# taz.de -- Warenkunde auf TikTok: Gewürzgurken trenden im Netz
       
       > Was in den sozialen Medien an Essen viral geht, kommt dann auch in den
       > Innenstädten an. Eine große Rolle dabei spielen Food-Influencer*innen.
       
 (IMG) Bild: Gewürzgurken in Sachsen-Anhalt, 1999: bei der Präsentation der Ware hat sich seitdem einiges geändert
       
       HAMBURG taz | Als ich 15 oder 16 war, wollte ich, wenn ich aus meiner
       schwäbischen Kleinstadt nach Stuttgart fuhr, dort unbedingt Bratnudeln aus
       einer Pappbox essen. Die Box war aus weißer gefalteter Pappe, quadratisch,
       rot bedruckt, und hatte einen dünnen Henkel aus Draht. In meiner
       Heimatstadt gab es Anfang der 2000er asiatisches Essen nur im Restaurant.
       Die Boxen kannte ich aus Serien wie „[1][How I Met Your Mother]“, die ich
       nach der Schule im Fernsehen gesehen hatte.
       
       Es ging mir dabei weniger um das Essen, sondern die Form, in der es
       serviert wurde. Beim Fernsehgucken hatte sich in mir ein Bedürfnis
       entwickelt, das befriedigt werden wollte.
       
       Meine Mitschüler*innen hatten, wenn wir in Stuttgart waren, ebenfalls
       Bedürfnisse. Sie wollten den Kaffee einer amerikanischen Kaffeekette
       trinken und italienisches Essen in einem ganz bestimmten
       Systemgastronomierestaurant essen. Dass es Kaffee, Pizza und Pasta auch in
       unserer Kleinstadt gab, änderte daran nichts.
       
       Das Essen aus den Pappboxen und der Kaffee aus den Bechern mit dem grünen
       Logo fühlte sich irgendwie besser an: aufregend, erwachsen. Es schmeckte
       nach Schüleraustausch in den USA. Nach Großstadt. Nach Sitcom.
       
       Als ich ein paar Jahre später nach Norddeutschland zog, war das gerade auf
       der Höhe der Bubble-Tea-Welle in Deutschland. Und am Bahnhof gab es einen
       Asia-Imbiss, der seine Gerichte in der Pappbox anbot. Die war zwar nicht
       weiß mit roter Schrift, aber das heiß geliebte Pappboxgefühl war trotzdem
       da. Bubble Tea gab es auch. Mein Großstadtglück schien perfekt.
       
       ## Kampf um den Bubble-Tea
       
       Aber so schnell sie gekommen waren, so schnell verschwanden die
       Bubble-Tea-Läden auch wieder hier aus den Innenstädten. Die Geschichte von
       Bubble Tea in Deutschland, der Hype um 2012 und sein Niedergang ist
       inzwischen oft erzählt worden: In der Rheinischen Post wurde damals ein
       Wissenschaftler zitiert, dass in dem Getränk „jede Menge Dreck drin“ sei.
       Und dass er krebserregende Stoffe gefunden habe.
       
       Diese Studie wurde inzwischen mehrfach widerlegt und seit 2019 ist
       [2][Bubble Tea endlich wieder zurück]. Vor allem auf der Videoplattform
       Tiktok trenden seit ein paar Jahren Hashtags wie #bubbleteachallenge.
       User*innen filmen sich beim Versuch, den Strohhalm ohne Hinschauen in den
       mit einer Folie verschweißten Becher zu stechen, oder wie sie ihr Outfit
       nach Bubble-Tea-Geschmacksrichtungen auswählen.
       
       Junge Menschen schauen inzwischen keine Serien mehr auf Prosieben, sondern
       kurze Videos auf Tiktok, Instagram oder Youtube. Die sozialen Medien sind
       voll mit Essentrends, und die kommen dann auch in den Innenstädten an.
       
       Vor ein paar Tagen stehe ich in der Mönckebergstraße – einer zentralen
       Hamburger Einkaufsstraße – in einem Laden, der internationale Snacks und
       Süßigkeiten verkauft. Es riecht nach Zuckerwatte, die Wände sind pink. Eine
       junge Frau filmt die Auslage mit ihrem Handy. Eine Mutter kauft mit ihren
       zwei Kindern Süßigkeiten. In den Regalen liegen gerollte Tortillachips mit
       Chili für 5 bis 6 Euro die Tüte. Importiert aus den USA und Mexiko.
       Daneben: einzeln verpackte Gewürzgurken aus den USA für 3,50 Euro das
       Stück. Es gibt sie in über zehn verschiedenen Geschmacksrichtungen, von
       Dill bis Knoblauch. Die schnöde, von manchen vielleicht gar als spießig
       beäugte Gewürzgurke ist hier genauso hip wie die koreanischen Fertignudeln,
       die man hier ebenfalls kaufen kann.
       
       Das ich all das kenne, liegt unter anderem an der New Yorker Influencerin
       Skylar Marie. In ihren Videos sieht man zunächst meist andere Nutzer*innen,
       die Snackkombinationen ausprobieren. Dann ist Skylar Marie zu sehen, sie
       sagt „We’re trying this. Let’s go“ und beginnt den eben gesehenen Snack
       zuzubereiten. Sie püriert Käse-Chili-Chips zu Pulver, dippt Gewürzgurken
       hinein oder wickelt Eiscreme in Süßigkeiten und legt sie in den
       Gefrierschrank. Am Ende probiert sie die fertige Kreation, überlegt kurz
       und schließt mit einem „Mmh. That’s good“ oder „It’s not that bad“. Es geht
       um Schärfe, Süße, Säure und Knusprigkeit. Skylar Marie ist längst nicht die
       einzige, die solche Videos macht. Das Internet ist voll mit Chips-, Chili-
       und Gewürzgurken-Content.
       
       ## Gerollte Tortilla-Chips an jeder Ecke
       
       Inzwischen muss man nicht mal mehr in spezielle Läden gehen, um die
       Produkte zu bekommen. Die gerollten Tortillachips gibt es inzwischen fast
       in jedem Kiosk oder Supermarkt.
       
       Direkt neben dem pink-grellen Snack- und Süßigkeitenshop liegt die Filiale
       einer dänischen Bäckereikette. Das Licht ist gedämpft. In der Auslage liegt
       Sauerteigbrot für 6 Euro. Die Einrichtung ist minimalistisch und besteht
       aus Holz und Metall. Spätestens seit 2020 sind selbst gemachtes Brot und
       Gebäck im Internet groß geworden. Die Ästhetik ist eine andere, das Prinzip
       das gleiche. Nur, dass es hier statt saurer Gurken um Sauerteig geht.
       
       Während ich diesen Text schreibe, verabschiedet meine Kollegin sich zum
       Mittagessen mit ihrer Tochter. Sie hat ihr versprochen, ihr zum Nachtisch
       eine Zimtschnecke von einer bekannten Kette zu kaufen, die erst zwei Tage
       zuvor in der Stadt eröffnet hat. Die Schnecken kosten um die 5 Euro und es
       gibt sie mit vielen unterschiedlichen Füllungen, von Himbeere bis Pistazie.
       Ihren Erfolg verdanken sie viral-pastelligem Marketing auf Instagram.
       
       Am Abend sehe ich draußen erstaunlich viele junge Menschen mit
       Pappschachteln in der Hand. Die sind nicht weiß mit roter Schrift, sondern
       fliederfarben oder mit holografischer Folie beschichtet. Drinnen sind
       virale Zimtschnecken.
       
       7 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Alte-TV-Serien/!5895033
 (DIR) [2] /Von-TikTok-in-die-Fussgaengerzone/!5780863
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Franziska Betz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Schwerpunkt Stadtland
 (DIR) TikTok
 (DIR) Social Media
 (DIR) Essen
 (DIR) Käse
 (DIR) wochentaz
 (DIR) TikTok
 (DIR) Kolumne Geschmackssache
 (DIR) Social Media
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Käse aus künstlichen Milchproteinen: Innovation ganz ohne Tiermilch
       
       Der erste Käse aus künstlichen Milchproteinen wird diesen Sommer in den
       Handel gebracht – eine Weltpremiere. Ein Start-up aus Berlin macht’s
       möglich.
       
 (DIR) Bewusster Leben: Der lange Weg zum guten Essen
       
       Gutes Essen ist, was gut für die Gesundheit und gut fürs Klima ist. In
       Bremen fangen sie schon in den Kitas damit an.
       
 (DIR) AfD-Wahlkampf und junge Wähler:innen: Meinungsmache auf Crack
       
       Bei der Europawahl holt die AfD 16 Prozent bei den 16-24-Jährigen. Ein
       Grund: Radikalisierung bei TikTok. Junge sind dort sich selbst überlassen.
       
 (DIR) Tiktok-Hype um Takis-Chips: Chips für 70 Euro das Kilo?
       
       Gerollte Tortillachips mit scharfer Würzsoße machen eine erstaunliche
       Karriere in deutschen Spätis. Das liegt weniger am Geschmack als an Tiktok.
       
 (DIR) Social-Media-Trend Mukbang: Aus Liebe zum Schmatzen
       
       Sie sehen Menschen beim Essen, Schmatzen und Schlürfen zu. Was für manche
       ein Albtraum ist, ist für Fans des ASMR-Mukbang entspannend.