# taz.de -- Probleme mit Kindergrundsicherung: Der Staat steht in der Bringschuld
       
       > Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut und was macht die
       > Ampel-Regierung? Sie vermasselt die Kindergrundsicherung.
       
 (IMG) Bild: Die Armen in diesem Land haben keine schlagfertige Lobby
       
       Endlich liest man wieder von der Kindergrundsicherung, dem „größten
       sozialpolitischen Reformprojekt der Ampel“ (Familienministerin Lisa Paus).
       Dass es in diesen turbulenten Zeiten mit Weltkriegsängsten [1][und Debatten
       über DFB-Ausrüster] mal ein Sozialthema zum Titel „zentrales Streit-Thema
       der Ampelkoalition“ („[2][Tagesschau“]) schafft, ist nicht
       selbstverständlich. Damit ist aber auch schon alles Gute zu diesem Thema
       gesagt.
       
       Mit der Kindergrundsicherung sollen Leistungen wie das Kindergeld,
       Bürgergeld für Kinder und Kinderzuschlag zusammengefasst von einer Behörde
       niedrigschwellig und unbürokratisch bereitgestellt werden. Die Leistungen
       sollen so auch Familien erreichen, die sie bisher nicht erreicht haben.
       Dass das Vorhaben nun zwischen parteipolitischem Opportunismus (FDP),
       Gleichgültigkeit (SPD) und Unfähigkeit (Grüne) zerrieben zu werden droht,
       ist ein mindestens so großer Skandal wie der [3][vom
       Bundesverfassungsgericht gekippte Haushalt].
       
       Und dieser Skandal wird noch größer beim Blick auf den letzten
       Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes: „Auf einen neuen traurigen
       Rekordwert“ sei die Kinderarmut gestiegen, heißt es dort. Mehr als jedes
       fünfte Kind ist mittlerweile von Armut betroffen (21,8 Prozent), zudem 43,2
       Prozent der Alleinerziehenden. Auch kinderreiche Familien werden als
       besonders betroffene Gruppe genannt.
       
       Vordergründig geht es wieder einmal um Zahlen. Letzten Sommer stritten sich
       Familienministerin Lisa Paus und Finanzminister Christian Lindner noch um
       die Finanzierung, weshalb aus den zunächst geforderten [4][12 Milliarden
       mickrige 2,4 Milliarden Eur]o wurden. Dieses Mal [5][emotionalisiert die
       Zahl 5.000] – so viele neue Vollzeitstellen brauche es, um eine proaktiv an
       Bedürftige vermittelte Kindergrundsicherung zu realisieren, so das
       zuständige Ministerium zunächst. Natürlich schreit die
       Vier-bis-fünf-Prozent-Partei FDP da wieder mal aus Prinzip
       „Bürokratiemonster“ und dichtet so originelle Sätze wie „Den Sozialstaat
       fitter, nicht fetter machen“.
       
       ## Der Kanzler versteckt sich
       
       Die SPD und ihr Kanzler verstecken sich wieder mal bei einem wichtigen
       Konflikt. Und die Grünen scheitern wieder mal an ihrer vorauseilenden
       Kompromissbereitschaft. „Ich bin mir sicher, dass unter anderem durch
       Synergieeffekte und konsequente Digitalisierung die Gesamtzahl der Stellen
       noch reduziert werden kann“, [6][rudert die Familienministerin Paus] nun
       unbeholfen zurück.
       
       Aber um Zahlen geht es eben nur vordergründig. Man wolle „von der Holschuld
       der Bürger zur Bringschuld des Staates kommen“, lautet der Satz der
       Familienministerin, der die liberale Hysterie eigentlich triggert
       („verstörend“, Christian Lindner). Denn damit hat die Familienministerin
       ausnahmsweise mal etwas auf den Punkt gebracht: Selbstverständlich hat ein
       Sozialstaat, der den Namen verdient, die Aufgabe, die ungleichen
       Ausgangsbedingungen von Kindern auszugleichen.
       
       Wenn nicht der Staat hier eine Bringschuld hat, wer dann? Dass die FDP
       weiterhin die wichtigste Prämisse ihrer hochgepriesenen
       Leistungsgesellschaft verleugnet, ist zu erwartbar, als dass es empören
       könnte: Es gibt eben keine Chancengleichheit, die es erlauben würde, die
       eigene Situation allein mit Fleiß zu verbessern.
       
       Empören sollte aber, dass diejenigen in dieser Koalition, die das erkennen,
       nicht das Rückgrat haben, um entsprechend zu handeln. Und dass die Armen in
       diesem Land weiterhin keine schlagfertige Lobby haben.
       
       9 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /DFB-Wechsel-von-Adidas-zu-Nike/!5999783
 (DIR) [2] https://www.tagesschau.de/inland/kindergrundsicherung-streit-fdp-104.html
 (DIR) [3] /Debatte-ueber-Buergergeld/!5974050
 (DIR) [4] /Kompromiss-bei-Kindergrundsicherung/!5953059
 (DIR) [5] /Streit-in-der-Ampelkoalition/!5999319
 (DIR) [6] /Streit-in-der-Ampel-Koalition/!6000426
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Volkan Ağar
       
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