# taz.de -- Neue Comics über Verschwörungserzählungen: In den Ministerien der Wahrheit
       
       > Verschwörungstheorien sind sehr einflussreich. Mit ihren Mythen
       > beschäftigen sich mehrere Comicneuerscheinungen in kritischer wie
       > unterhaltsamer Weise.
       
 (IMG) Bild: Aus „The Department of Truth. Band 1: Das Ende der Welt“ von James Tynion IV und Martin Simmonds
       
       Cole Turner beschäftigt sich als FBI-Agent mit Verschwörungstheorien und
       rechtsextremen Netzwerken. Eingeladen auf eine Flat-Earth-Convention, kommt
       der schüchterne Brillenträger allerdings ins Zweifeln, ob die Theorie von
       der Erde als flacher Scheibe nicht doch wahr sein könnte. Ein Flugzeug soll
       ihn und weitere „Eingeweihte“ in die Antarktis bringen, wo sie angeblich
       den endgültigen Beweis dafür sehen könnten.
       
       Doch am Ziel angekommen, werden alle Flugreisenden erschossen. Außer Cole.
       Der findet sich kurz darauf im Bunker einer Behörde wieder, von deren
       Existenz er bislang nichts ahnte: dem „Department of Truth“. Dessen Leiter
       will ihn anwerben, um, so behauptet er, zu verhindern, dass alternative
       Realitäten wahr würden. Sein Name: Lee Harvey Oswald.
       
       Die amerikanische Comicheftreihe „The Department of Truth“ handelt von dem
       auch titelgebenden „Wahrheitsministerium“. Es behauptet die US-Bürger (und
       die Menschheit an sich) davor schützen zu wollen, dass
       Verschwörungstheorien die Realität kapern. Doch hat nicht die Lüge bereits
       die tatsächliche Wirklichkeit gekapert und schon in eine Lüge verwandelt?
       
       Der Szenarist der Reihe, James Tynion IV, ist auch der Schöpfer der mit dem
       Eisner Award ausgezeichneten Horrorcomicserie „Something is killing the
       Children“, die gerade von Netflix adaptiert wurde.
       
       ## Mondlandung und Echsenmenschen
       
       Tynion schickt seinen zaghaften queeren Protagonisten Cole Turner (er lebt
       recht bürgerlich mit seinem Ehemann zusammen) in ein Wechselbad der
       Gefühle. Sein Verstand und seine Wahrnehmung werden wiederholt in Frage
       gestellt. Gab es die Mondlandung, Echsenmenschen? Und was ist mit dem
       diabolischen „Sternenmann“, der bevorzugt kleine Babies verspeist?
       
       Jedes der fünf Kapitel enthält neue Überraschungen, die auf bekannte
       Verschwörungsszenarien verweisen. Ein intelligentes Spiel mit
       Leseerwartungen einer von Donald Trumps alternativen Fakten erschütterten
       Gesellschaft. Das „Department of Truth“ erweist sich dabei immer mehr als
       zwielichtige Behörde. Allerdings drohen Tynions Erzählungen dabei selber
       leicht in eine Verschwörungstheorie abzugleiten, auch wenn Distanz und
       Ironie erkennbar bleiben.
       
       Grafisch überzeugen (neben den ausdrucksstarken Coverdesigns von Dylan
       Todd) die Zeichnungen von Martin Simmonds durch ihren experimentellen Stil.
       Deutlich ist dabei auch der Einfluss des US-Avantgardezeichners Bill
       Sienkiewicz (geb. 1958) zu erkennen, dessen Werke aus den 80ern und 90ern
       („StrayToasters“, „Moby Dick“) in letzter Zeit wiederentdeckt werden.
       
       ## Wunderbar monströse Effekte
       
       Simmonds collagiert aufwändig, mischt fotorealistische, skizzenhafte,
       malerische und verfremdende Techniken miteinander. Er erzielt so wunderbar
       monströse Effekte. Zwei weitere beunruhigende Bände sind geplant.
       
       Eine der langlebigsten und perfidesten Verschwörungstheorien ist die der
       sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“. Ein um 1900 entstandener
       Text, der anhand „authentischer“ Dokumente eine jüdische Weltverschwörung
       behauptet. Bis heute sind die obskuren Urheber der – bewiesenermaßen
       erfundenen – Schrift nicht zweifelsfrei identifiziert.
       
       Die Dreyfus-Affäre, in der der unschuldige jüdische Offizier Alfred Dreyfus
       1894 zu Unrecht der Spionage beschuldigt und verurteilt wurde, erschütterte
       damals gerade Frankreich. Der Ungar Theodor Herzl gründete – unter dem
       Eindruck des wachsenden Antisemitismus in Europa, russischer Pogrome und
       der Dreyfus-Affäre – den politischen Zionismus und organisierte 1897 den
       ersten Zionistischen Weltkongress. Dieser Begriff wurde von Antisemiten
       bewusst missgedeutet, um eine Weltverschwörung zu konstruieren.
       
       [1][Der amerikanische Comicautor Will Eisner (1917-2005)], einer der ganz
       Großen seines Metiers, widmete sich in seinem letzten Werk „Das Komplott“
       dieser Mythologie. Eisner verfolgt dabei die These, dass die „Protokolle“
       in russischen Geheimdienstkreisen im Zarenreich bzw. in Paris entstanden
       seien. Bis heute lässt sich nicht jedes historische Detail des
       Entstehungskontextes exakt belegen.
       
       ## Die Werke Will Eisners
       
       Doch Eisner gelingt es, gut zu veranschaulichen, wie ein böswilliges
       Lügenkomplott entsteht. Er macht deutlich, wie die angeblichen Protokolle
       aus einem grob zusammengestückelten Patchwork verschiedener literarischer
       Quellen konsturiert und in einen neuen, konspirativen Zusammenhang gesteckt
       wurden.
       
       Ein Teil der Schrift basiert auf einem Plagiat der 1864 geschriebenen
       satirischen Streitschrift „Gespräch in der Unterwelt zwischen Macchiavelli
       und Montesquieu“ des Schriftstellers Maurice Joly. Mit dieser wollte Joly
       die Korruption des selbsternannten französischen Kaisers Napoleon III.
       einst entlarven.
       
       Will Eisner erzählt diese Geschichte anhand einiger, möglicherweise an der
       Abfassung der Protokolle beteiligter Personen. Wie etwa dem russischen
       Mystiker Sergej Nilus, der in den ersten beiden Jahrzehnten des 20.
       Jahrhunderts tatsächlich maßgeblich zur Etablierung der Hetzschrift
       beigetragen hat, bis sie um 1920 in zahlreichen Sprachen verbreitet wurde.
       
       Der italienische Schriftsteller und Professor für Semiotik Umberto Eco
       (1932 – 2016), der die Einführung zu „Das Komplott“ verfasste, hat sich
       eingehend mit dem Phänomen Verschwörungstheorie beschäftigt. Zahlreiche
       seiner Schriften zeugen davon. Er wies auch nach, wie sich die Erfinder der
       „Weisen von Zion“ auf Bücher wie Alexandre Dumas' Roman „Joseph Balsamo“
       (1846) und des Grafen Cagliostros verschwörerisches Treiben beziehen.
       
       ## Umberto Eco und Cagliostro
       
       Cagliostro galt seinerzeit als Prototyp des Verschwörers. Folgt man Eco
       weiter, wird klar, dass im 17./18. Jahrhundert insbesondere den Jesuiten
       gerne Verschwörungen angedichtet wurden, meist von politischen oder
       religiösen Gegnern. Vieles von den gegen sie gerichteten Vorurteilen wurde
       später auch „den“ Juden angehängt.
       
       Wer hingegen [2][Aktuelles zum Thema sucht, wird vielleicht] im
       französischen Sachcomic „Glauben Sie an die Wahrheit?“ fündig. Dieses Buch
       richtet sich vorwiegend an Jugendliche und junge Erwachsene aus der
       Perspektive der Journalistin Doan Bui.
       
       Sie unternahm eine Recherchereise in die USA, traf dort Betroffene, aber
       auch Verbreiter obskurer Behauptungen, rechte Aktivisten und Medienmacher,
       die seriöse Medien ablehnen und selber alternative Fakten zu den
       Terroranschlägen von 9/11 oder Schulmassakern verbreiten. Ähnlich dem
       eingangs genannten „Department of Truth“.
       
       In gewollt naivem Ton und relativ einfach gehaltenen schwarzweißen
       Zeichnungen erzählt dieser Comic im Funny-Stil von Leslie Plée. Wenngleich
       visuell vielleicht etwas anspruchslos, versteht Bui doch, sehr gut komplexe
       Vorgänge und Begriffe wie „Flat-Earther“, „Truther“, „Deep State“ oder
       „QAnon“ anschaulich auf den Punkt zu bringen.
       
       15 Oct 2022
       
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