# taz.de -- Europas Afrika-Politik: Den Postkolonialismus überwinden!
       
       > Die päpstliche Forderung, von Afrika die Hände zu lassen, ist zu
       > kurzsichtig. Stattdessen gilt es Hand in Hand die Folgen der Ausbeutung
       > anzugehen.
       
 (IMG) Bild: Eine Studentin prüft Solarpanels auf dem Dach an der Strathmore University in Nairobi
       
       „Hände weg von Afrika!“ Der Beifall von Millionen Menschen im Kongo und von
       Katholik.innen in ganz Afrika ist dem Papst für diesen Ruf an die Welt
       gewiss. Und man mag dem Appell, sich von der kolonial geprägten
       Afrika-Politik zu verabschieden und die Ausbeutung des Kontinents zu
       beenden, von ganzem Herzen zustimmen. Zumal Afrika im Kontext des
       [1][Ukraine-Krieges] verstärkt wieder nur auf eine alternative Adresse für
       Rohstoffe reduziert wird. Und trotzdem regt sich Widerspruch.
       
       Denn welch paternalistische Attitüde steckt da dahinter! Die [2][päpstliche
       Forderung] setzt genau jene kolonialistische Perzeption Afrikas als Opfer
       und als Rohstofflieferant fort. Und wenn Franziskus dem anfügt, Afrika
       „möge Gestalter seines Schicksals sein“, klingt die wohlmeinende Hoffnung
       obendrein noch zynisch. Das Schicksal haben die Kolonisatoren über die
       letzten beiden Jahrhunderte geformt. Dieses Erbe lässt sich nicht leicht
       abschütteln.
       
       Nicht „Hände weg von Afrika“ muss es heißen, sondern „Hand in Hand in
       Afrika – und zwar zügig“. China baut im Wissen um den geopolitischen
       Wettkampf mit den USA seine wirtschaftliche Verankerung und den
       entsprechenden politischen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent längst
       gewissenhaft und skrupellos aus. Der politische Westen dagegen hat keine
       gemeinsame Strategie. Die USA sind auf den Pazifikraum konzentriert.
       
       Die EU überschüttet den Kontinent geradezu mit Initiativen, vom
       Paternalismus hat man sich in Europa noch nicht verabschiedet. In der
       [3][neuen Afrika-Strategie des Entwicklungsministeriums] in Berlin findet
       sich zwar der Ansatz einer partnerschaftlichen Entwicklung. Doch als der
       Bundeskanzler im Dienste der Ausbeutung senegalesischer Gasfelder bei
       seinem Afrika-Besuch einen Stopp in Dakar einlegte, stand das gewiss nicht
       im Vordergrund.
       
       ## Gigantisches Entwicklungspotenzial
       
       Afrika hat bald 1,4 Milliarden Einwohner und Einwohnerinnen. Die
       Bevölkerungszahlen steigen weiter steil an. Afrika hat eine extrem junge
       und immer jünger werdende Bevölkerung, die besser gebildet sein wird als
       die Generationen davor. Das kann man auch als gigantisches
       Entwicklungspotenzial begreifen. Selbstverständlich sind die Unterschiede
       zwischen den einzelnen Ländern Afrikas gravierend. Doch da entstehen
       wirtschaftliche Wachstumszentren, von denen in Deutschland vermutlich kaum
       jemand je etwas gehört hat.
       
       Man kann auf den leidenden zurückgebliebenen Kontinent blicken. Man kann in
       der vertrauten Pose bleiben und in der aktuellen Energiekrise Rohstoffe aus
       Afrika importieren. Aber wäre die Vision eines jungen aufstrebenden
       Kontinents, der uns vormacht, wie grüner, klimaschonender Fortschritt geht,
       nicht viel verlockender? Der größte Anteil der afrikanischen
       CO2-Emmissionen stammt aus dem Agrarbereich, aus der Entwaldung, dem
       Verwenden von Kohle und Kerosin im häuslichen Bereich.
       
       Etwa 600 Millionen Menschen in Afrika haben [4][keinen Zugang zu Strom].
       Eine nachhaltige Strategie in der Bekämpfung der Energiearmut würde zu mehr
       Klimaschutz und dem Entstehen neuer Branchen vor Ort führen. Durch die
       Erderwärmung und die mit dem Ukrainekrieg explodierenden Lebensmittelpreise
       verschlechtern sich die Lebensbedingungen für die ärmeren Familien weiter.
       Allein in Ostafrika hungern Millionen, und der Hunger treibt viele Menschen
       zur Migration.
       
       Eine partnerschaftliche, Grenzen überwindende Agrarstrategie könnte eine
       global stabilisierende Wirkung entfalten. Zugegeben: die weit
       [5][verbreitete Korruption], gravierend unterschiedliche Bedingungen in den
       einzelnen Ländern und die innerafrikanische Kolonialgeschichte stehen dem
       genauso entgegen wie [6][Bürgerkriege]. Doch wer hat den Kontinent denn
       dorthin gebracht? Die Strategie muss sein, eine nachhaltige, stabile
       Wirtschaft zu fördern, die allen zugutekommt.
       
       Dafür muss Europa den Mittelmeerraum annehmen und Afrika als gemeinsames
       Projekt begreifen. Alleingelassen, unter dem Motto „Hände weg von Afrika“,
       dem „Gestalter seines Schicksals“, würde sich die Krise in vielen Teilen
       Afrikas weiter zuspitzen. Die Kolonialstaaten tragen mit ihrer fossilen
       Industrialisierung eine doppelte Verantwortung, dem Kontinent den Sprung zu
       ermöglichen.
       
       Das wird jedoch nur funktionieren, wenn man sich von der postkolonialen
       Arroganz trennt; wenn der Globale Norden seinen Verpflichtungen [7][vom
       letzten Klimagipfel] nachkommt, wenn Deutschland auch 100 Milliarden für
       eine Afrika-Strategie zur Verfügung stellt; wenn Finanzinstitutionen trotz
       niedriger Bonitätsratings bessere Konditionen bieten. Ziel muss eine
       nachhaltige Entwicklung sein, mit der Afrika mittelfristig der Sprung in
       die moderne, postkarbonisierte Weltwirtschaft gelingt.
       
       5 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
 (DIR) [2] /Papst-Franziskus-in-Kinshasa/!5909421
 (DIR) [3] /Entwicklungspolitik/!5907732
 (DIR) [4] /Energienotstand-im-suedlichen-Afrika/!5906227
 (DIR) [5] /Experte-Robert-Kappel-ueber-Afrikas-Armut/!5495939
 (DIR) [6] /Ruanda-und-Kongo-am-Rande-des-Krieges/!5911414
 (DIR) [7] /Klimagipfel-COP-27-in-Aegypten-endet/!5896214
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Junge
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Afrika
 (DIR) Papst Franziskus
 (DIR) Kolonialismus
 (DIR) Postkolonialismus
 (DIR) Ausbeutung
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Feministischer Kampftag
 (DIR) Papst Franziskus
 (DIR) Entwicklungspolitik
 (DIR) Afrika
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gender-Dozentin über Kolonialismus: „Unsere Geschichte neu schreiben“
       
       Die Kolonialherren hätten das Wissen über die Rolle afrikanischer Frauen
       ausradiert, sagt Florence Ebila. Mit ihren Studierenden will sie das
       ändern.
       
 (DIR) Papst Franziskus in Kongo: Der Papst der klaren Worte
       
       Bei seinem Besuch in Kinshasa übt Papst Franziskus scharfe Kritik an den
       Zuständen – und spendet den Menschen Trost.
       
 (DIR) Entwicklungspolitik: Deutschlands neue Afrika-Strategie
       
       Früher galt das investorenfreundliche „Fördern und Fordern“ in der
       Entwicklungspolitik. Was haben die Ampelparteien vor?
       
 (DIR) Lücken der deutschen Afrikastrategie: Afrikas Vielfalt wahrnehmen
       
       Das BMZ übersieht, dass 54 Länder auf unterschiedliche Ansätze warten. Die
       Regierung sollte die Strategie entwickeln, nicht nur ein Ministerium.