# taz.de -- Klimakrise, Israel und Aufgeben: Frohe Kapitulation allerseits!
       
       > Anscheinend ist uns als Menschheit unser Leben nichts wert. Oder
       > zumindest die Leben unserer Kinder nicht, sollen sie doch verbrennen, die
       > Bälger.
       
 (IMG) Bild: Das Klima retten für die Zukunft
       
       Die ganze Woche schon summt es durch meinen Kopf: „Wenn du denkst, fuck it
       all, wie soll es weiter gehen? Kapitulation, Kapitulatio – hohn“. Ich war
       nie ein [1][Tocotronic]-Fan. Oder: Ich war Fan in der Theorie. Alles an den
       Hamburger Boys war richtig und gut, die Texte natürlich sowieso.
       
       Aber das Gitarrengeschrummel, die larmoyanten Stimmen, die unfassbar
       leiernden Melodien, das völlige Fehlen von Bass, Groove, Soul – da
       schliefen mir immer sofort Herz und Hirn und Hüften ein. Aber die Zeiten
       sind bitter – und irgendwie ist mir ihr Hit „Kapitulation“ zuletzt doch
       noch ans Herz gewachsen.
       
       Nach der Europawahl hatte ich das dringende Bedürfnis, mich ins Bett zu
       legen und einfach nie wieder aufzustehen. Wozu denn auch? Die Menschheit
       wird weder ein 1,5- noch ein 2,5- noch ein 3-Grad-Ziel in Sachen
       Erderhitzung einhalten.
       
       ## Alles Schöne einfach ausblenden
       
       Anscheinend ist uns als Menschheit unser Leben nichts wert. Oder zumindest
       die Leben unserer Kinder nicht, sollen sie doch verbrennen, die Bälger.
       Dann ist Ruhe.
       
       So wie ich jetzt muss sich mein Therapeut in meinen schlimmsten depressiven
       Phasen gefühlt haben: Jemandem gegenübersitzend, der nicht in der Lage ist,
       die Schönheit und Einzigartigkeit des Lebens zu erkennen, und der bereit
       ist, all das auszublenden für das Vertraute und Beschissene. Im Gegensatz
       zu mir hat er nie kapituliert – zu meinem Glück.
       
       Obwohl manchmal aufgeben das einzig Richtige ist. Weil man mit Kampf gerade
       nicht weiterkommt. So wie die Gruppe von acht Klimaaktivisten um Wolfgang
       Metzeler-Kick, die Kanzler Olaf Scholz mit einem Hungerstreik dazu bringen
       wollten, das Offensichtliche auszusprechen: Dass wir uns mitten in der
       Klimakrise befinden. Kurz vor dem 100. Tag der Nahrungsverweigerung haben
       sie aufgegeben. Das ist gut. Und [2][es stimmt natürlich, dass Scholz sich
       nicht erpressen lassen darf], selbst für eine gute Sache nicht.
       
       Es stimmt aber auch, dass er und die gesamte Ampel komplett kapituliert
       haben vor dem Thema Klimaschutz beziehungsweise vor ihrer Aufgabe, ihre
       Differenzen beim Wie zu überwinden, um ein paar gemeinsame Was zu
       erreichen.
       
       ## Israelhass – äh, Verzeihung – Israelkritik
       
       Vielleicht gibt es aber auch viel weniger gemeinsame Grundlinien, als ich
       immer dachte. So bin ich zum Beispiel mit der Überzeugung aufgewachsen,
       dass es in Deutschland eine nicht nur offizielle, sondern auch
       gesellschaftlich verankerte Staatsräson gibt, was die Solidarität mit
       Israel angeht.
       
       Etwas anderes konnte ich mir, nachdem ich „Als Hitler das rosa Kaninchen
       stahl“ gelesen hatte – also etwa 20 Jahre, bevor Angela Merkel es so
       formuliert hat –, nicht vorstellen. Inzwischen findet diskursiv eine
       schleichende Umdeutung statt: Die Staatsräson wird mehr und mehr zur
       lästigen Fessel, zur Handbremse beim Israelhass – äh, Verzeihung – bei der
       Israelkritik.
       
       Das ist nichts anderes als Kapitulation vor jedem echten Verständnis davon,
       wie Antisemitismus funktioniert – und wie er sich reproduziert, auch und
       gerade weil ‚wir‘ als gute Deutsche eben keine Faschisten mehr sein wollen.
       
       ## Aufgeheizte Stimmung gegen Israel
       
       Kapitulation deshalb, weil anders nicht zu erklären ist, wieso so viele
       sich als Antifaschist:innen verstehen und gleichzeitig versessen
       darauf sind, gerade Israel (und seine zweifellos ultrarechte und fatal
       agierende Regierung) zu kritisieren, nicht aber offen faschistische
       Organisationen wie die Hamas oder Irans Regime?
       
       Insofern freut es mich natürlich, dass die [3][Berliner CDU- und
       SPD-Fraktionen das nach unten gekehrte rote Dreieck], das im Umfeld von
       Pro-Palästina-Demos zuletzt immer wieder aufgetaucht ist, verbieten wollen.
       Schließlich ist es kein Symbol für Frieden und Verständigung zwischen
       Israelis und Palästinensern, sondern ein Symbol, mit dem die Hamas
       Anschlagsorte markiert.
       
       Aber ich mache mir nichts vor. Ähnlich wie ein noch immer ausstehendes
       AfD-Verbot kommt auch diese Aktion viel zu spät. Eine agitierte,
       aufgeheizte gesellschaftliche Bewegung wird sich dadurch nicht mehr
       einhegen lassen. Im Gegenteil. Jede Anstrengung scheint ja doch nur zu noch
       mehr Protest und nie zum Umdenken zu führen. In diesem Sinne also: Frohe
       Kapitulation!
       
       15 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=6nf-Vvi2FXI
 (DIR) [2] /Ende-des-Klima-Hungerstreiks/!6013643
 (DIR) [3] /Rotes-Dreieck/!6013688
       
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 (DIR) Ariane Lemme
       
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