# taz.de -- Comic über Thomas Bernhard: Der Querulant im Ohrensessel
       
       > Nicolas Mahler zeichnet und erzählt von einem der größten Grantler der
       > Weltliteratur: Eine „unkorrekte Biografie“ über Thomas Bernhard.
       
 (IMG) Bild: Seinen Ekel, seine „Menschenabneigung“ hatte Bernhard von seinem Großvater Johannes Freumbichler
       
       Der Schriftsteller Thomas Bernhard (1931–89) ist eine Legende des
       literarischen Österreichs. Zu Lebzeiten wurde er für seine meist
       monologisch angelegten Stücke und Prosatexte verehrt. Zugleich aber auch
       wegen seiner harschen, häufig Österreich- wie auch Kulturbetrieb-kritischen
       Äußerungen in Interviews und Literaturpreisreden gefürchtet.
       
       Der 1969 geborene [1][Comiczeichner Nicolas Mahler], der bereits seit
       Jahren kanonische Werke der Weltliteratur in handlicher Graphic-Novel-Form
       interpretiert, hat in Bernhard einen Geistesverwandten gefunden.
       
       Schon mit „Alte Meister“, seiner ersten Literaturadaption von 2011, griff
       er auf einen Roman seines Landsmanns zurück, der einen ähnlich schwarzen
       Humor hatte wie Mahler in seinen Comics. Später adaptierte er auch
       Bernhards Stück „Der Weltverbesserer“ auf seine typische, grafisch
       minimalistische Weise – mit gezeichneten Theater-Vorhängen zwischen den
       Kapiteln.
       
       [2][Zum 90. Geburtstag des Autors] und wieder von Bernhards Haus-Verlag
       Suhrkamp herausgebracht, ist nun Bernhards „unkorrekte“ Biografie an der
       Reihe. „Korrekt“ hätte eine gezeichnete Biografie auch kaum ausfallen
       können, denn eine allzu brave oder gar geglättete Darstellung hätte wohl
       die Grabesruhe Bernhards gestört, der selbst keine Gelegenheit zur
       Unruhestiftung ausgelassen hatte.
       
       ## Wesentliche Stationen im Leben Bernhards
       
       Mahler greift wesentliche Stationen in Bernhards Leben auf: Die lieblose
       Mutter sah in den Zügen des Jungen nur den verhassten Ex-Geliebten, der sie
       nicht heiraten wollte, und schob ihn ab zu den Großeltern. Der Großvater
       Johannes Freumbichler, ein Heimatdichter, wurde zur wichtigsten
       Bezugsperson.
       
       Dessen „Menschenabneigung“ wurde später zum Vorbild für Bernhards
       Protagonisten. Auch den ersten Theaterbesuch unternahm er mit dem Großvater
       – eine Auspeitschungsszene beeindruckte den kleinen Thomas besonders.
       
       Dann schickte man ihn in NS-Erziehungsheime, zuletzt ins Johanneum
       Salzburg, das nach dem Krieg wieder katholisch wurde – das Hitlerbild wurde
       einfach durch ein Kreuz ersetzt. Das Gymnasium verabscheute Bernhard als
       „Geistesvernichtungsanstalt“.
       
       Er weigerte sich „mitzumarschieren“, brach die Schule ab und machte eine
       Kaufmannslehre. Nach einer knapp überstandenen Tuberkuloseerkrankung gefiel
       sich der junge Schriftsteller in der Rolle des Außenseiters. Einzig in der
       35 Jahre älteren, wohlhabenden Hedwig Stavianicek, auch „Tante“ genannt,
       fand er seinen „Lebensmenschen“ (ein Begriff aus „Alte Meister“): Sie war
       für ihn mütterliche Förderin wie innige Freundin.
       
       ## „Jetzt komm ich!“: Bernhard und sein Ruhm
       
       Bei der Nachricht vom Tod des Schriftstellers Heimito von Doderer machte
       Bernhard einen Freudensprung vorm Fernseher: „Jetzt komm ich!“ Bernhard
       sammelte Preise – auch, um in späteren Texten gegen den Literaturbetrieb
       schimpfen zu können. Das Wiener Burgtheater wurde zum festen Partner für
       seine szenischen Zumutungen. Erstaunlicherweise reagierte auch das
       Salzburger Festspielpublikum bei mancher Premiere verzückt, Tenor: „Mal was
       Neues.“
       
       Bernhard ließ sich auch gerne interviewen, so etwa auf Mallorca, und
       fantasierte, wie es wäre, Papst zu sein, „Thomas I.“. Bernhard 1977: „Im
       Grunde wollt’ ich irgendwie berühmt sein, immer schon, durch was, war mir
       eigentlich wurscht.“ Es war ihm gelungen. 1989 [3][starb der prominente
       Eigenbrötler] dann infolge langjähriger Erkrankungen an Herzversagen.
       
       Nicolas Mahler nimmt sich des dauerzeternden Schriftstellers liebevoll an,
       zeichnet mit dicken Tuschestrichen und aufs Wesentliche reduziert. Das
       „Todesvogerl“, eine schwarze Krähe, begleitet den Todkranken schon als
       junger Erwachsener.
       
       Während er zur dicken Gurkennase eine „Eraserhead“-ähnliche Hochfrisur
       trägt und sich bevorzugt dandyhaft bei „Sir Anthony“ einkleidet, hat der
       gealterte Bernhard lichtes Haar und sitzt im Ohrensessel, die Sprechblasen
       über seinem Kopf beben wie schwarze Gewitterwolken.
       
       ## Heiter-böser Comic mit Zitaten und „Fehlerquellen“
       
       Der Sessel soll Bernhards Beobachterperspektive unterstreichen, denn er
       verweigerte sich weitgehend dem „echten“ Leben, ging Liebesbeziehungen und
       tiefer gehenden Freundschaften aus dem Weg. Ausnahmen: „Tante“ Stavianicek,
       [4][Verleger Siegfried Unseld] (mit dem ihn eine Hassliebe verband) und
       [5][Burgtheaterintendant Claus Peymann].
       
       Nicolas Mahler verdichtet – unterstützt von Bernhards 2020 verstorbenem
       Stammlektor Raimund Fellinger, der das Buch noch initiierte – Bernhards
       Lebensweg auf jeweils ein bis zwei Bildern pro Seite mit Zitaten aus seinen
       Werken und eigenen, lakonischen Zusammenfassungen. In einem Panel schwebt
       Bernhards Kopf wie ein riesenhafter Dämon über Wien, begleitet von dem
       Zitat: „Die Österreicher sind liab und bleiben blöd.“
       
       So ist ein heiter-böser Comic entstanden, der das schillernde Leben dieses
       Enfant terrible der österreichischen Literatur in 99 Anekdoten auffächert
       und einen prägnanten Eindruck von der Persönlichkeit Thomas Bernhards
       vermittelt. Doch Vorsicht: Der Zeichner hat bewusst so manchen Fake in die
       Comicbio eingebaut – im Anhang klärt er unter „Fehlerquellen“ darüber auf.
       Frei nach Bernhard (aus „Der Keller“): „Letztlich kommt es nur auf den
       Wahrheitsgehalt der Lüge an.“
       
       7 Apr 2021
       
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