# taz.de -- Mietenkrise in Berlin: Teurer als erlaubt
       
       > Der neue Mietspiegel zeigt: Die Mieten steigen unaufhörlich. Deutsche
       > Wohnen & Co enteignen veröffentlicht Rechner gegen Abzocke und trommelt
       > für Mietendemo.
       
 (IMG) Bild: Die Aussichten für Berlins Mieter*innen sind düster
       
       BERLIN taz | „Ganz Berlin zahlt zu viel Miete. Kannst du deine senken?“,
       steht in gelber Schrift auf lila Hintergrund auf der [1][Webseite des neuen
       Mietenchecks] von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Nur wenige Klicks und
       Fragen zu Größe, Kosten und Lage der Wohnung weiter weiß man, ob der
       Vermieter illegal zu viel verlangt und man per Mietpreisbremse dagegen
       vorgehen kann.
       
       Das ist gar nicht so selten: Ein Mietencheck in der taz-Redaktion ergibt:
       Viele derjenigen, für die die Mietpreisbremse gilt, zahlen vermutlich zu
       viel. Ein Beispiel: 800 Euro kalt für eine 80 Quadratmeter Wohnung in
       Kreuzberg. Das mag Wohnungssuchenden günstig vorkommen, in Wirklichkeit ist
       sie teurer als erlaubt: „Du könntest potenziell 216,70 bis 386,59 Euro an
       Miete pro Monat sparen“, so das Ergebnis des Rechners.
       
       Das ist allerdings nur eine vorläufige Einschätzung. Für eine verlässliche
       Prognose muss man nochmal 50 bis 60 weitere Fragen beantworten. „Das dauert
       so 10 bis 15, maximal 20 Minuten“, sagt Jonas Brinkhoff, der den
       Mietencheck entwickelt hat, am Donnerstag bei der Vorstellung des
       Onlinerechners. Hierbei werde der Datenschutz groß geschrieben, betont er.
       
       Doch gibt es so etwas nicht schon? Nein, sagt Brinkhoff. So gelte der
       [2][Rechner des Senats] nicht für ältere Mietverträge und kommerzielle
       Angebote wie Conny seien kostenpflichtig. Außerdem habe man versucht, das
       Ganze so verständlich wie möglich zu gestalten und man kann den Mietencheck
       auch auf Englisch machen. Bald sollen Türkisch und weitere Sprachen folgen.
       Den Mietvertrag und am besten noch einen Zollstock braucht man trotzdem. Am
       Ende gibt es eine ausführliche Auswertung, mit der man zur
       Mieter*innenberatung oder direkt zum Anwalt gehen kann.
       
       ## Mietspiegel ist Grundlage für Mieterhöhungen
       
       Grundlage des Rechners ist der Mietspiegel. Der aktuelle wurde von der
       Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ebenfalls am
       Donnerstag vorgestellt. Der Mietspiegel basiert auf Miet- und
       Ausstattungsdaten für rund 16.000 Wohnungen in der Hauptstadt und gilt für
       zwei Jahre.
       
       Der Mittelwert ortsüblicher Vergleichsmieten für das Jahr 2024 liegt bei
       7,21 Euro nettokalt pro Quadratmeter. Im Jahr zuvor lag er bei 7,16, wobei
       dies kein qualifizierter Mietspiegel war, also der mithilfe
       wissenschaftlicher Methoden erhoben wurde. Der letzte qualifizierte
       Mietspiegel stammt aus dem Jahr 2019 und beträgt 6,72 Euro pro
       Quadratmeter.
       
       „Erkennbar ist, dass insgesamt das Mietniveau im Mietspiegel 2024 moderat
       ist“, sagt Bausenator Christian Gaebler (SPD) bei der Vorstellung. Auch die
       CDU zeigt sich zufrieden und spricht ebenfalls von „moderaten
       Mietpreissteigerungen“.
       
       Doch auch wenn die Erhöhung „moderat“ ausfällt, seit Jahren kennt der
       Mietspiegel nur eine Richtung: Nach oben. Das hat Konsequenzen. Denn mit
       dem Mietspiegel können nicht nur Mieter*innen sehen, ob ihre Miete
       überhöht ist, sondern er ist die Grundlage für Vermieter*innen, wie viel
       sie die Miete legal anheben können.
       
       ## Opposition fordert Maßnahmen für Mieter*innenschutz
       
       „Der Mietspiegel gibt keinen Anlass zur Entwarnung“, sagt dann auch Niklas
       Schenker, Sprecher für Mieten und Wohnen der Linken. Dass der Mietenanstieg
       nicht höher ausgefallen ist, liege an den regulierten Mieten bei den
       Landeseigenen Wohnungsunternehmen. „Je mehr öffentliche Wohnungen, desto
       mietpreisdämpfender der Effekt für ganz Berlin. Rekommunalisierung und
       Vergesellschaftung sind der beste Mieterschutz.“
       
       Für die Grünen ist der neue Mietspiegel ein Beleg, „auf welch hohem Niveau
       die Belastung durch Mietsteigerungen der vergangenen Jahre ist“, so die
       Sprecherin für Wohnen und Mieten, Katrin Schmidberger. Sie fordert vom
       Senat mehr Maßnahmen für den Mieter*innenschutz.
       
       Der Bausenator winkt jedoch ab. „Das was wir in Berlin an
       Mietbegrenzungsmöglichkeiten umsetzen können, haben wir ausgeschöpft“, so
       Gaebler.
       
       ## Mietbremse hat zahlreiche Schlupflöcher
       
       Das dürften die Aktivist*innen von Deutsche Wohnen & Co enteignen
       anders sehen. Für sie ist der Mietspiegel in Wirklichkeit ein
       „Mieterhöhungsspiegel“. Und doch sind Mietspiegel und Mietpreisbremse die
       einzigen Instrumente, die geblieben sind, um Mieten zu senken.
       
       Nach dem [3][juristischen Scheitern des Vorkaufsrechts] und des
       [4][Mietendeckels] in Berlin hat die Bundesregierung keine Anstrengungen
       unternommen, diese Mieterschutzinstrumente auf Bundesebene
       wiederherzustellen. „Das ist ein eklatantes Versagen der Politik, die
       Rechnung zahlen die Mieter*innen“, so Sprecher Manuel Katzer. Und das im
       wahrsten Sinne des Wortes.
       
       Ein weiteres Problem am Mietspiegel: Er ist kompliziert und es gibt
       zahlreiche Ausnahmen. Das zeigt sich auch bei der taz-Umfrage: Für viele in
       der Redaktion ist er nicht anwendbar, weil ihr Mietvertrag zu alt ist, also
       vor dem 31. Mai 2015 abgeschlossen wurde.
       
       Auch bei möblierten Zimmern, Neubauwohnungen und nach umfassender Sanierung
       greift er nicht. Die Kollegin aus Neukölln mit der hohen Miete und dem
       neuen Dachstuhl hat also Pech gehabt.
       
       ## Demo gegen Mietenwahnsinn am Samstag
       
       So hilfreich der Rechner für die einzelnen auch ist, die Mietenkrise wird
       er nicht lösen. „Das einzige Mittel dagegen ist die Vergesellschaftung.
       Doch bis es so weit ist, suchen wir nach pragmatischen Lösungen, die
       Mieter*innenn helfen“, sagt Justus Henze von Deutsche Wohnen & Co
       enteignen. Die müssten sich nur organisieren, schließlich sind sie die
       große Mehrheit: Über 80 Prozent der Berliner*innen leben laut Senat in
       einer Mietwohnung.
       
       Das Mobilisierungspotenzial für die [5][Demonstration gegen
       Mietenwahnsinn], Verdrängung und Wohnungsnot am Samstag ist also groß. Über
       200 Initiativen und Gewerkschaften haben sich zusammengetan und fordern
       einen bundesweiten Mietendeckel, die Umsetzung des
       Enteignungs-Volksentscheids und das Verbot von Eigenbedarfskündigungen und
       Zwangsräumungen.
       
       Start ist um 14 Uhr am Potsdamer Platz, einem eindrücklichen „Beispiel für
       verfehlte Stadtentwicklungspolitik“, so Bündnissprecher Jonas Schelling.
       
       Das könnte bald auch für das Tempelhofer Feld gelten, wo die Demo ebenfalls
       vorbeiziehen soll. „Das Feld gibt es nur noch, weil die Berliner*innen
       sich gegen die Bebauungsfantasien wehren“, so Schelling. „Wir können die
       Stadt verändern, dafür müssen wir uns zusammentun“, ist er sicher. Denn:
       „Dass Mieten steigen, ist kein Naturgesetz. Und sie steigen auch nicht, sie
       werden erhöht.“
       
       30 May 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://mietencheck.de/
 (DIR) [2] https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/
 (DIR) [3] /Gekipptes-Vorkaufsrecht-bei-Immobilien/!5810896
 (DIR) [4] /Mietendeckel-Gesetz-in-Berlin/!5766576
 (DIR) [5] /Grossdemo-der-Mietenbewegung/!6012832
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marie Frank
 (DIR) Luise Greve
       
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