# taz.de -- Kunsttipps der Woche: Bilder, die streiten
       
       > Frühe Farb-„Characters“ aus den 1980ern von Fiona Rae. Wortreiche
       > Bilderrätsel mit Tilo Riedel. Und Indien neu fotografiert – von den
       > Rändern her.
       
 (IMG) Bild: Fiona Rae: Row Paintings, Installationsansicht, Buchmann Galerie 2021-2022
       
       Die Chance, Fiona Raes „Row Paintings“ in der [1][Buchmann Galerie] im
       Original zu sehen, sollte man sich nicht entgehen lassen, besonders weil
       sie nur noch bis Ende der Woche besteht. Die Bilder sind berühmt. Zum
       ersten Mal zeigte die Künstlerin sie 1988 in der folgenreichen Ausstellung
       „Freeze“, die Damien Hirst, Kunststudent im zweiten Semester, in den
       Londoner Docklands organisiert hatte und die den Durchbruch der Young
       British Artists bedeutete.
       
       Die Bilder entstanden also in einer Epoche, in der die Malerei vielen als
       eine obsolete Kunst galt. Raes Ehrgeiz war es, über eine klar artikulierte,
       konzeptuelle Herangehensweise malerische Zeitgenossenschaft und Aktualität
       zu erproben. Dazu ordnete sie ihre kalligraphischen und malerischen Gesten,
       die mal ganz zart auftreten wie bei „Untitled (nine on pale yellow)“ oder
       geradezu barock ausschwingen wie bei „Untitled (nine on green)“, auf der
       Leinwand in strengen Reihen an.
       
       Die Lust an den Gemälden resultiert dann aus der tänzerischen Bewegtheit
       der einzelnen „Characters“, wie Rae ihre Elemente nennt, sie resultiert aus
       der Pracht der Farben und deren überraschender Kombination. Farbspritzer
       und -verläufe durchqueren den paradigmatischen Raum des modernistischen
       Rasters und unterlaufen zusammen mit der Raffinesse von Raes Pinselführung
       dessen Autorität.
       
       Es sind wundersame Gestalten zu entdecken, mit dünnen Beinen oder großen
       Comic-Kulleraugen, Philip Guston wird in „Untitled (six on pink and
       yellow)“ mit dem Zyklopenauge, dem Hufeisen und seinem besonderen Pink
       heraufbeschworen. Terry R. Myers nennt sie im schönen Katalog zur
       Ausstellung „kämpferische Bilder“, die nicht nur das vermeintliche Ende der
       Malerei bestreiten, sondern auch untereinander streiten. Auf sehr
       fruchtbare, belebende Weise.
       
       ## (Sprach-)Raum als Ressource
       
       „Kein Zimmer, Küche, Bad/Heizung Sanitär/Abverkauf/Schichten/Kälterer
       Luft/Albtraumschiff/Extrawurst/Topmodells“, also das ist mal ein langer
       Ausstellungstitel. Passt aber. Er stammt von Tilo Riedel, der Wort- und
       Sprach- und Bildkünstler ist. Und dazu Bühnenbildner. Alle diese Talente
       fließen in seine Soloschau ein, die noch bis Anfang Februar bei [2][Vincenz
       Sala] läuft. Dort hat er raumfüllend eine Rampe aus Europaletten aufgebaut
       und darauf die zu keinem Zimmer, keiner Küche, keinem Bad gehörigen Dinge
       gestellt, wie eine weiße Kloschüssel, gefüllt mit einer Weltkugel, die –
       erinnern wir uns kurz noch einmal an Fiona Rae – wie ein Guston'sches
       Zyklopenauge über den Schüsselrand linst; oder einen Putzwagen, wie ihn
       professionelle Reinigungskräfte mit sich führen.
       
       In der hinteren Ecke des Raums stehen drei kleine eiserne Bettgestelle,
       denen in der entgegengesetzten Ecke kleine, aus Sperrholzplatten gebaute
       Heizradiatoren entsprechen, daneben steht eine Schüssel mit Finger Food,
       aus Gips geformte Finger nämlich.
       
       Tilo Riedel, der 1960 in Frankfurt geboren wurde, ist schon lange ein
       Kölner Künstler. Er inszeniert verheißungsvolle Bilderrätsel, in denen
       alltägliche Dinge geheimnisvolle Beziehungen untereinander eingehen, aber
       auch untereinander streiten, darüber, wer mehr Aufmerksamkeit verdient,
       oder wer die gültigere Interpretation der Situation liefert.
       
       Es geht allerdings in „Kein Zimmer, Küche, Bad“ wohl tatsächlich auch um
       die Frage nach dem Raum. Wer hat welche Ressourcen an Raum und wofür? Die
       Person, die mit dem Putzwagen unterwegs ist, was gilt für sie? Oder
       angesichts der Holzbox im Galeriefenster, die recht besehen eine riesige
       Halle mit hoher Decke darstellt, deren Wände mit Geweihen als Jagdtrophäen
       geschmückt sind: Wer repräsentiert hier? Die Kiste ist vielleicht kein
       Topmodell, aber ein gelungener Modellversuch, möchte man sagen und den
       Künstler zitieren: „Es gibt Dinge. Hast du keine Ahnung von du Arsch“.
       
       ## Indien, hyperreal erzählt
       
       Vom Raum als Ressource handeln auch die Fotografien, die Mini Kapur in
       ihrer Galerie [3][Under the Mango Tree] zeigt – auch wenn der Titel der
       Ausstellung „Indian Storytellers“ das nicht unbedingt vermuten lässt. Soham
       Gupta etwa erforscht in seiner Schwarzweiß-Serie „Eden“ Indiens koloniale
       Vergangenheit anhand der von den Briten aufgegebenen und der Natur
       überlassenen Prachtbauten: Zwischen den von Bäumen gleichzeitig
       aufgebrochenen wie gestützten Villen und Verwaltungsbauten tauchen Menschen
       wie Gespenster auf. Die Erzählung gilt ihnen, den Opfern der britischen
       Herrschaft.
       
       Auch Amit Pasricha fokussiert in den von Mini Kapur ausgesuchten
       Panoramaaufnahmen aus „India at Home“ mit seiner Kamera Räume, die in einer
       vergangenen Epoche wurzeln. Ob sich ihr distinkter Stil noch lange halten
       wird, ist fraglich. Der Fotograf setzt sich nicht ohne Grund mit seiner
       Social-Media-Kampagne „India Lost and Found“ für den Denkmalschutz in
       Indien ein.
       
       Cop Shiva, der tatsächlich einmal Cop, also Polizist, gewesen ist,
       fotografiert Menschen am Rand der indischen Gesellschaft, ländliche
       Migranten, Straßenkünstler in köstlichen, farbenprächtigen Räumen, indem er
       sie vor den zur Verschönerung des Stadtbildes in Auftrag gegebenen
       Wandmalereien platziert. Auf denkbar pragmatische Weise entstehen so
       Porträts von großem ästhetischem Reichtum.
       
       Der Bedeutung von Farben in Indien ist auch Dinesh Khanna auf der Spur, in
       seinen Aufnahmen der bunten Innenräume und Fassaden im ländlichen wie
       städtischen Raum. Hyperreal wird der Raum dann in den digitalen Gemälden
       von Ranbir Kaleka, in denen er fotografische und malerische Wahrnehmung
       verschmilzt. Ob sie noch in Indien zu verorten sind, ist manchmal schwer zu
       sagen. Aber wie – das ist die eigentliche Botschaft der Storytellers –
       stellen wir uns Indien überhaupt vor?
       
       18 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://buchmanngalerie.com/exhibitions/berlin
 (DIR) [2] https://www.vsala.com/Vincenz_Sala_home.html
 (DIR) [3] http://www.utmt.net/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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