# taz.de -- SPD nach der Europawahl: Should I stay or should I go
       
       > Nach der Europawahl hadert die SPD mit sich selbst und der Ampel. Kühnert
       > will kämpfen, Juso-Chef will mehr Sichtbarkeit. Und Scholz?
       
 (IMG) Bild: Für Olaf Scholz heißt es nach der Wahl: Augen zu und weiterregieren bis 2025. Aber wie?
       
       BERLIN taz | Feige ist Olaf Scholz jedenfalls nicht. Am Abend, an dem die
       SPD mit ihm als Frontrunner bei der Europawahl krachend gescheitert ist,
       spaziert er durch die schon merklich gelichtete Menge der GenossInnen in
       der Parteizentrale. Von Wahlparty kann keine Rede sein, es ist eher ein
       therapeutisches Beisammenstehen. Scholz wird fast scheu umringt, ein
       bisschen Händeschütteln, ein paar Selfies, kein Kommentar zum Ergebnis.
       
       Die SPD hat am Sonntag mit 13,9 Prozent ihr historisch schlechtes Ergebnis
       von 2019 unterboten und landete noch hinter der AfD. Und das, obwohl
       Generalsekretär Kevin Kühnert alles in diese Kampagne gelegt hatte. Früh
       hatte er sich mit den beiden Parteivorsitzenden darauf verständigt, neben
       Spitzenkandidatin Katarina Barley den Kanzler zu plakatieren. Kaum eine
       Verkehrsinsel, von der beide in den letzten Wochen nicht zweidimensional
       für Frieden und Besonnenheit warben.
       
       [1][Funktioniert hat es nicht]. Mag sein, dass der Friedenskanzler und der
       Kanzler, der Anfang Juni der Ukraine erlaubt hatte, westliche Waffen auch
       gegen Ziele in Russland einzusetzen, für viele nicht zusammenpassen. Aber
       auch der Kanzler, der einen Mindestlohn von 15 Euro forderte, der im
       Bundestag Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan angekündigt hatte,
       vermochte nicht die Stimmung zu drehen. Und das, obwohl die Themen Frieden,
       Soziales, Migration genau jene waren, die laut Umfragen für viele
       Wähler:innen wahlentscheidend waren.
       
       Doch statt wie geplant dazuzugewinnen, verlor die SPD mehr als 5 Millionen
       Wähler:innen, die bei der Bundestagswahl 2021 noch sozialdemokratisch
       gestimmt hatten – die Hälfte davon an das Lager der Nichtwähler:innen.
       
       ## Was heißt das für die Ampel?
       
       In der Parteizentrale herrscht am Tag danach vor allem Ratlosigkeit. Warum
       klappte es nicht mit der Mobilisierung der politischen Mitte, obwohl
       Kandidaten wie Matthias Ecke für die Demokratie doch buchstäblich den Kopf
       hingehalten hatten? Ecke wurde beim Aufhängen von Plakaten von rechten
       Jugendlichen verprügelt. Weshalb büßte die SPD ausgerechnet beim
       Brot-und-Butter-Thema soziale Sicherheit dramatisch an Vertrauen ein? Und
       was heißt das für die künftige Zusammenarbeit in der Ampelkoalition? Was
       für den Kanzler?
       
       Als Generalsekretär Kevin Kühnert am Montag vor die Presse tritt,
       entschuldigt er sich, dass er noch keine fertigen Antworten habe.
       Verständlich, außerdem sieht Kühnert selbst ziemlich fertig aus. [2][Dieser
       Wahlkampf, der sein Gesellenstück werden sollte], ging daneben. Nur ein
       paar Fragmente präsentiert er, neben sehr viel Selbstkasteiung.
       
       Es gebe offenbar Teile der Gesellschaft, „an die wir den Anschluss verloren
       haben“. Menschen mit kleinen Einkommen, Menschen im ländlichen Raum und in
       den ostdeutschen Bundesländern. Bei den gleichzeitig stattfindenden
       Kommunalwahlen wurde die SPD im Osten marginalisiert und selbst in der
       Hochburg Brandenburg von der AfD überflügelt. Kein gutes Omen für die
       Landtagswahl im Herbst.
       
       Die Nichtwähler:innen zurückzugewinnen, das sieht Kühnert als die große
       Aufgabe der kommenden Monate an. Und hat schon eine Idee: „Die Leute wollen
       uns kämpfen sehen.“ Einen Sparhaushalt auf Kosten des sozialen
       Zusammenhalts werde es mit der SPD nicht geben. Das kann man als
       Kampfansage an die FDP und an Finanzminister Christian Lindner verstehen,
       der die Schuldenbremse wie einen Heiligen Gral verteidigt.
       
       ## „Koalitionen sind kein Selbstzweck“
       
       Bedeutet das, dass die SPD bereit ist, die Ampel platzen zu lassen, sollte
       Lindner auf harten Einsparungen im Sozialen bestehen? Kühnert nennt das
       eine hypothetische Frage.
       
       Andere werden konkreter. „Koalitionen sind grundsätzlich kein Selbstzweck.
       Wir müssen als SPD sichtbarer werden und der FDP weniger durchgehen
       lassen“, so Juso-Chef Philipp Türmer zur taz. 30 bis 50 Milliarden im
       Haushalt einzusparen, sei ein Ding der Unmöglichkeit. „Wir brauchen
       [3][Ausnahmen von der Schuldenbremse] für Naturkatastrophen und die Hilfen
       für die Ukraine“, meint SPD-Urgestein Axel Schäfer zur taz. „Wenn die FDP
       da nicht mitmacht, muss man die Gretchenfrage stellen: wer soll überleben:
       Die Ukraine oder die Schuldenbremse?“ Oder die Ampel.
       
       Türmer und Schäfer kommen vom linken Flügel, sie repräsentieren nicht die
       Breite der Partei. Doch der Frust über den kleinsten Koalitionspartner ist
       groß in der SPD, das ist am Wahlabend spürbar. Und Finanzminister
       Christian Lindner ließ die SPD am Montag erneut abblitzen. Steuererhöhungen
       oder eine Aufweichung der Schuldenbremse seien mit seiner Partei nicht zu
       machen, sagte der FDP-Chef in Berlin. „Ich erwarte vom Kanzler, dass er den
       Koalitionsvertrag durchsetzt, der ihn stützt.“ So lange sich alle zu dieser
       Arbeitsgrundlage bekennen würden, gebe es keinen Grund an dem gegenseitigen
       Vertrauen zu zweifeln.
       
       ## „Wie hältst Du's mit Olaf“
       
       Der Frust über den Kanzler hält sich in der SPD noch in Grenzen. Die Frage
       „Wie hältst du’s mit Olaf?“ stellt kaum jemand öffentlich. Die Zeiten, als
       die SPD nach Wahlniederlagen ihr Spitzenpersonal feuerte, scheinen vorbei.
       Kühnert beeilt sich kurz nach Verkündung der ersten Prognose, Diskussionen
       zu zerstreuen. Es sei zu einfach, das Ergebnis für das schlechte
       Abschneiden „einer einzelnen Person in die Schuhe zu schieben“. Man gewinne
       zusammen und man verliere zusammen.
       
       Die Union hält die Frage genau für die richtige. Die Ampel müsse den Kurs
       wechseln oder Scholz die Vertrauensfrage stellen, forderte
       CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann 15 Minuten nach Schließung der
       Wahllokale. Falls die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag dem Kanzler
       das Vertrauen entzieht, wird neu gewählt. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte die
       Union stärkste Partei werden. Kühnert kontert: Er sehe keinen Auftrag für
       Neuwahlen, die Regierung sei handlungsfähig.
       
       Die SPD braucht jetzt vor allem eins: Zeit. „Beim letzten Mal lief es zur
       Europawahl auch nicht gut und trotzdem haben wir die Bundestagswahl
       gewonnen“, so ein Genosse in der Parteizentrale. Der einzige Trost ist
       momentan der Blick zurück.
       
       10 Jun 2024
       
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