# taz.de -- Generaldebatte im Bundestag: Alle gegen alle oder gegen eine?
       
       > Die Demos gegen rechts und die Radikalisierung der AfD sprengen die
       > Dramaturgie der Generaldebatte. Friedrich Merz versucht eine
       > Gratwanderung.
       
 (IMG) Bild: Oppositionsführer Friedirich Merz von der CDU bei der Generaldebatte am 31. Januar
       
       BERLIN taz | Wo sitzt der politische Gegner – links oder rechts von der
       Union? Unionsfraktionschef Friedrich Merz hatte am Mittwoch im Bundestag
       wahrlich keine einfache Aufgabe. Traditionell dient die Generaldebatte,
       offziell aufgehängt am Haushalt des Kanzleramts, dem politischen
       Schlagabtausch zwischen Oppositionschef und Kanzler.
       
       Doch Merz steckte noch die berührende Gedenkstunde zum Holocaustgedenktag
       in den Knochen, zudem gehen gerade überall in Deutschland beinahe täglich
       Menschen [1][gegen Rechtsextremismus auf die Straße]. Demonstrationen, die
       Merz ausdrücklich lobte. Die eingespielte Dramaturgie der Generaldebatte
       aus Rede und Gegenrede schien überholt.
       
       Also wagte Merz den Spagat – ein Gutteil seiner Redezeit widmete er der
       [2][AfD] und bescheinigte den mehrheitlich männlichen Abgeordneten, die
       sich rechts von der Unionsfraktion in die Sessel fläzten: „Sie sind nicht
       die Alternative, sondern der Abstieg für Deutschland. Wirtschaftlich und
       moralisch.“
       
       Zuvor teilte Merz hingegen wie gewohnt aus: gegen die Abgeordneten der
       Ampel, links von ihm, und den Bundeskanzler, schräg hinter ihm sitzend. Er
       machte die Ampel für die große Popularität der AfD in den Umfragen
       verantwortlich. „Die Wähler der AfD sind nicht alle rechtsradikal, aber
       alle frustriert.“
       
       ## Um die Union wird es einsam
       
       An der Politik der Bundesregierung ließ er kein gutes Haar. Man sei in
       allen wesentlichen Fragen, ob Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts-
       und Finanzpolitik, ob Arbeitsmarktpolitik oder Innen- und Rechtspolitik und
       nicht zuletzt der Asyl- und Einwanderungspolitik völlig anderer Meinung.
       Eine weitere Zusammenarbeit mit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP
       schloss Merz aus. „Ersparen Sie sich und uns Ihre Aufrufe zur
       Zusammenarbeit.“ Auch für eine Reform der Schuldenbremse stehe seine
       Fraktion nicht zur Verfügung.
       
       Um die Union könnte es demnach ziemlich einsam im Bundestag werden.
       Bundeskanzler Olaf Scholz, der nach Merz ans Rednerpult trat, wollte das so
       nicht stehenlassen. „Demokraten müssen zusammenstehen“, reichte er Merz die
       Hand. Zumal sich der Kanzler, der erneut für eine breitere internationale
       Unterstützung für die Ukraine warb, in diesem Punkt mit Merz ziemlich einig
       sein dürfte. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann redete Merz
       gut zu: „Machen Sie sich doch nicht so klein.“ Man habe doch gemeinsam viel
       erreicht, etwa beim Stiftungsgesetz.
       
       Doch auch Scholz steht unter Druck. Für den Kanzler und die SPD geht es
       zunehmend ums Ganze, nämlich ob Scholz den Hebel umlegen kann, um sich und
       seine Partei aus dem Umfrageloch zu hieven und wieder Zutrauen zu schaffen.
       Die SPD will ihn wieder kämpfen sehen. Und so streifte sich Scholz über die
       gerade noch ausgestreckte Hand eben auch die Boxhandschuhe.
       
       Im politischen Boxkampf habe Merz ein ganz schönes Glaskinn, zielte Scholz
       auf Merz: „Sie teilen jeden Tag gegen die Bundesregierung aus, aber wenn
       Sie mal kritisiert werden, sind Sie eine Mimose.“ Merz musste sich erst mal
       am Kopf kratzen.
       
       ## Chancen für Zusammenarbeit sinken weiter
       
       Überhaupt, so redete sich der Kanzler mit immer noch leicht belegter Stimme
       in Fahrt, behindere die Union Reformen und ziehe alle Wachstumsbremsen der
       Vergangenheit. „Ökonomischer Sachverstand: null. Keine ökonomische
       Perspektive für Deutschland“, attestierte er Merz und Co.
       
       In der Tat erinnert das politische Programm, das Merz als Gegenentwurf zur
       Ampel skizzierte, stark an das letzte Jahrtausend: Die Union will
       Sozialausgaben beschränken, Lohnzusatzkosten deckeln, Unternehmen
       entlasten, Bürokratie abbauen und weg von der „einseitigen Orientierung auf
       erneuerbare Energien“. Das Bürgergeld bezeichnete Merz als „subventionierte
       Arbeitslosigkeit“, welches Leistungsbereitschaft verhindere. Dass
       Deutschland die höchste Beschäftigung seit Jahrzehnten hat? Geschenkt.
       
       Es bleibt also ein Rätsel, wie unter diesen Vorzeichen eine Zusammenarbeit
       gelingen soll, zumal die Rahmenbedingungen schwierig sind und bleiben. Die
       Kriege in der Ukraine und nun auch in Gaza haben den Koalitionsvertrag
       teilweise ad absurdum geführt und seit dem Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts fehlen der Ampel Milliarden, insbesondere für den
       klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.
       
       Die Verhandlungen für den Haushalt, der am Freitag mit über zweimonatiger
       Verspätung verabschiedet werden soll, waren nach Aussage der Haushälter von
       SPD, Grünen und FDP die kompliziertesten, die sie je erlebt hätten. Der
       Union, die nicht einen einzigen Änderungsantrag einbrachte, warfen sie gar
       Arbeitsverweigerung vor. Herausgekommen ist ein Haushalt, der knapp 477
       Milliarden Euro umfasst und dennoch enorm auf Kante genäht ist.
       
       ## Gleich der nächste Ampel-Streit?
       
       Die FDP lobt sich zwar, dass die grundgesetzliche Schuldenbremse, die neue
       Kredite stark einschränkt, eingehalten werde. Aber der nächste Haushalt
       dürfte auch deshalb noch kniffliger werden. Die Ausgaben sollen laut
       Finanzplanung um 25 Milliarden Euro sinken. Das bedeutet neue Sparrunden
       und neue Verteilungskämpfe, auch innerhalb der Ampel.
       
       Die Sprecherin der Grünen Jugend Svenja Appuhn bezeichnete es gegenüber der
       taz als „unverständlich“, dass die Schuldenbremse wieder eingehalten werde.
       „Gerade jetzt bräuchte es ein massives Investitionsprogramm für
       Daseinsvorsorge, gute Arbeit und sozialen Klimaschutz“, so Apphuhn. Denn
       die Teuerungen machten vielen Menschen zu schaffen, Beschäftigte erlebten
       Reallohnverluste. „Das schürt Verunsicherung und Abstiegsängste und schadet
       der Demokratie.“
       
       SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wagte im Bundestag ein wenig Selbstkritik:
       „Durch unser Verhalten in der Fraktion haben wir manchmal Verdruss und
       Besorgnis gefördert.“ Debatten seien notwendig, „Eigennutz, Unhöflichkeit
       und Besserwisserei müssen dagegen aufhören.“
       
       Allerdings brach Mützenich gleich mal selbst mit diesem Vorsatz, indem er
       eine Lieblingsforderung der SPD auch in der Generaldebatte ins Schaufenster
       stellte: Sollte tatsächlich der Kinderfreibetrag erhöht werden – wie es
       FDP-Finanzminister Christian Lindner will – dann müsse auch das Kindergeld
       steigen.
       
       Was unter Gerechtigkeitsaspekten nachvollziehbar ist, würde den ohnehin
       überstrapazierten Etat der Bundesregierung sprengen. Und birgt neuen
       Sprengstoff für die Ampel. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai kündigte
       schon mal eine neue Debatte über die Zukunft des Sozialstaats an, der auch
       gerecht sein müsse gegenüber denjenigen, die ihn finanzierten.
       
       Wie wichtig es aber wäre, dass sich die Demokrat:innen auch im
       Bundestag zusammenraufen, machte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel deutlich.
       Da die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht zwar diese Woche wohl
       [3][offiziell Gruppenstatus erhalten werden], in der Generaldebatte aber
       kaum zu Wort kamen und auch keine Fraktion mehr sind, ist die AfD jenseits
       der Union nun die einzige relevante Oppositionsfraktion.
       
       Weidel sprach von einer „beispiellosen Verleumdungskampagne“ gegen ihre
       Partei, bezeichnete in ihrer Rede das Recherchenetzwerk Correctiv als mit
       Steuergeldern finanzierte „Hilfsstasi“ und deren Recherche über die
       Deportationspläne, die AfD-Politiker und Rechtsextreme schmiedeten, als
       „unglaubliche Lügen“. Um dann der Ampel vorzuwerfen, das Land mit illegalen
       Migranten zu „fluten“ und „den Deutschen ihre Heimat zu nehmen“. „Diese
       Regierung hasst Deutschland“, schrillte Weidel.
       
       Keine weiteren Fragen.
       
       31 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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