht die Schau vom Werk aus und schaut, welche Erzählungen sich aus ihm
       heraus ergeben. Die ausgewählte Kunst soll offenkundig für sich stehen,
       nicht als [4][Staffage zur Illustrierung einer gut gemeinten kuratorischen
       Absicht].
       
       In der Gesamtheit manifestieren sich so eigensinnige, einander durchaus
       widerstrebende, in alle Richtungen ausschwirrende Utopien wie auch
       Desillusionierungen. Von einem Ort, der Fremde heißt oder neue Heimat,
       wobei jene Begriffe, wie der Ausstellungstitel nahelegt, durchaus
       transformieren können.
       
       Während einige rasch ernüchtert waren von der neuen Lebensrealität, empfand
       mancher wie Želimir Žilnik Deutschland damals zumindest künstlerisch als
       „sehr, sehr offen“. Was seinen kritischen Blick auf Missstände gerade nicht
       entschärfte. Wieder andere suchten pragmatisch einen Ort, um weiter der
       Kunst nachgehen zu können.
       
       Gerade die südamerikanischen Künstlerinnen und Künstler richteten ihren
       Blick verstärkt auf die politischen Zustände in den autoritär geführten
       Ländern, aus denen sie nach Deutschland kamen. Bisweilen in den
       Realsozialismus: das war „kein Geschenk der DDR“, betont die Malerin und
       Bildhauerin Manuela Sambo (*1964), in Angola geboren, sondern „in harten
       Devisen bezahlt“. Die Schau zeigt Kunst aus BRD und DDR unterschiedslos
       gemeinsam, als ebenbürtigen Teil der Geschichte des heutigen Deutschlands.
       
       Ins geografisch Konkrete führt Drago Trumbetaš (1937–2018): Der Kroate war
       nach erfolgloser Bewerbung um ein Künstlerstipendium als Drucksetzer nach
       Frankfurt gekommen. Seine fein gezeichneten Beobachtungen des Alltags am
       Main zwischen Arbeitskampf und Ausländeramt bersten vor schwarzem Humor,
       der mal zart, mal derb eingesetzt wird.
       
       Auf dem Weg hinaus geht es dann noch einmal vorbei an den gespenstischen
       Figuren des griechischen Künstlers Vlassis Caniaris (1928–2011), die
       zwischen Ansammlungen bundesdeutscher Warenwelten auf gepackten Koffern
       sitzen. Verkehrsgrau scheinen die Hallenwände auf die Environments
       herunter: „Willkommen“ heißt es da auf einem Schild, und dort schon:
       „Arrivederci!“
       
       7 May 2024
       
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