# taz.de -- BGH hebt Urteil gegen Neonazis auf: Fretterode-Prozess neu aufgerollt
       
       > Zwei Journalisten wurden 2018 von Neonazis angegriffen. Der
       > Bundesgerichtshof hob nun das Urteil wegen Mängel der Beweisführung auf.
       
 (IMG) Bild: Die zwei Angeklagten im Landgericht Mühlhausen 2022
       
       Das sogenannte Fretterode-Verfahren gegen zwei [1][Neonazis] wegen des
       gewalttätigen Angriffs auf zwei Göttinger Journalisten geht in eine neue
       Runde. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob ein Urteil des Landgerichts
       Mühlhausen wegen erheblicher Mängel in der Beweisführung auf und gab damit
       dem Revisionsbegehren der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage statt. Die
       Revision eines der Beschuldigten wies der BGH hingegen zurück. Der Prozess
       wird nun vor einer anderen Kammer des Landgerichts neu aufgerollt.
       
       Ende April 2018 waren der Fotograf und sein Begleiter aus Göttingen mit dem
       Auto ins rund 30 Kilometer entfernte thüringische Dorf Fretterode gefahren,
       wo der Neonazi-Funktionär [2][und stellvertretende NPD (heute: „Die
       Heimat“)]-Bundesvorsitzende Thorsten Heise auf einem ehemaligen Gutshof
       wohnt. Die Medienleute fotografierten das Anwesen – und wurden dabei von
       Rechtsextremisten entdeckt.
       
       Als sie sich mit ihrem Auto zurückziehen wollten, wurden die Journalisten
       von zwei Neonazis – Gianluca B. und Nordulf H. – mit einem schwarzen BMW
       verfolgt. Es kam zu einer wilden Hetzjagd über eine Landstraße sowie durch
       die Dörfer Fretterode und Germershausen.
       
       Am Ortseingang von Hohengandern, knapp vor der
       thüringisch-niedersächsischen Landesgrenze, wurden die Journalisten
       eingeholt. Nachdem das verfolgte Fahrzeug in einem Graben zum Stehen kam,
       attackierten die Neonazis zunächst das Auto und anschließend die Insassen
       mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem Schraubenschlüssel und
       Pfefferspray.
       
       ## Schwere Verletzungen
       
       Der Fotograf erlitt eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel,
       der andere Journalist erhielt mit dem schweren Schraubenschlüssel einen
       Schlag auf den Kopf, er erlitt eine Fraktur des frontalen Schädelknochens
       und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die
       hinteren Reifen zerstochen, die Angreifer raubten zudem die Kamera und die
       Kameratasche des Fotografen.
       
       Der Fotograf konnte noch aus dem eigenen Fahrzeug heraus Bilder von einem
       der Täter machen, die SD-Karte mit diesen Aufnahmen gelangte nicht in den
       Besitz der Neonazis und wurde den Ermittlungsbehörden zur Verfügung
       gestellt.
       
       Im [3][September 2022 verurteilte das Landgericht Mühlhausen] Gianluca B.
       und Nordulf H. zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von
       einem Jahr beziehungsweise zu einer Auflage von 200 Stunden gemeinnütziger
       Arbeit nach Jugendstrafrecht. Die Anwälte der als Nebenkläger auftretenden
       Journalisten hatten eine Verurteilung auch wegen schweren Raubes mit
       deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der
       neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert.
       
       Die Verurteilung wegen schweren Raubes verweigerte das Landgericht jedoch,
       weil es die Aussagen der Journalisten in Zweifel zog und den Neonazis mehr
       Glauben schenkte, die den Raub und weite Teile des Tatgeschehens insgesamt
       bestritten. Auch neonazistische Beweggründe der Täter wollte das
       Landgericht nicht erkannt haben.
       
       ## Tradition von milden Strafen
       
       Zahlreiche, nicht nur antifaschistische Initiativen übten scharfe Kritik an
       dem Urteil und der Begründung. Vertreter der rot-rot-grünen
       Regierungskoalition in Thüringen, aber auch Mitglieder von Bündnissen gegen
       Rechtsextremismus sowie von Journalistenverbänden sprachen von einem
       „Skandalurteil“, das ein völlig falsches Signal sende.
       
       Nebenklage-Anwalt Rasmus Kahlen und sein Mandant legten Rechtsmittel ein,
       „um eine Neuverhandlung und damit eine Chance auf eine angemessene
       Würdigung der durch die Angeklagten begangenen Taten zu erreichen“. Das
       Urteil des Landgerichts reihe sich ein „in eine Tradition von milden
       Strafen gegen Neonazis“.
       
       Daraufhin hat der BGH nun die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen
       für fehlerhaft erklärt. Es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien
       hinsichtlich des Raubes der Kamera – auch des Tatmotivs, heißt es zur
       Begründung. Zudem habe das Landgericht in der Beweiswürdigung nicht den
       Verbleib der Kamera erörtert. Eine andere Kammer des Landgerichts
       Mühlhausen muss die Beweisaufnahme neu vornehmen, ein Termin dafür steht
       noch nicht fest.
       
       14 Mar 2024
       
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