# taz.de -- Ende Gelände über Verfassungsschutz: „Das ist ein krasser Zustand“
       
       > Der Verfassungsschutz stuft Ende Gelände als linksextremen Verdachtsfall
       > ein. Die Sprecherin der Organisation, Jule Fink, kritisiert die
       > Entscheidung.
       
 (IMG) Bild: Protestaktion gegen den Abriss des Dorfes Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier 2021
       
       wochentaz: Jule Fink, fühlen Sie sich überwacht? 
       
       Jule Fink: Es ist schon gruselig, dass der Verfassungsschutz jetzt das
       Recht hat, uns zu überwachen und verdeckte Ermittler*innen in unsere
       Gruppen einzuschleusen. Die Menschen, die sich fernab der Großstädte in
       kleinen Ortsgruppen engagieren, sind oft die einzigen in ihrer Region, die
       sich für Klimaschutz und gegen rechts einsetzen. Dass die sich jetzt genau
       angucken müssen, wer da eigentlich zu ihren Treffen kommt, macht uns
       wütend.
       
       [1][Ende Gelände] wurde vor allem durch Aktionen und Blockaden in
       Braunkohlerevieren bekannt. Hat [2][die Einstufung als linksextremer
       Verdachtsfall] im aktuellen Verfassungsschutzbericht Sie überrascht?
       
       Die Berliner Ortsgruppe wird schon [3][seit 2020 als Verdachtsfall
       geführt], von daher: nicht besonders. Wir wussten natürlich, dass der
       Verfassungsschutz ein rechter Inlandsgeheimdienst ist, der sich
       beschönigend „Verfassungsschutz“ nennt. Die Vertuschung der NSU-Morde, der
       jahrelange Vorsitz von Hans-Georg Maaßen, das ist ja genau so bekannt wie
       die Tatsache, dass die Behörde lieber linken Aktivist*innen
       hinterherschnüffelt, als sich um die Wahrung der Grundrechte zu kümmern.
       Trotzdem ist es ein Skandal.
       
       Ist Ende Gelände linksradikal? 
       
       Wir verstehen uns als antikapitalistische, antifaschistische,
       feministische und antikoloniale Gruppe. Das kann man als linksradikal
       bezeichnen. Wir sind basisdemokratisch, viele Treffen sind offen. Uns als
       extremistisch darzustellen, ist einer Demokratie unwürdig. Es ist
       besorgniserregend, wie die Klimabewegung zunehmend kriminalisiert wird.
       
       Ist der Verfassungsschutz nicht etwas spät dran? Der Höhepunkt von Ende
       Gelände ist doch vorbei. 
       
       Das würde ich so nicht sagen. Ende Gelände hat sich in den vergangenen
       Monaten umstrukturiert. Wir haben viele regionale Strukturen aufgebaut und
       machen nicht mehr eine Massenaktion pro Jahr, sondern mehrere. Insofern
       sind wir flexibler und unberechenbarer geworden. Aber ich kenne die
       Kriterien des Verfassungsschutzes nicht. Wenn ich mir den Bericht
       durchlese, scheinen sie mir sehr fragwürdig.
       
       Was war der Auslöser für den Umstrukturierungsprozess? 
       
       Wir haben festgestellt, dass eine Massenaktion mit rund 6.000 Menschen,
       [4][wie im Jahr 2019], eine starke Protestform ist, um die Aufmerksamkeit
       auf einen Ort der fossilen Zerstörung zu lenken, wie die Kohletagebaue im
       Rheinland. Es bedeutet aber auch einen enormen Organisierungsaufwand und
       ist relativ vorhersehbar. Wir wollten uns in die Lage versetzen, flexibler
       zu intervenieren. Auch als klar wurde, in welchem Maße Deutschland gerade
       mit den LNG-Terminals für Flüssiggas neue fossile Infrastruktur ausbaut.
       
       Was ist dieses Jahr noch geplant? 
       
       Wir bringen uns dieses Wochenende bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag
       in Essen unter dem Motto „Widersetzen“ ein, außerdem gibt es im August
       wieder ein „System Change Camp“. Das wird dieses Mal in Thüringen
       stattfinden, wir werden uns dort sicher auch viel mit Strategien gegen
       rechts beschäftigen. Wie vielen in der Klimabewegung ist es uns ein
       Anliegen, die Bereiche Verkehrswende und Mobilität zu thematisieren, weil
       es da so große Versäumnisse gibt. Ansonsten wollen wir uns weiter [5][auf
       den krassen LNG-Ausbau konzentrieren] und auch Kohle als Thema beibehalten.
       
       Am „System Change Camp“, also dem jährlich stattfindenden Klimacamp von
       Ende Gelände, stört sich der Verfassungsschutz in seinem Bericht besonders. 
       
       Auf den Camps veranstalten wir unter anderem Workshops zu den Themen
       Antikolonialismus, Klimagerechtigkeit oder der Notwendigkeit eines anderen
       Wirtschaftssystems. Das jetzt so darzustellen, als wäre es gegen die
       Verfassung, ist absurd. Die Verfassung schützt nicht kapitalistische
       Profite, sondern Grundrechte.
       
       Das Bundesamt behauptet, linksextreme Gruppen nutzten Klimaproteste als
       Zugang ins bürgerliche Spektrum. Was entgegnen Sie? 
       
       Das klingt wie eine absurde Verschwörungstheorie. Dass Klimagerechtigkeit
       im Kapitalismus nicht möglich ist, hat der Club of Rome schon in den 80ern
       festgestellt, es ist keine extreme Position. Diejenigen Kräfte im Staat,
       die die Interessen fossiler Konzerne schützen wollen, propagieren oft
       vereinfachende Konzepte wie grünen Wasserstoff oder E-Autos als Lösung. Wir
       müssen aber grundsätzliche Fragen stellen, etwa nach Wachstum und
       planetaren Grenzen. Dafür gibt es auch Rückhalt in bürgerlichen
       Gesellschaftsschichten.
       
       Die Behörde darf Sie jetzt mit geheimdienstlichen Methoden überwachen, etwa
       die Kommunikation auslesen. Wie sehr schränkt Sie das in Ihrer Arbeit ein? 
       
       Das sind Repressionen, die uns unter Druck setzen und in unserer Arbeit
       behindern sollen. Natürlich erhöhen sie den Druck. Für uns ist aber klar,
       dass wir weitermachen und einen Umgang damit finden werden. Wir müssen uns
       mit sichereren Kommunikationskanälen auseinandersetzen und uns genau
       anschauen, wer was von uns wissen möchte.
       
       Bedeutet es, dass Ihre Arbeitsweise konspirativer wird? 
       
       Nicht unbedingt. Aber es ist ein riesiges Problem, dass ziviles Engagement
       auf diese Art kriminalisiert wird. Vor allem in einer Zeit, in der wir
       einen Rechtsruck erleben. Viele Menschen wollen sich engagieren und die
       Bundesregierung ermutigt sie sogar dazu. Aber in unserem Fall ist es
       unerwünscht und wird mit Repression beantwortet.
       
       Aber die Proteste gegen rechts nützen auch der Klimabewegung. 
       
       Wir als Klimabewegung brauchen dieses Aufstehen gegen rechts und bringen
       uns ja auch stark ein. Gleichzeitig nutzen die Parteien und Gruppen, die im
       Interesse der fossilen Industrie handeln, jeden Moment, um die Bewegung
       weiter zu kriminalisieren. Das sieht man auch an den Ermittlungen gegen die
       Letzte Generation oder an der Art, wie über die Proteste in Lützerath
       gesprochen wurde.
       
       Bringt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz die Klimabewegung, in
       der es ja ziemliche Differenzen gibt, [6][wieder ein Stück weit näher
       zusammen]? 
       
       Wir stehen auf jeden Fall solidarisch zueinander. Viele Aktivist*innen
       müssen sich jahrelang mit Verfahren gegen sie herumschlagen. Die Letzte
       Generation bietet Trainings an, wie man sich im Gefängnis verhält. Konzerne
       wie die Braunkohlegesellschaft Mibrag schrecken auch nicht davor zurück,
       Journalist*innen und Pressesprecher*innen anzuzeigen, die die
       Proteste dokumentieren. Wenn dann auch noch Druck von staatlicher Seite
       kommt, ist das schon ein krasser Zustand.
       
       Muss die Klimabewegung gemocht werden, um erfolgreich zu sein? 
       
       Es bringt uns in gewissen Kreisen vielleicht Anerkennung, dass das rechte
       Bundesamt für Verfassungsschutz uns für unsere Vision auszeichnet. Aber
       unser Kampf für Veränderung gilt für die ganze Gesellschaft. Wir wollen
       alle einladen und mitnehmen, die Gesellschaft hin zu einer besseren zu
       gestalten – und wir wollen auf jeden Fall gemocht werden. Gleichzeitig sind
       die Machtverhältnisse eben sehr ungleich. Diejenigen, die daran arbeiten,
       dass die Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, tun viel dafür, uns in die
       kriminelle Ecke zu stellen. Dort weiter zu stören, ist eine wichtige
       Aufgabe.
       
       29 Jun 2024
       
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