# taz.de -- Bodypositivity statt Ageism!: Geburtstagsbrief an meinen Körper
       
       > Mit dem Alter verändert sich der Körper. Kein Grund für
       > Schönheitschirurgie. Ein wenig Selbstpflege, Selbstachtung, Selbstliebe
       > reicht.
       
 (IMG) Bild: Mit 67 muss frau nicht mehr joggen, sondern kann gemütlich den Sonnenuntergang genießen
       
       Ich bin vor ein paar Tagen 67 Jahre alt geworden. Es gab einen Moment um
       zwei Uhr früh, als ich aufwachte und plötzlich die Leuchtziffer im Dunkeln
       vor mir sah: 67! Fast 70. Unheimlich. Eine Freundin fragte mich dann beim
       Geburtstagsbrunch, ob man mit Ende 60 im Sommer kurzärmelig herumlaufen
       dürfe. Von wegen Echsenhaut an den Armen und so. Der alte Mensch als
       Verschandelung in der Öffentlichkeit. In der nächsten Nacht schrieb ich den
       Brief an meinen Körper. Hier ist er:
       
       Lieber Körper!
       
       Jetzt hast Du 67 Jahre lang durchgehalten, danke dafür. Okay, das Klettern
       lasse ich inzwischen. Ich jogge auch nicht mehr, Deine Knie, lieber K.,
       freuen sich über mehr Beschaulichkeit. [1][Auf dem Tempelhofer Feld] kann
       ich inzwischen das Löffelkraut von der Ackerwicke unterscheiden, da gehe
       ich gerne spazieren.
       
       Meine Einstellung zur Dir hat sich komplett geändert, weißt Du. Früher, vor
       20 Jahren, bin ich tatsächlich mit einem Schönheitschirurgen ins Gespräch
       gekommen. Mit Botox solle man früh anfangen, damit sich die Stirnfalten
       nicht eingraben, sagte er. Ich habe nix machen lassen und auch deswegen
       sind wir zwei noch so gut befreundet miteinander, lieber K., Du und ich.
       
       Wie guten Freund:innen sehe ich auch Dir heute einiges nach. Echsenhaut
       an den Armen? Ist nicht schön, aber halt da. Weißt Du noch, wie ich vor 20
       Jahren diesen hysterischen Anfall gekriegt habe wegen der Dellen an den
       Oberschenkeln? Ich fing an, mit einem Massagehandschuh und der Creme an den
       Beinen rumzurubbeln. Müssen wir heute beide drüber lachen, lieber K. Dein
       Gewebe ist halt weicher geworden, so what.
       
       ## Immerhin
       
       Immerhin hältst Du Dich noch gut. In der Dämmerung sehe ich zwar ohne
       Brille jetzt in der Ferne doppelt, aber den orangeroten Sonnenuntergang
       kann ich noch gut erkennen. Ich kann auf dem Fahrrad das Gleichgewicht
       halten. Ich weiß meistens noch die Vornamen, wenn ich alte Bekannte
       zufällig treffe.
       
       Meine Maßstäbe haben sich verändert, es ist, als hätte ich in den
       vergangenen Jahren einen riesigen Bilderrahmen durch die Gegend getragen
       und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Wenn ich die Welt jetzt dadurch
       betrachte, wirkt sie anders als früher. Das Rauschen der Kiefernwälder –
       schöne Kindheitserinnerung. Das Blühen des Rhododendron-Hains –
       überwältigend. Ein überraschender Anruf einer lieben Freundin –
       herzerwärmend. Altwerden macht kitschig, lieber K.
       
       Ich bleibe weiter nett zu Dir, ich lass Dich nicht hungern und Du musst
       auch nicht mit dem Oberkörper hundertmal aus dem Liegen nach oben klappen,
       damit die Bauchmuskeln fester werden. Du bist noch da, das ist das
       Wichtigste. P. und V. und B. und D., die hatten nicht so viel Glück. Also,
       K., weiterhin auf gute Freundschaft. Morgen gehen wir zusammen [2][in den
       Schlachtensee] und lassen uns treiben. Es wird sonnig und warm. Herzlichst,
       Deine B.
       
       26 Jun 2023
       
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