# taz.de -- 30 Jahre nach dem Balkankrieg: Den Nationalisten die Stirn bieten
       
       > In Bosnien-Herzegowina bleibt drei Jahrzehnte nach dem Krieg die Lage
       > fragil. Das Land ist empfänglich für rechtspopulistischen Einfluss.
       
 (IMG) Bild: Die Polizei reagiert hart auf Proteste gegen den konservativen slowenischen Regierungschef Jansa
       
       Als am 25. Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von
       Jugoslawien erklärten und kurz darauf die ersten Schüsse in Slowenien
       fielen, war Europa schockiert. Vor allem die nördlichste Republik
       Jugoslawiens stand damals in diesen ersten Kriegstagen im Zentrum des
       Geschehens. Die Jugoslawische Volksarmee versuchte die Grenzen des
       Vielvölkerstaates zu sichern und so den Zerfall Jugoslawiens zu verhindern.
       Vergeblich.
       
       Die Menschen wollten die Unabhängigkeit von einem Jugoslawien, das
       spätestens seit der Auflösung des Bundes der Kommunisten im Januar 1990 in
       sich schon zerfallen war. 10 Tage gab es in Slowenien Krieg, die
       Jugoslawische Volksarmee musste klein beigeben. Dass die Slowenen anders
       als die Kroaten gut organisiert in die Auseinandersetzung gingen, war auch
       dem Journalisten, Militärexperten und ersten Verteidigungsminister des
       Landes [1][Janez Jansa] zu verdanken, was ihm ein gewisses Renommee
       verschaffte.
       
       Am 1. Juli wird der inzwischen reichlich umstrittene Janez Jansa als
       [2][Ministerpräsident Sloweniens] fast auf den Tag genau 30 Jahre nach der
       Unabhängigkeitserklärung die [3][EU-Ratspräsidentschaft] übernehmen.
       Umstritten ist er deshalb, weil er sich zu einem Rechtsaußen der
       europäischen Politik entwickelt hat.
       
       Der Paradigmenwechsel in Slowenien, das im Mai 2004 der EU beigetreten ist
       und bisher eine besonnene und liberale Stimme im Konzert der
       Mitgliedstaaten darstellte, kommt zu einer Zeit, in der sich unter Führung
       des Ungarn [4][Viktor Orban] eine rechtskonservative Position innerhalb der
       EU entwickelt hat, die auch Einfluss auf die Entwicklungen in den noch vor
       der Tür stehenden Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien, dem
       sogenannten Westbalkan, nehmen will.
       
       ## Bosnien ethnisch gespalten
       
       Die meisten Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind Nationalstaaten geworden, in
       denen eine Nation das Sagen hat, so in Slowenien, Kroatien, Serbien – die
       Lage in Nordmazedonien und in Montenegro ist komplizierter. Doch in Bosnien
       und Herzegowina verfügt keine Nation über eine Mehrheit. Nur über
       Kompromissfähigkeit, Demokratie und Aufbau eines Rechtsstaates kann eine
       solche Gesellschaft überleben.
       
       Die rechtskonservativen Nachbarstaaten treiben nationalistische
       Ressentiments an und schüren Konflikte. Sie versuchen, den Aufbau eines
       Rechtsstaates zu behindern, und die jeweiligen Volksgruppen für ihre
       Politik zu instrumentalisieren. Schon seit dem 19. Jahrhundert richteten
       serbische und kroatische Nationalisten ihren Blick nach Bosnien. Beide
       Seiten beanspruchen seither die Kontrolle über die von Muslimen,
       Orthodoxen, Katholiken, Juden und anderen Minderheiten bewohnte
       multinationale und multireligiöse Republik.
       
       Dass das von serbischen Extremisten verübte Attentat 1914 in Sarajevo zum
       Anlass für den Ersten Weltkrieg wurde, dass Bosnien und Herzegowina zum
       Hauptschlachtfeld sowohl im Zweiten Weltkrieg wie auch im letzten Krieg
       wurde, ist kein Zufall. Das in sich verwobene multinationale Bosnien und
       Herzegowina ist die eigentliche Antithese zum Nationalismus beider Seiten.
       Und deshalb musste Bosnien in der Vorstellung der serbischen und der
       kroatischen Nationalisten zerstört werden.
       
       Die Verbrechen der ethnischen Säuberungen waren also nicht Folge des
       Krieges 1992-95, sondern das eigentliche Ziel. Und: Das Ziel, das Land
       territorial nach ethnischen Kriterien aufzuteilen, ist bis heute nicht
       aufgegeben worden. Serbische Nationalisten fordern jetzt die Lostrennung
       des von ihnen kontrollierten Landesteils, die kroatischen Nationalisten
       fordern heute weitere ethnische Trennungen und letztlich auch die
       territoriale Teilung des Landes.
       
       ## EU und USA müssen eingreifen
       
       Der Einfluss der internationalen Gemeinschaft, die sich auf das
       [5][Abkommen von Dayton] 1995 beruft, das den Krieg beendete und dem Land
       gleichzeitig eine wenngleich vulnerable Verfassung gab, konnte diese
       Bestrebungen dämpfen. Doch jetzt haben die Ethnonationalisten Unterstützung
       gefunden: die Urheberschaft des vor Monaten veröffentlichten „Nonpapiers“,
       das die endgültige territoriale Aufteilung Bosnien und Herzegowinas
       fordert, wird nicht ganz zufällig Orban und Jansa zugeschrieben.
       
       In Bosnien – und nicht nur dort – stehen sich zwei grundsätzliche
       Positionen und Prinzipien gegenüber. Während der Nationalismus ethnische
       Trennungen durchsetzt und autoritäre Herrschaftsformen hervorbringt, fußt
       die über Jahrhunderte entwickelte multinationale und multireligiöse
       Gesellschaft auf Toleranz, Demokratie und Menschenrechte für alle seine
       Bürger.
       
       Schon nach der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens hätte man eine
       internationale Strategie gegenüber Bosnien und Herzegowina formulieren
       müssen. Doch bis heute haben sich EU und die USA immer wieder nur auf
       Kompromisse mit den Ethnonationalisten eingelassen, anstatt sie überzeugend
       in die Schranken zu weisen. Langsam betrachtet es erst jetzt die
       europäischen Volksparteien (EVP) als problematisch, die nationalistischen
       Parteien der Region als Bündnispartner zu verstehen.
       
       Doch Jahrzehntelang haben sie diese Kräfte gestärkt. Für Jansa und Orban
       spielen Bedenken gegenüber den Ethnonationalisten ohnehin keine Rolle.
       Immerhin hat das EU-Parlament den Ambitionen kroatischer Nationalisten, ein
       Wahlgesetz nach ihrem Gusto durchzusetzen, nun einen Riegel vorgeschoben.
       
       Es dämmert den Verantwortlichen und manchen Parlamentariern in den
       westlichen Hauptstädten, dass die Politik der Ethnonationalisten auch den
       Interessen Russlands dient, das wiederum seinen Einfluss auf dem Balkan
       ausbauen will. Ob Europa und die USA in der Lage sind, westliche Werte in
       Bosnien tatsächlich zu verteidigen und schon aus Eigeninteresse konsequent
       gegen den Nationalismus vorzugehen, wird sich zeigen. Die Parteinahme
       Orbans und Jansas könnte – so gesehen – sogar ein Weckruf sein.
       
       1 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Pressefreiheit-in-Slowenien/!5762694
 (DIR) [2] https://www.arte.tv/de/videos/104528-000-A/slowenien-ein-land-in-aufruhr/
 (DIR) [3] https://slovenian-presidency.consilium.europa.eu/de/
 (DIR) [4] /Bruch-mit-EVP-im-Europaparlament/!5750903
 (DIR) [5] /25-Jahre-Abkommen-von-Dayton/!5725704
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erich Rathfelder
       
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