# taz.de -- Urteil zu Neonazi-Angriff in Fretterode: Überraschend milde Strafen
       
       > Im Fall des Raubüberfalls auf zwei Journalisten 2018 in Thüringen wurden
       > die Angeklagten schuldig gesprochen. Ins Gefängnis müssen sie nicht.
       
 (IMG) Bild: Puschkinhaus in Mühlhausen/Thüringen am Tag der Urteilsverkündung, 15. September 22
       
       MÜHLHAUSEN taz | Im Saal des Puschkinhauses in Mühlhausen herrscht am
       Donnerstagmittag drückende Stille, als die Vorsitzende Richterin im
       sogenannten Fretterode-Prozess den Raum betritt und verkündet, dass die
       Angeklagten Nordulf H. und Gianluca B. der Sachbeschädigung und
       gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen werden.
       
       Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die beiden Neonazis [1][zwei
       Journalisten gejagt, attackiert und schwer verletzt haben]. Im Groben
       bestätigt die Richterin in ihren Ausführungen die Darstellung der beiden
       Journalisten, die in dem Prozess als Nebenkläger auftraten.
       
       Demnach haben die beiden Angegriffenen im April 2018 ein Treffen von
       Mitgliedern der rechtsextremen Szene auf dem Anwesen von NPD-Größe Thorsten
       Heise im thüringischen Fretterode beobachtet. Nachdem sie entdeckt wurden,
       verfolgten Nordulf H. und Gianluca B. das Auto der beiden Journalisten. Der
       Wagen kam von der Straße ab, die Neonazis zerstörten die Scheiben des Pkw.
       Mit einem Schraubenschlüssel, einem Baseballschläger, einem Messer und
       Reizgas griffen sie Insassen an. Einer der beiden erlitt eine
       Schädelfraktur und eine Kamera verschwand.
       
       Trotzdem kommen die Angeklagten mit vergleichsweise milden Strafen davon:
       Nordulf H. wurde zu einer Jugendstrafe von 200 Sozialstunden, Gianluca B.
       zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Damit bleibt das
       Landgericht Mühlhausen deutlich hinter dem von der Staatsanwaltschaft
       geforderten Strafmaß zurück.
       
       ## „Ein politisch motivierter Raubüberfall“
       
       Die Ankläger hatten Gefängnisstrafen für beide Angeklagten beantragt. Bei
       den Männern handele es sich um Personen mit engen Verbindungen zum
       Rechtsextremismus, hatte ein Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem
       Plädoyer erklärt: „Es war kein gewöhnlicher Raubüberfall, sondern ein
       politisch motivierter.“
       
       Die Richterin sagte, es sei im Zuge der Verhandlung unklar geblieben, ob
       die Angeklagten die beiden Angegriffenen als Pressevertreter erkannt
       hätten. Vielmehr hätten die Täter ihre Opfer als Angehörige der linken
       Szene identifiziert. Dafür spreche unter anderem, dass während des
       Übergriffs das Wort „Zecken“ gefallen sei, so die Vorsitzende Richterin.
       
       Einer der Journalisten verließ aus Protest noch während der
       Urteilsbegründung den Saal. Später sagt er der taz, für ihn handele es sich
       um ein skandalöses Urteil: „Das ist Enttäuschung durch den Rechtsstaat, ein
       unfassbares Zeichen und für Neonazis quasi ein Freibrief, kritische
       Journalist*innen anzugehen“, so der Nebenkläger.
       
       ## Als Opfer stilisiert
       
       Über den gesamten Prozess hatten die beiden Angeklagten versucht, sich als
       Opfer darzustellen. In einer Einlassung erklärten sie, es sei ihnen nur um
       die Verteidigung ihrer Persönlichkeitsrechte gegangen. „Nachvollziehbar“
       findet die Richterin das in ihren Ausführungen zum Urteil – was die Tat
       aber nicht rechtfertige. Auch die Bezeichnung „Zecken“ sei ein normaler
       Begriff und lasse nicht etwa Rückschlüsse auf die politische Gesinnung der
       Täter zu.
       
       Der Angriff in Fretterode war bundesweit als Attacke auf die Pressefreiheit
       kritisiert worden. Doch es dauerte mehr als drei Jahre, bis überhaupt
       Anklage erhoben wurde. Zwischenzeitlich wurde die Strafkammer
       ausgewechselt.
       
       Peter Dinkloh, Verdi-Mediensekretär des Landesbezirks Niedersachsen/Bremen
       hat den Prozess beobachtet und kritisiert gegenüber der taz: „Das Urteil
       öffnet Neonazis und Verschwörungsideolog*innen Tür und Tor, sich aus
       menschenverachtenden Taten herauszureden“, indem sie sich selbst als die
       Bedrohten darstellten. „Es handelt sich aber um grundgesetzlich geschützte
       Pressearbeit“, so Dinkloh.
       
       15 Sep 2022
       
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