# taz.de -- Neue Biografie zu Wiglaf Droste: Immer direkt rein ins Wespennest
       
       > Wo er hinschrieb, wuchs kein Gras mehr. Eine neue Biografie arbeitet den
       > Werdegang und die Ambivalenzen des Satirikers und taz-Autors Wiglaf
       > Droste auf.
       
 (IMG) Bild: Bloß keine Erbauung: Wiglaf Droste auf Sendung
       
       Zur Vorbereitung auf diesen Text machte ich ein Experiment. Einmal Wiglaf
       Droste an Menschen erproben, die weder von ihm gehört noch einen seiner
       vielen Texte gelesen haben. Die Wahl fiel auf den Lebensgefährten meiner
       jüngeren Schwester. Er ist auch noch jung, ungefähr Teil der berüchtigten
       Gen Z, aber Neuem gegenüber sehr offen.
       
       Ich holte also mein Mobiltelefon heraus und spielte ihm auf dem
       Streamingdienst Spotify den Klassiker „Bombardiert Belgien!“ vor. Droste
       hat dieses Stück für ein Album mit dem prosaischen Titel „Das Paradies ist
       keine evangelische Autobahnkirche“ eingesprochen. Seine sonore Stimme trägt
       die Hörer*innen durch den ganzen Text, von Ungeheuerlichkeit zu
       Ungeheuerlichkeit. „Hühner und Kinder zuerst!“
       
       In dieser Satire geht es um ein seltsam fremdes Belgien und die Dinge, für
       die es in den Neunziger- und Nullerjahren bekannt wurde: besonders fettige
       Pommes frites, den Dioxinskandal und die monströsen Verbrechen des
       Missbrauchstäters Marc Dutroux.
       
       Obendrein kritisiert Droste in diesem Text wie so häufig zwischen den
       Zeilen den Einsatz der Nato im damaligen Jugoslawien. Die Satire war just
       am 11. Juni 1999, an dem Tag, als der Bundestag den Einsatz der Bundeswehr
       im Kosovo genehmigt hatte, auf der Wahrheit-Seite der taz erschienen.
       
       Mein Schwager in spe wollte sich nicht recht an dieses Hörerlebnis
       gewöhnen und fragte mehrmals: „Wovon redet dieser Mann denn da?“ oder: „Ist
       das nicht ein bisschen zu radikal?“
       
       ## Ein bisschen zu radikal
       
       Ja … waren Drostes Texte nicht ein bisschen zu radikal und sind sie es
       immer noch? Früher lösten die Interventionen des Satirikers regelmäßig
       Stürme der Entrüstung aus, bei Leser*innen und bei Lesungen. Manchmal
       war der Aufruhr so groß, dass er sogar von Sicherheitspersonal geschützt
       werden musste. Droste ist inzwischen [1][seit fast genau fünf Jahren tot.]
       Sein Hausverlag, die [2][Kreuzberger Edition Tiamat,] hat nun eine von
       Christof Meueler verfasste Biografie veröffentlicht. Sie ist Anlass genug,
       darüber nachzudenken, was von Wiglaf Droste geblieben ist und bleiben wird.
       
       So viel steht fest: Nachgeborene können durch die Lektüre dieser Biografie
       verstehen, wovon dieser Mann denn da redet. Minutiös zeichnet Meueler nach,
       aus welcher Zeit Droste kommt und vor welchem Erfahrungshorizont er
       spricht.
       
       Immer wieder lässt der Biograf Weggefährt*innen wie den Journalisten
       Christian Y. Schmidt, inzwischen prominente Figuren wie Bela B von den
       Ärzten oder sogar Drostes Sohn Finn Möhle zu Wort kommen. Durch diese
       Technik der Montage entsteht [3][ein Bild des Satirikers,] das wohl nicht
       vollständiger und trotz Meuelers sympathisierenden Zugangs wahrscheinlich
       nicht differenzierter sein könnte.
       
       Wiglaf Droste wird Anfang der 60er-Jahre in Herford im Regierungsbezirk
       Detmold geboren: Ostwestfalen. Ein Landstrich, dem bis heute etwas
       Mystisches anhaftet. Droste wird später dazu in einem Gespräch mit dem
       Deutschlandfunk seinen Freund, den Übersetzer Harry Rowohlt, zitieren:
       „Ostwestfalen ist sinnlos. Da bleibt doch nur ‚Falen‘ übrig.“ Obendrein sei
       dieses Völkchen „tief melancholisch“. Der Ostwestfale an sich kämpfe stur
       gegen die „Zwangslustigkeit“ der Rheinländer und verteidige gegen die
       Marketingsprache des Kapitalismus seine eigene Mundart.
       
       ## Absetzung vom Vater
       
       Der Vater Otto, ein Lehrer und späterer Schuldirektor, verkörperte dieses
       Wesen vollständig. Er muss für Droste eine ambivalente Figur gewesen sein
       (über Drostes Mutter Monika erfahren Leser*innen der Biografie dagegen
       merkwürdig wenig). Einerseits schildert der Satiriker seinen Vater im
       Rückblick als „exzellenten Vorleser“, der ihm als Kind die Welt durch
       Sprache erschlossen habe.
       
       Darüber hinaus hat Meueler einige Anekdoten gesammelt, die Otto Droste als
       gutherzigen Paterfamilias erscheinen lassen. Andererseits wird immer wieder
       deutlich, dass Vater Droste dem Sohn wie viele Vertreter*innen seiner
       Generation einiges abverlangte: eine fast karikatureske Sparsamkeit und
       Sauberkeit, viel Sport sowie eiserne Disziplin.
       
       Droste zog schließlich mit 17 Jahren, noch vor dem Abitur, bei den Eltern
       aus. Er wird sich immer weiter vom Vater und seinem Herkunftsmilieu, dem
       Kleinbürgertum mit seinen Schrullen, absetzen: Der sportlich-dürre Droste
       verwandelt sich mit den Jahrzehnten in einen barocken Genießer, der nichts
       auslässt. Schließlich kreist seine Kunst zu ihren besten Zeiten genau um
       diese Figur des Spießers, der in eine heile Welt zurückkehren möchte und
       diese mit eher begrenzten Mitteln zu erzwingen versucht.
       
       In der Pubertät tut sich Droste das Leben mit Freund*innen als Gegenwelt
       auf. Man trägt lange Haare, Bundeswehrparkas und hört den kommunistischen
       Liedermacher Hannes Wader oder Keith Jarretts Pianojazz.
       
       ## Zehn Jahre zu spät geboren
       
       Jugendfreund Ulrich „Öli“ Kämpfe fasst dieses Gefühl folgendermaßen
       zusammen: „Wir fanden alle, dass wir eigentlich zehn Jahre zu spät auf die
       Welt gekommen sind. Weil wir die 68er-Zeit nicht mitgemacht hatten. Da
       waren wir noch zu klein.“ Auch das ist eine Eigenschaft, die Droste zeit
       seines Lebens im Guten wie im Schlechten auszeichnete: Er ist der
       Wiedergänger einer Form des öffentlichen intellektuellen Lebens, das in den
       1980er-Jahren bereits im Sterben lag und heute gar nicht mehr existiert.
       
       Von der Schülerzeitung Griffel, für die Droste noch auf dem Bielefelder
       Gymnasium schrieb, über seine Texte für die taz, die Titanic, das Neue
       Deutschland oder die junge Welt lieferte Droste stets radikales Feuilleton.
       Er nahm sowohl seine Rolle als Kritiker als auch die Gegenstände seiner
       Kritik bis zum Äußersten ernst. Das ging manchmal so weit, dass der
       Satiriker aufgrund seiner Texte vor Gericht erscheinen musste. So hatte er
       zum Beispiel 1999 in einem Text für den Berlin-Teil der taz Feldjäger, die
       ein von Nacktprotesten junger Frauen begleitetes Gelöbnis in Tiergarten
       abhielten, als „Waschbrettköpfe“ bezeichnet.
       
       Für den Kommandeur des Feldjägerbataillons Anlass genug, Droste zu
       verklagen. Ihm wurde wegen „Beleidigung der Bundeswehr“ der Prozess
       gemacht. Der Satiriker schimpfte sogar vor Gericht gegen die Feldjäger.
       Diese seien „Typen, die nicht mehr auf der Pfanne haben, als nackte Frauen
       zu verkloppen“ und „im Ernstfall Deserteure aufhängen“ würden. Droste
       musste schließlich für sein Beharren auf der antimilitaristischen Freiheit
       des Wortes eine Strafe von 2.100 Mark in Kauf nehmen, die auf zwei Jahre
       zur Bewährung ausgesetzt wurde.
       
       ## Er wollte keine Erbauung
       
       Seine Kunst setzt sich auf diese Weise wohltuend von heutigen
       Humorist*innen ab: Sie ist ein „ernstes Spiel“, das die Gegenwart mit
       Mitteln wie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ (Droste hat
       diesen Klassiker des Vormärz-Dramatikers Christian Dietrich Grabbe mit
       Harry Rowohlt kongenial eingesprochen) auf den Begriff bringt.
       
       Während das, was heute meistens links wie rechts „Comedy“ heißt,
       hauptsächlich auf die Bestätigung ihres jeweiligen Publikums ausgelegt ist,
       stach Droste immer direkt ins Wespennest. Er wollte kein Künstler sein, der
       an der moralischen Erbauung der Gesellschaft teilhat, sondern diese durch
       möglichst reine Negativität zum Nachdenken zwingen.
       
       Biograf Meueler verschweigt aber nicht, mit welchen Kosten dieser ständige
       Widerstand gegen die bürgerliche Welt und der intellektuelle Heroismus in
       Drostes Fall einhergingen. Er rieb sich für die Kritik vollständig auf,
       zulasten von Kolleg*innen, Freund*innen, der von ihm geliebten Frauen,
       seines Sohns und des eigenen Lebens.
       
       Droste ging schließlich zu früh, mit 57 Jahren. Er starb an den Folgen
       einer durch seinen Alkoholismus verursachten Leberzirrhose.
       
       Wer Christof Meuelers Biografie gelesen hat, versteht deshalb nicht nur,
       wie Droste zum Intellektuellen wurde, sondern wird auch ein bisschen
       traurig. Einen wie ihn bräuchte ich im Moment, denke ich mir. Vielleicht
       etwas umsichtiger, mit klarerem Blick für fremdes und eigenes Wohl. Würde
       er Sahra Wagenknechts Russland-Connection aufs Korn nehmen und sich
       angesichts des Aufstiegs der AfD in seiner Verachtung der
       „wiedergutgewordenen Deutschen“ (Eike Geisel) bestätigt fühlen?
       
       Nicht zuletzt können Kritiker*innen einiges von ihm lernen. Das
       leuchtete auch dem Lebensgefährten meiner Schwester ein.
       
       2 Jul 2024
       
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