# taz.de -- Angela Merkel im taz-Interview: „Ja, dies ist mein Land“
       
       > Man kann afghanische Flüchtlinge auch mit freundlichem Gesicht
       > abschieben, sagt die Kanzlerin – und erklärt, was an ihr grün und links
       > ist.
       
 (IMG) Bild: „Nichts würde ich mir mehr wünschen als das“ – Merkel über die Freilassung von Deniz Yücel
       
       Berlin, 10 Uhr, draußen über dem Tiergarten scheint die Sonne. Drinnen im
       siebten Stock des Kanzleramts ist es still, auf dem Gang erinnern
       Schwarzweißfotos von Konrad R. Müller an vergangene Kanzler. Brandt und
       Kiesinger hängen etwas schief. Sonst ist alles perfekt, Angela Merkel
       wartet an der Tür ihres hellen, großen Arbeitszimmers. An einem Ende des
       Konferenztischs liegen Akten, Autogrammkarten und ein Bernstein. Sie setzt
       sich ans andere Ende. Sie weiß, dieses Interview ist eine Premiere. 
       
       taz: Frau Bundeskanzlerin, Winfried Kretschmann hat gesagt, er bete jeden
       Tag für Sie. Beten Sie manchmal auch für den Grünen Kretschmann? 
       
       Angela Merkel: Das muss ich mit Nein beantworten. So konkret politisch bete
       ich sowieso nicht, aber das ist ohnehin eine sehr private Angelegenheit.
       Unabhängig davon schätze ich Ministerpräsident Kretschmann sehr.
       
       Ihr jüngerer Bruder Marcus war während der Wendezeit bei Bündnis 90. Warum
       sind Sie damals eigentlich nicht bei Bündnis 90 und dann den Grünen
       gelandet? 
       
       In der Tat habe ich im Herbst 1989 einen Suchprozess durchgemacht. Ich war
       beim Demokratischen Aufbruch und bei der SDP, wie die Sozialdemokraten in
       der DDR damals noch hießen, und ich habe mir natürlich auch das Neue Forum,
       den Vorläufer von Bündnis 90, angesehen. Aber das Neue Forum stand für den
       sogenannten dritten Weg, eine demokratisch erneuerte DDR, und daran glaubte
       ich nicht. Ich gehörte zu denen, die die schnelle deutsche Einheit wollten,
       die soziale Marktwirtschaft. Schon am Tag der Maueröffnung haben etliche
       meiner Freunde das ganz anders bewertet als ich. So bin ich beim
       Demokratischen Aufbruch gelandet und schließlich in der Allianz für
       Deutschland, in der wir dann mit der Deutschen Einheit 1990 CDU-Mitglieder
       wurden.
       
       Unsere Frage zielte auf Ihren möglicherweise grünen Kern ab. 
       
       Das habe ich auch so verstanden. Ich war ja Bundesumweltministerin, eine
       sehr spannende Zeit. Und ich habe mich auch in der CDU dafür eingesetzt,
       dass wir in unserem Grundsatzprogramm nicht nur von der sozialen, sondern
       auch von der ökologischen Marktwirtschaft sprechen. Andererseits habe ich
       zum Beispiel 1986, als das furchtbare Reaktorunglück in Tschernobyl
       passierte, allein die sowjetischen Verhältnisse dafür verantwortlich
       gemacht, den schlechten Sicherheitsstandard dort und nicht die friedliche
       Nutzung der Kernenergie an sich. Es hat dann noch bis zur Katastrophe von
       Fukushima im Jahr 2011 gedauert, bis ich meine Haltung grundsätzlich
       geändert habe.
       
       In Reden und erst neulich im Wahlkampf gebrauchen Sie immer wieder das Bild
       von der „frischen Luft“. Ist das Ihr Begriff von Grün? 
       
       Damit meine ich, dass man sich immer wieder ins Neue vorwagen muss. Wir
       leben in einer Welt großer Veränderungen. Und frische Luft heißt da
       einfach: immer wieder über den Tellerrand gucken, neugierig sein, auf Neues
       zugehen. Manchmal denke ich, dass wir in Deutschland auf so hohem Niveau
       leben, dass wir nicht immer innovationsfreudig genug sind.
       
       Ist irgendwas an Ihnen links? 
       
       Ich kann mit solchen Schubladen wenig anfangen. Schauen Sie, erst mal bin
       ich CDU, mit der ich liberale, christlich-soziale und konservative Wurzeln
       gleichermaßen verbinde. Mir ist die menschliche Gestaltung der
       Globalisierung wichtig, ebenso wie das Thema Nachhaltigkeit, also
       Generationengerechtigkeit, nachhaltige Finanzen und Ressourcenverbrauch.
       Daran habe ich immer gearbeitet.
       
       Aber nichts Linkes. 
       
       Sie möchten gerade definieren, was ich nicht bin, und ich antworte jetzt
       damit, was ich bin. Aus den liberalen, christlich-sozialen und
       konservativen Wurzeln der CDU, die ich sehr achte, ergeben sich bestimmte
       Berührungspunkte mit dem, was man gemeinhin links nennt. Nehmen Sie zum
       Beispiel das Christlich-Soziale: Die christliche Soziallehre hat auch
       Berührungspunkte mit sozialdemokratischem Denken, die CDU hat sich zum
       Beispiel immer zur wichtigen Rolle der Gewerkschaften bekannt, denn es ist
       immer wichtig, sowohl über das Erwirtschaften des Wohlstands als auch über
       gerechte Verteilung zu sprechen. Ich weiß nicht, ob das für Sie links ist
       oder nicht – für mich ist es christlich-sozial oder anders gesagt CDU pur.
       
       Was sagen Sie: Leiden die Grünen mittlerweile darunter, dass sie sich zu
       weit von ihren linken Wurzeln entfernt haben und auf Sie und die
       bürgerliche Mitte zubewegt haben? 
       
       Auch die Grünen haben ja aus meiner Sicht unterschiedliche Wurzeln. Eine,
       wie ich es sagen würde, sehr staatskritische Wurzel und eine, bei der es um
       die Bewahrung der Schöpfung geht. Bei diesem behutsamen Umgang mit der
       Schöpfung sehe ich große Nähe zu meinen Überzeugungen in der CDU. Und
       dennoch gibt es auch eine sehr starke Staatskritik, die wir in der CDU und
       ich persönlich überhaupt nicht teilen.
       
       Worin sehen Sie die Aufgabe der Grünen im Parteienspektrum? 
       
       Es ist nicht an mir, den Platz der Grünen im politischen Spektrum zu
       definieren. Das würde ich umgekehrt auch nicht mögen. Wichtig scheint mir,
       dass sie sich immer wieder neue Themen erarbeiten, weil sich manche Themen,
       zum Beispiel die Kernenergie, weitgehend erledigt haben. Ich stelle mir
       vor, dass die humane Gestaltung der Globalisierung auch für die Grünen ein
       spannendes Thema sein kann.
       
       Frau Merkel, in den ersten Wochen der großen Flüchtlingsdebatte, am 15.
       September 2015, haben Sie hier im Kanzleramt eine Pressekonferenz gegeben.
       Auf die Frage, ob Sie Flüchtlinge zum Kommen nach Deutschland animiert
       haben, erwiderten Sie: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu
       müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen,
       dann ist das nicht mein Land.“ Hatten Sie sich den Satz vorher überlegt? 
       
       Nein, ich hatte mir den Satz nicht zurechtgelegt. Er kam auf eine
       Nachfrage, was ich zu dem Vorwurf sagen würde, dass ich durch mein Vorgehen
       Flüchtlinge zur Flucht animiert hätte.
       
       Der Selfie-Vorwurf. 
       
       Unter anderem. Ich fand das abwegig, in zweierlei Hinsicht. Einmal waren
       bis zu dieser Aussage im Sommer 2015 schon rund 400.000 Flüchtlinge
       gekommen. Es gab außerdem Mitte August eine Prognose des
       Bundesinnenministeriums von 800.000 Flüchtlingen für das gesamte Jahr. Zum
       Schluss kamen rund 890.000, wir lagen also nicht ganz daneben. Das Zweite
       war, dass es ja gar nicht allein meine Haltung war, sondern die der
       Menschen am Bahnhof in München und anderswo, der vielen Menschen, die die
       Geflüchteten freundlich aufgenommen haben. In dieser Situation habe ich
       gesagt: Wenn man Menschen hilft und kein freundliches Gesicht dazu machen
       darf, dann ist das nicht mein Land. Das war spontan. Es kam aus meinem
       Innersten. Weil das meine Überzeugung ist.
       
       Viele Linke und Linksliberale, auch viele taz-Leser haben damals gestutzt:
       Ups, dürfen wir Merkel gut finden? Und in der taz entstand ein Titel, der
       das mit Herzen thematisierte. 
       
       Wir haben ja gerade über die christlich-sozialen Wurzeln der Parteien
       gesprochen. In diesem Sinne war mein Satz eine Aussage, die genauso im
       Einklang mit Prinzipien der CDU wie mit Prinzipien anderer Menschen und
       sicher auch anderer Parteien stand.
       
       Waren die Sympathiekundgebungen von links damals ein ernster Hinweis für
       Sie, wie weit weg Sie sich zu diesem Zeitpunkt von Ihren Konservativen
       entfernt hatten? 
       
       Nein. Auch viele in der Union haben es ja durchaus unterstützt, die
       Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. Erst waren
       diese Menschen mit Zügen gekommen, dann zu Fuß, weil Ministerpräsident
       Orbán ihnen urplötzlich die Reisemöglichkeit entzogen hatte. Die großen
       Meinungsunterschiede drehten sich viel mehr um die Frage: Wie geht es
       weiter? Mir war klar: so natürlich nicht, denn kriminelle Schlepper und
       Schleuser verdienten mit dem Elend der Flüchtlinge ihr Geld. Deshalb habe
       ich ab Anfang September an diesem EU-Türkei-Abkommen gearbeitet, nachdem
       ich schon den ganzen Sommer darüber nachgedacht hatte. Das ist viele
       Monate ja gar nicht beachtet worden. Ich war dann, vorsichtig formuliert,
       sehr erstaunt, dass das Abkommen, als es Mitte März 2016 abgeschlossen
       werden konnte, auf eine so negative Bewertung stieß, und zwar
       parteiübergreifend. Trotzdem war das der einzige Weg, eine gewisse Ordnung
       und Steuerung in diese Sache zu bringen, und zwar so, dass es auch im
       Interesse der Zuflucht suchenden Menschen ist und das Sterben in der Ägäis
       aufhören kann.
       
       Sie haben das freundliche Gesicht gegen ein hartes, strenges ausgetauscht.
       Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, vor allem
       Syrer. Die Möglichkeit, psychisch Kranke abzuschieben. Abschiebungen ohne
       Ankündigung, Abschiebungen nach Afghanistan. Ist dieses Land damit immer
       noch „ihr Land“? 
       
       Ja, dies ist mein Land, denn wir geben jedem, der in Deutschland um Asyl
       bittet, die Chance, einen Antrag zu stellen, und wir schaffen bessere
       Lebensbedingungen vor Ort, in dem wir Fluchtursachen bekämpfen. Zugleich
       müssen wir auch deutlich machen, dass es Regeln gibt. An der Stelle finde
       ich übrigens, dass die grüne Programmatik sehr unklar ist. Sie drückt sich
       um die schweren Fragen. Wir helfen Afrika doch nicht, indem wir sagen, dass
       wir jeden aufnehmen, der kommen möchte. Wir müssen ganz anders an die Sache
       herangehen: Flucht- und Migrationsursachen bekämpfen, zu besseren
       Lebensbedingungen beitragen und Perspektiven in den Heimatländern schaffen,
       legale Wege der Migration finden, statt den Schleppern die Hand zu reichen.
       Deshalb gehören zu unserem humanitären Asylrecht auch die strengen Regeln.
       Im Übrigen kann man eine Rückführung mit einem freundlichen Gesicht
       verbinden.
       
       Wie soll das gehen, Abschiebungen mit einem freundlichen Gesicht? 
       
       Es ist ohne Zweifel ein schwerer Weg, den dieser Mensch gehen muss, aber
       auch dabei kann und soll man ihm mit Respekt und Menschlichkeit begegnen.
       Wir sollten nicht die einfache Botschaft senden, dass Millionen Menschen
       zum Beispiel aus Afghanistan bei uns eine neue Heimat finden, sosehr ich
       auch Verständnis für wirtschaftliche Not habe. In diesen Fragen, das sage
       ich ganz offen, spüre ich, wie schwer politische Verantwortung auch sein
       kann. Ich sehe die individuellen Schicksale – aber ich muss auch ordnen,
       steuern und darauf achten, dass Illegalität nicht noch gefördert wird. Das
       würde niemandem helfen.
       
       Sie haben Afrika angesprochen. Um Flüchtlinge dort aufzuhalten, paktieren
       Sie mit dem verbrecherischen Regime im Sudan. Das bekommt sogar 100
       Millionen Euro von der EU, die deutsche Gesellschaft für Internationale
       Zusammenarbeit schult sudanesische Polizisten. Ist das „ihr Land“, ein Land
       also, das mit dieser weltweit geächteten Diktatur zusammenarbeitet? 
       
       Wenn in Deutschland über Afrika und Migration gesprochen wird, geht es
       meist um die Menschen, die von Libyen nach Italien kommen. Was oft zu wenig
       gesehen wird: Auf dem Kontinent selbst gibt es enorme
       Binnenfluchtbewegungen. Wir legitimieren natürlich überhaupt nicht das
       Regime im Sudan. Wir gehören zu denen, die den dortigen Präsidenten
       al-Baschir boykottieren. Dennoch stellt sich die Frage, welche und wie viel
       Entwicklungszusammenarbeit trotzdem sinnvoll ist und wie man Staatlichkeit
       dort festigt.
       
       Der ehemalige Sudan-Ermittler der UN, Jérôme Tubiana, sagt, es sei „eine
       Schande“, dass die GIZ sich auf so eine Zusammenarbeit einlasse. Es sei bei
       solchen Trainings unklar, wer ein Scherge sei, egal welche Uniform er
       gerade trage. 
       
       Sehen Sie, der Sudan ist ein wichtiges Transit-, Herkunfts- und
       Aufnahmeland von Flüchtlingen am Horn von Afrika. Fast 400.000 Flüchtlinge
       haben dort Zuflucht gefunden, vor allem aus Südsudan und Eritrea. Sudan ist
       somit ein Schlüsselland für die Bewältigung der Migration am Horn von
       Afrika. Wir wollen gezielt gegen Schleusertum, Menschenhandel und illegale
       Migration vorgehen. Dazu arbeiten wir mit der EU, den Vereinten Nationen
       und internationalen Organisationen wie IOM an der Verbesserung der
       Lebensbedingungen von Flüchtlingen, Verbesserung des Grenzschutzes, bei der
       Rückkehr und bei Informationskampagnen eng zusammen.
       Grenzmanagement-Maßnahmen werden dabei als Teilbereich des so genannten
       Migrationsmanagements durchgeführt. Dabei soll etwa erreicht werden, dass
       Beamte des Grenzmanagements Schutzbedürftige, also zum Beispiel Betroffene
       des Menschenhandels, erkennen und sie unter Beachtung aller internationalen
       Standards an die zuständigen staatlichen beziehungsweise
       zivilgesellschaftlichen Stellen weitervermitteln. Dabei prüfen wir sehr
       sorgfältig, mit wem wir zusammenarbeiten.
       
       Nach Deutschland darf man allein aus politischen, aus humanitären Gründen.
       Es fehlt die zweite Tür. Würde ein viertes Kabinett Merkel ein
       Einwanderungsgesetz schaffen? 
       
       Wir haben in unser Regierungsprogramm geschrieben, dass kein freier
       Arbeitsplatz unbesetzt bleiben darf, und wir haben uns in dem Zusammenhang
       erstmals ausdrücklich auch zu einem Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz bekannt.
       Es gibt ja heute schon Mechanismen, etwa die Blue Card. Zum Teil haben wir
       aber auch noch eher komplizierte Prozeduren.
       
       Nirgendwo steht ganz oben: Einwanderung nach Deutschland ist möglich. 
       
       Einwanderung nach Deutschland ist eine Realität. Wir haben den europäischen
       Binnenmarkt und damit die Freizügigkeit für jeden Europäer. Im
       Regierungsprogramm bekennen wir uns dazu, dass wir Zuwanderung brauchen.
       Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir mit afrikanischen Ländern
       Kontingente vereinbaren, wonach eine bestimmte Anzahl von Menschen hier
       studieren oder arbeiten kann. So würden wir Anreize dafür schaffen, legale
       Wege zu finden. Nur zu sagen, Illegalität geht nicht, und gar nichts
       anzubieten, ist falsch.
       
       Geht es Ihnen da also um „nützliche“ Flüchtlinge? 
       
       Nutzen finde ich im Zusammenhang mit Menschen einen falschen Begriff.
       Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, müssen wir Schutz vor
       Krieg und politischer Verfolgung gewähren. Bei Menschen, die zu uns aus
       wirtschaftlichen Gründen kommen wollen, geht es natürlich darum, dass
       diejenigen kommen, die wir brauchen, Pflegekräfte beispielsweise. Aber eine
       Einwanderung in ein Studium oder eine Arbeitsmöglichkeit ist auch im
       Interesse der Migranten und eröffnet ihm oder ihr neue Chancen.
       
       Zu einem anderen Thema: Sie haben viele Jahre eng mit der Autoindustrie
       zusammengearbeitet. Die Vorstandsvorsitzenden durften oft hierher zu Ihnen
       ins Kanzleramt kommen und ihre Sorgen vortragen … 
       
       … Herr Zetsche war auch schon auf dem Grünen-Parteitag.
       
       … Und jetzt schlagen Sie neue Töne gegenüber der Autoindustrie an: Es sei
       betrogen worden. Schonungslose Aufklärung sei nötig. Ist das wieder so ein
       Rollenwechsel Marke Merkel? Von der Freundin der Autobosse zur Anklägerin
       der Autobosse? 
       
       Weder noch. Die Automobilindustrie ist eine eminent wichtige Säule unserer
       Wirtschaft. Sie beschäftigt 800.000 bis 900.000 Menschen, und das sind sehr
       gute Arbeitsplätze. Diese Industrie ist in einem starken Umbruch: durch die
       Digitalisierung, durch neue Antriebstechnologien. Jetzt ist es in unser
       aller Interesse, dass dieser Wirtschaftszweig die Zeichen der Zeit nicht
       verschläft. Nun sind aber gravierende Vorkommnisse passiert, die uns alle
       zu Recht empören. Damit setze ich mich auseinander.
       
       Warum haben Sie nicht viel früher auf ein schnelleres Umdenken Richtung
       Zukunft gedrängt? 
       
       Ich habe mich immer wieder damit befasst, ob die Automobilindustrie mit der
       Entwicklung auch wirklich mitgeht. Da war das Tempo nicht so hoch, aber man
       hat ja inzwischen auch einiges getan. Die Automobilfirmen stecken besonders
       viel in Forschung und Entwicklung. Die Frage ist nur, ob sie sich immer auf
       die richtigen Schwerpunkte konzentriert haben. Nun muss die Politik
       schonungslos benennen, wo etwas falsch gelaufen ist. Da Maß und Mitte zu
       finden, das ist die Aufgabe.
       
       Im Klimaschutz versagt die Autoindustrie völlig. Aus deutschen Autos kommen
       heute praktisch so viele Co2-Emissionen wie 1990. Ist diese Industrie so
       veränderungsresistent, dass sie untergehen könnte? 
       
       Dass sie im Klimaschutz völlig versagt, sehe ich nicht so. Unsere
       europäischen Co2-Vorgaben für die Flotten der einzelnen Hersteller sind
       durchaus ambitioniert. Die Zahl der Autos ist ja seit 1990 auch erheblich
       gestiegen. Aber wir sind uns einig: Wenn dieses Jahrhundert weitgehend
       Co2-frei enden soll, dann muss sich im Verkehr massiv etwas ändern. Auf
       diese Veränderung, ob sie nun in der E-Mobilität liegt oder in der
       Wasserstoff-Brennstoffzelle, muss sich die Industrie vorbereiten.
       Verbrennungsmotoren bleiben für längere Zeit noch als Brückentechnologie
       wichtig. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir nicht auch moderne und
       insbesondere die sauberen Diesel verteufeln, sonst werden wir die
       Co2-Vorgaben kaum einhalten können.
       
       Alle Welt streitet über Fahrverbote für Diesel in Innenstädten. Aber das
       Problem kommt vor allem daher, dass sich der Bund weigert, eine
       einheitliche Regelung zu treffen. Eine blaue Plakette für neuere
       Dieselwagen würde schon helfen. Warum verweigert der Bund die? 
       
       Die Grenzwerte für Stickoxide werden überschritten, und daran müssen wir
       etwas ändern. Jetzt könnte man mit Fahrverboten für bestimmte Autotypen
       antworten, dafür gäbe es die blaue Plakette. Wir wollen aber Fahrverbote
       verhindern. Wir haben politisch die Menschen animiert, Dieselfahrzeuge zu
       kaufen, weil die Co2-ärmer sind. Wir würden also gerade die mit
       Fahrverboten bestrafen, die sich klimaschonend verhalten haben.
       
       Haben Sie sich geärgert, dass die Umweltministerin und das Umweltbundesamt
       die Ergebnisse Ihres Dieselgipfels zerschossen haben? Das Amt hat
       ausgerechnet, dass Software-Updates und Umtauschaktionen nicht reichen, um
       Fahrverbote in den meisten relevanten Städten zu verhindern. 
       
       Dass der Gipfel im August nicht ausreicht, die verschiedenen Probleme zu
       lösen, war immer klar. Ich habe von einem ersten Schritt gesprochen, dem
       weitere folgen müssen. Es wurden Arbeitsgruppen beschlossen, die man nun
       auch arbeiten lassen sollte. Unbestritten ist, dass mit dem reinen
       Software-Update die Grenzwerte nicht eingehalten werden. Wir haben zwei
       weitere Bausteine. Das eine sind die Umtauschprämien, die ja gerade erst
       angelaufen sind, es ist also noch offen, wie viele Menschen davon Gebrauch
       machen und was das für die Emissionen bedeutet. Der zweite ist die Frage,
       was man im Verkehrsmanagement der Städte noch verändern kann, zum Beispiel
       über den öffentlichen Personennahverkehr.
       
       Jetzt schieben Sie die Sache zu den Kommunen. 
       
       Ich habe für den 4. September die Vertreter der am stärksten betroffenen
       Kommunen und die Ministerpräsidenten zur Beratung ins Kanzleramt
       eingeladen. Wir müssen jede Kommune individuell betrachten. In Kiel sind
       die Stickoxid-Emissionen auch deshalb so hoch, weil Schiffe betankt werden.
       In Stuttgart spielt die besondere geografische Lage eine Rolle. Ich will,
       dass wir gerade aus diesen Städten die fortschrittlichsten machen, was
       Mobilität anbelangt, Städte mit intelligenten Lösungen für die neuen
       Mobilitätsbedürfnisse. Arbeitgeber könnten zum Beispiel mehr Ladestellen
       für E-Mobilität einrichten, oder man könnte das verstärkt in Parkhäusern
       anbieten.
       
       Warum wird nicht die Hardware in alten Dieselfahrzeugen nachgerüstet? 
       
       Wenn ich in alte Technologie pro Auto noch mal 1.000 bis 2.000 Euro stecke
       und die Wirtschaft dafür zwischen 10 und 20 Milliarden Euro aufwenden muss,
       die sie nicht in die Entwicklung neuer Technologien stecken kann – ist das
       eine Investition, die der Staat befördern sollte? Da müssen wir erst alle
       anderen Wege prüfen, bevor wir dazu ein abschließendes Urteil fällen. Ich
       möchte keine Lösung, die zwar Millionen Dieselfahrer betrifft, aber
       gleichzeitig dazu führt, dass die Autoindustrie sich nicht ausreichend um
       eine ressourcenschonende Zukunft kümmern kann. Die taz ist doch jetzt schon
       der Meinung, dass das nicht ausreichend geschieht, und hat dafür auch
       einige gute Argumente.
       
       Noch eine Frage, die uns wichtig ist. Unser Kollege Deniz Yücel sitzt immer
       noch in der Türkei in Haft. Warum konnten Sie bisher nicht erreichen, dass
       er freikommt? 
       
       Wir setzen uns auf allen Kanälen für ihn ein. Das ist leider sehr
       kompliziert, weil Deniz Yücel Doppelstaatler ist und wir da konsularisch
       nicht so viele Rechte haben. Trotzdem tun wir alles in unserer Macht
       Stehende für ihn, öffentlich, aber vor allem auch in unseren Kontakten mit
       türkischen Behörden. Wir sorgen uns auch um Mesale Tolu und Peter Steudtner
       und die weiteren Inhaftierten. Wir haben die Reisehinweise für die Türkei
       verändert und gehen weit restriktiver an wirtschaftliche Kontakte heran.
       All das hat leider bisher noch nicht zur Freilassung Ihres Kollegen
       geführt, aber nichts würde ich mir mehr wünschen als das.
       
       28 Aug 2017
       
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 (DIR) Georg Löwisch
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       Doch viele verarmen, sie leiden häufig an Depressionen und Burn-Outs.
       
 (DIR) Flucht nach Europa: Die Geschichte von Paul und Jakob
       
       In dem Film „Als Paul über das Meer kam“ erzählt der Dokumentarfilmer Jakob
       Preuss die Fluchtgeschichte des Kameruners Paul Nkamani.
       
 (DIR) Deutsche Flüchtlingspolitik: Keine Ausweisungen nach Ungarn
       
       Seit dem 11. April wurden keine Geflüchteten aus Deutschland zurück nach
       Ungarn geschickt, teilt die Bundesregierung mit. Das soll vorerst auch so
       bleiben.
       
 (DIR) Fragestunde mit Angela Merkel: Immer im Dienst
       
       Pflichtbewusst und bescheiden: So präsentiert sich Angela Merkel. Auf
       Nachfragen reagiert sie professionell – außer bei einem Thema.
       
 (DIR) Migrationsgipfel in Paris: Prüfung schon in Afrika
       
       Beim Treffen einigten sich Staats- und Regierungschefs auf eine
       Transitstaaten-Lösung. Asylanträge werden künftig schon in Staaten wie
       Niger oder Tschad geprüft.
       
 (DIR) Das Merkel-Interview im Überblick: Grüne, Einwanderung und #FreeDeniz
       
       Dass die Kanzlerin ausgiebig über die Grünen spricht, ist allein schon eine
       Aussage. Weitere Themen: Flüchtlinge, Diesel und der Sudan.
       
 (DIR) Kolumne Die eine Frage: Ist Deutschland super?
       
       Joschka Fischer sagt, Deutschland habe sich wunderbar entwickelt. Er sei
       „Deutscher. Durch und durch“. Das ist eine sehr gute Nachricht.
       
 (DIR) Kommentar Flüchtlingspolitik: Besser kein Wahlkampfthema
       
       Der Umgang mit Geflüchteten spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Das ist
       gut so. Denn das Thema würde der AfD nur so passen.
       
 (DIR) Angela Merkel und die Generation Merkel: Bitte lasst ein Kreuzchen da
       
       Mit ihrem Live-Interview auf YouTube versucht Angela Merkel wacker, von
       jungen Wählern Stimmen für ihre Union zu ergattern.