# taz.de -- US-Supreme Court zu Straffreiheit: Geschwächtes Immunsystem
       
       > Der Oberste Gerichtshof der USA hat Präsident*innen einen Freibrief
       > für Verbrechen ausgestellt, sofern es eine Amtshandlung ist.
       
 (IMG) Bild: Das Recht – c’est moi! Der verurteilte Verbrecher Donald Trump brüstete sich unlängst mit seiner Macht über die Justiz
       
       Das Urteil, das der Oberste Gerichtshof der USA am Montag veröffentlichte,
       hat heftige Schockwellen erzeugt. Mit der konservativen Mehrheit von 6 zu 3
       Richterstimmen entschied der Supreme Court, auch ehemalige US-Präsidenten
       – und ihre Mitarbeiterstäbe – seien immun gegen jedwede Strafverfolgung für
       alle offiziellen Amtshandlungen während ihrer Amtszeit.
       
       Damit, schrieb die liberale Richterin Sonia Sotomayor in ihrem ungewöhnlich
       scharf abgefassten Minderheitsvotum, „schafft das Gericht einen
       rechtsfreien Raum um den Präsidenten und dreht den Status quo um, der seit
       der Staatsgründung galt.“
       
       Zwar räumte das Gericht ein, nicht alle Handlungen eines Präsidenten seien
       als „offizielle“ Amtshandlungen zu betrachten, und für die „nicht
       offiziellen“ gelte die Immunität nicht. Das aber genau zu definieren,
       [1][überließen die Richter den unteren Instanzen].
       
       Erinnerungen an einen ganz anderen Fall werden wach: Als der chilenische
       Diktator Augusto Pinochet 1998 auf der Grundlage eines spanischen
       Haftbefehls in Großbritannien festgenommen wurde, hatten die britischen
       Lordrichter darüber zu entscheiden, ob er als Staatschef Immunität genieße.
       
       ## Immun, immun, immun.
       
       In einem auch für das Völkerstrafrecht historischen Urteil entschieden sie,
       Folter und Mord gehörten niemals zu den vor Strafverfolgung zu schützenden
       legitimen Amtshandlungen eines Präsidenten. Eine solch klare Definition
       liefert das Urteil des US Supreme Court nicht.
       
       Wenn aber jede Anweisung eines Präsidenten immer als offizielle
       Amtshandlung gelten kann, ist das ein sehr weites Feld. Mit den Worten von
       Richterin Sotomayor: „Weist das Navy Seals Team 6 an, einen politischen
       Rivalen zu ermorden? Immun. Organisiert einen Militärputsch, um an der
       Macht zu bleiben? Immun. Nimmt Bestechungsgeld im Austausch für eine
       Begnadigung? Immun. Immun, immun, immun.“
       
       Anlass für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes waren die
       [2][verschiedenen Verfahren gegen Ex-Präsident Donald Trump] wegen seines
       Versuchs, auf betrügerische Art und Weise seine Wahlniederlage 2020 in
       einen Sieg zu verkehren. Nachdem er in diesem Zusammenhang insgesamt drei
       Strafverfahren ausgesetzt war, brachte er schon Ende 2023 die Forderung
       nach absoluter Immunität ins Spiel.
       
       Es war klar, dass eine Entscheidung darüber eher früher als später beim
       Obersten Gerichtshof landen musste – doch statt den Fall schon im Dezember
       zügig an sich zu ziehen, brauchten die Richter*innen dazu bis Februar,
       für die Einberufung einer Anhörung dann bis Ende April und für ein Urteil
       bis zum allerletzten Tag vor der Sommerpause am Montag. Allein dieses
       Timing verschaffte Trump bereits die Erleichterung, die seine Anwälte im
       Wahljahr unbedingt wollten.
       
       ## Strapaziertes Vertrauen
       
       Das Urteil vom Montag befreit Trump mit relativ großer Sicherheit von
       jeglicher Sorge, einer der verschiedenen Prozesse könne noch vor dem
       Wahltag beginnen oder gar in eine entscheidende Phase treten. Zumal
       derselbe Oberste Gerichtshof bereits am vergangenen Freitag entschieden
       hatte, die wegen ihrer Beteiligung am Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021
       Angeklagten und Verurteilten könnten nicht wegen „Behinderung einer
       staatlichen Handlung“ (obstruction) belangt werden.
       
       Sie verzögerten zwar die Zertifizierung des Wahlsieges von Joe Biden um
       viele Stunden, aber der entsprechende Paragraf sehe für eine Verurteilung
       auch vor, dass Beweise oder Dokumente vernichtet worden sein müssten. Die
       Entscheidung betrifft rund 250 bereits verurteilte
       Kapitolstürmer*innen – und Ex-Präsident Trump, der als Anstifter des
       Mobs unter anderem nach demselben Paragrafen angeklagt war.
       
       Mit diesen und einer ganzen Reihe weiterer Entscheidungen, nicht zuletzt
       der Abschaffung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, hat es der Oberste
       Gerichtshof geschafft, das Vertrauen in seine Rechtstreue und
       Unabhängigkeit arg zu strapazieren. Die schlimmsten Befürchtungen, die von
       liberaler Seite gegen die drei von Trump nominierten konservativen
       Richter*innen vorgebracht worden waren, scheinen sich zu bewahrheiten.
       
       Alle drei, Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, waren von
       der rechtskonservativen Juristenorganisation Federalist Society
       vorgeschlagen worden, von deren Liste sich der damalige US-Präsident auch
       bei der Besetzung vieler Dutzend Stellen an unteren Bundesgerichten
       bediente.
       
       ## Ich, der Oberste Gerichtshof
       
       Trump selbst behauptet bei allen Verfahren gegen ihn, sie seien vom
       amtierenden Präsidenten Biden angestrengt worden; politisch-motivierte
       Prozesse, um sich eines Konkurrenten zu entledigen, schimpft er. Und die
       gesamte Republikanische Partei ist rhetorisch darauf eingestiegen, [3][der
       Regierung lawfare vorzuwerfen, also den Missbrauch der Justiz für
       politische Zwecke].
       
       Gleichzeitig aber brüstet sich Trump damit, [4][das Abtreibungsrecht
       abgeschafft zu haben]. Alle hätten es gewollt, behauptete er vor ein paar
       Wochen, „ich habe es getan“. Ich, der Oberste Gerichtshof.
       
       Verständlich, dass Richterin Sotomayor zu dramatischer Wortwahl greift. Sie
       beendet ihr Minderheitsvotum mit den Worten: „In Angst um unsere
       Demokratie.“ Für politische Kommentator*innen ist das inzwischen gängig.
       Für Richter*innen ist es ein gewaltiger Schritt.
       
       2 Jul 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Pickert
       
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