# taz.de -- Käse aus künstlichen Milchproteinen: Innovation ganz ohne Tiermilch
       
       > Der erste Käse aus künstlichen Milchproteinen wird diesen Sommer in den
       > Handel gebracht – eine Weltpremiere. Ein Start-up aus Berlin macht’s
       > möglich.
       
 (IMG) Bild: Jo-Anne Petri ist eine der sieben Produktentwickler:innen bei Formo
       
       BERLIN taz | Schienen erinnern noch an den Osthafen, dem alten Lagergebäude
       aus Backstein sind Glaskästen hinzugefügt worden, eine junge
       Mitarbeiter:innenschaft sitzt im strahlenden Sonnenlicht auf einer
       Terrasse und isst Gesundes aus Papp-Bowls. Um Medienfuzzis handelt es sich
       nicht bei ihnen, auch nicht um IT-ler. Anstelle von Studios und Büros gibt
       es hier inmitten des Mediaspree-Areals Laboratorien.
       
       Darin arbeiten Lebensmitteltechnolog:innen mit Hauben auf dem Kopf,
       Pipette in der Hand und Kitteln mit dem Schriftzug „Fo“ – das steht für
       [1][Formo], ein 2019 in Berlin gegründetes Start-up. Dieses wartet diesen
       Sommer mit einer Weltpremiere auf: Der erste Käse aus künstlich
       hergestellten Proteinen wird in die Supermärkte gebracht.
       
       Dass es nach fünf Jahren so weit ist, hat das Start-up nicht nur einer
       Vielzahl von Molekularbiolog:innen und Produktentwickler:innen
       zu verdanken. Die beiden Gründer, der Betriebswirt Raffael Wohlgensinger
       und die Molekularbiologin Britta Winterberg, konnten Investitionen von rund
       55 Millionen Euro einsammeln, so viel wie noch kein anderes europäisches
       Food-Tech-Unternehmen zuvor.
       
       Einem Bericht des Handelsblatts zufolge musste das junge Unternehmen
       Investor:innen sogar absagen, so groß war der Run auf die Firma und ihr
       Businesskonzept: Eine neue tierfreie Käsealternative soll hergestellt
       werden, kein Imitat aus pflanzlichen Ersatzmitteln wie Sojamilch, sondern
       „echten“ Käse aus Milchproteinen – statt aus Tiermilch sollen diese jedoch
       von einem Mikroorganismus kommen.
       
       ## Nachhaltigkeit ist oberstes Ziel
       
       Bis zu 97 Prozent CO2 meint das Start-up im Vergleich zur Herstellung von
       Tierkäse einzusparen, auch will es bis zu 90 Prozent weniger Wasser
       verbrauchen, Landnutzung ist mit 1 Prozent kaum vonnöten – und Tiere gar
       nicht. Obendrein soll sich das Laborprodukt in Aussehen, Geschmack und
       Substanz von seinem Vorbild, dem traditionell hergestellten Käse, nicht
       wesentlich unterscheiden. Klingt toll. Aber wie ist das möglich?
       
       „Die Grundidee ist, Proteine aus Mikroorganismen herzustellen, die dieselbe
       DNA tragen wie das Milchprotein“, erklärt Jo-Anne Petri, eine der sieben
       Produktentwickler:innen bei Formo. Rund 30 ihrer Kolleg:innen,
       spezialisiert in Biotechnologie, sind an dem zweiten Standort von Formo in
       Frankfurt am Main mit dieser Aufgabe beschäftigt.
       
       Präzisionsfermentation heißt ihre Methode. „Im Prinzip kann man das ganz
       gut mit der Bierherstellung vergleichen, bei der aus einem Mikroorganismus,
       dem [2][Hefepilz], durch die Zugabe von Zucker Alkohol gewonnen wird“, sagt
       Jo-Anne Petri. „Auch bei uns handelt es sich um einen solchen
       Stoffwechselprozess. Wir nehmen einen Mikroorganismus, zum Beispiel den
       Pilz Koji, und geben diesem Zucker und andere Mineralstoffe hinzu. Im
       Ergebnis erhalten wir nur keinen Alkohol, sondern Proteine.“
       
       Noch ist es nicht [3][Kasein], das die Forscher:innen aus den
       Mikroorganismen gewinnen, sondern ein anderes, in seiner Struktur ähnliches
       Milchprotein, das in Pulverform nach Berlin verschickt wird. Dort wird es
       zu Käse oder besser zu mehreren Käsesorten weiter verarbeitet.
       
       ## Geräte wie in jeder anderen Molkerei
       
       Denn darum geht es Formo: Käse in derselben Vielfalt herzustellen, wie es
       ihn auch aus Tiermilch gibt. „Bisher ist es uns gelungen, Feta, Frischkäse,
       Blauschimmel- und Weißschimmelkäse zu produzieren“, sagt Jo-Anne Petri. Mit
       diesen vier Sorten will das Start-up im Spätsommer den ersten Launch wagen.
       
       Im Produktentwicklungslabor stehen Geräte, wie man sie auch in jeder
       anderen Molkerei finden würde. Maschinen, mit denen die Käsemischung
       verrührt, erhitzt und homogenisiert wird. „Anders als bei der
       traditionellen Käseproduktion fällt bei uns nicht so viel Molke an, die
       separiert werden muss“, erläutert die Produktentwicklerin.
       
       „Unsere Mischung ist in ihrer Zusammensetzung schon viel näher an dem
       Endprodukt dran.“ Neben dem pulverförmigen Milchprotein kommt Wasser in den
       Käse, Salz sowie Fett aus pflanzlicher Herkunft. Petri: „Für den Feta
       Hellasdorf nehmen wir Sonnenblumenöl und Sheabutter.“
       
       Bis diese Rezeptur feststand, wurde viel herumexperimentiert, berichtet
       Petri. „Je nachdem welches Fett man in welchen Mengen hinzugibt, hat der
       Käse eine andere Konsistenz.“ Es wundert nicht, dass auch Gabeln zu den
       Arbeitsgeräten von Formo gehören. „Wir haben eine stabile Gruppe von
       Kollegen, die alle zwei Wochen zum Verkosten kommen“, so Petri.
       
       ## Eine schier unerschöpfliche Aufgabe
       
       Ebenso wichtig wie das Urteil der Verkoster ist das Ergebnis der
       Messgeräte. Wie gut man einen Frischkäse streichen kann, hängt von seiner
       Textur ab, und die lässt sich ebenso messen wie der pH-Wert, der wiederum
       für den Geschmack entscheidend ist. Um über die Qualitäten des „neuen“
       Käses Bescheid zu wissen und ihn mit seinem Vorbild vergleichen zu können,
       müssen die Forscher:innen jedoch erst einmal verstehen, wie tierischer
       Käse gemacht ist. Der gehört also ebenso analysiert – angesichts der
       Vielzahl an Käsesorten auf der Erde eine schier unerschöpfliche Aufgabe.
       
       „Wenn einer von uns in den Urlaub fährt, bringt er oft einen Käse mit, den
       wir dann untersuchen“, erzählt Jo-Anne Petri. So habe neulich ein Kollege
       einen Käse aus Sardinien mitgebracht. „Der hat genauso geschmeckt wie der,
       den wir gerade in der Herstellung hatten.“
       
       Auch der Geschmack des Fetas, den Petri mitentwickelt hat, ist schon sehr
       überzeugend. Die bröselige Konsistenz, der salzige, leicht säuerliche
       Geschmack kommt dem „echten“ Feta schon sehr nahe, ein Unwissender würde
       den Unterschied wohl kaum merken. „Für mich könnte er noch mehr nach Schaf
       oder Ziege schmecken“, meint Jo-Anne Petri. „Daran müssen wir noch
       arbeiten.“
       
       Trotz aller Selbstkritik ist der Produktentwicklerin eine gewisser Stolz
       anzumerken. „Als ich hier angefangen habe, habe ich mir das kaum vorstellen
       können.“
       
       ## Reicht der Laborkäse ans tierische Vorbild heran?
       
       Mit Stolz öffnet Petri auch den Kühlschrank, in dem der Camembert lagert.
       Sofort steigt der charakteristische Geruch in die Nase, die weiße
       Schimmelschicht lässt den Käse auch äußerlich sehr echt erscheinen. Was
       aber ist mit den Nährstoffen, reicht der Laborkäse auch in dieser Hinsicht
       an sein tierisches Vorbild heran? „Was den Fett- und den Proteingehalt
       angeht, ja“, sagt Jo-Anne Petri, in puncto Mineralstoffe und Vitamine sei
       man aber noch nicht so weit.
       
       In der Zukunft bleibt also noch viel zu tun. Neben der Anreicherung und
       Verfeinerung der bisherigen Käsesorten soll an weiteren gearbeitet werden.
       „Für viele Käsesorten eignet sich das Protein, das wir bisher herstellen
       können, nicht“, räumt Petri ein. Käse, der bei Hitze schmilzt und Fäden
       zieht, muss aus dem Milchprotein Kasein gemacht sein. Jo-Anne Petri gibt
       sich jedoch zuversichtlich: „Auch das werden wir bald herstellen können.“
       
       Ob dieser Versuch am Ende glückt, bleibt genauso abzuwarten wie die
       Bewährungsprobe der neuen Käseprodukte auf dem Markt. Formo will keine
       Nischenprodukte anbieten, sondern Käse, der so erschwinglich ist, dass er
       seinem tierischen Vorbild im großen Stil vorgezogen wird. Nur wenn das
       gelingt, kann das Start-up das Ziel erfüllen, mit dem es angetreten ist: in
       Sachen Nachhaltigkeit einen echten Unterschied zu machen.
       
       3 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://formo.bio/de/home-de/
 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Hefen
 (DIR) [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Casein
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karlotta Ehrenberg
       
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