# taz.de -- Regierungskrise in Italien: Conte könnte nochmal
       
       > Italiens Ministerpräsident reicht seinen Rücktritt ein. Doch die
       > allgemeine Angst vor Neuwahlen könnte ihm zu einer weiteren Amtszeit
       > verhelfen.
       
 (IMG) Bild: Italiens Regierungschef Giuseppe Conte
       
       Am heutigen Dienstag reichte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte beim
       Staatspräsidenten Sergio Mattarella seinen Rücktritt ein. Die Parteien, die
       ihn im Senat, dem zweiten Haus des Parlaments, noch stützen, haben keine
       Mehrheit mehr. Dazu sind Contes Versuche der letzten Tage, zusätzliche
       Senator*innen aus den Reihen der Opposition für sich zu gewinnen,
       vorerst gescheitert.
       
       Contes Koalition ist in die Minderheit geraten, weil einer der vier
       Partner, die Kleinpartei Italia Viva (IV) unter [1][Ex-Ministerpräsident
       Matteo Renzi, vor knapp zwei Wochen den Bruch vollzogen] und ihre zwei
       Ministerinnen aus dem Kabinett abgezogen hatte. Damit blieben nur noch drei
       Parteien an Bord der Koalition: die Anti-Establishment-Bewegung
       Movimento5Stelle (5-Sterne-Bewegung), die gemäßigt linke Partito
       Democratico (PD) und die kleine radikal linke Liste Liberi e Uguali (Freie
       und Gleiche).
       
       Mit ihren Stimmen sowie mit der Unterstützung einiger versprengter
       Senator*innen aus der politischen Mitte, die sich bisher nicht dem
       Regierungslager zurechneten, überstand der Regierungschef dann zwar Anfang
       letzter Woche die Vertrauensabstimmungen im Abgeordnetenhaus und im Senat.
       Doch im Senat reichte es mit 156 Stimmen bei 321 Sitzen nur für die
       einfache, nicht für die absolute Mehrheit.
       
       Conte setzte deshalb darauf, aus der ihm abtrünnig gewordenen Renzi-Partei,
       aus Silvio Berlusconis Forza Italia sowie aus den Reihen der fraktionslosen
       Mitte-Senator*innen etwa 10-15 Überläufer*innen zu gewinnen, die die
       neue Fraktion der „Verantwortlichen“ oder auch der „Willigen“ bilden und
       als viertes Bein der Koalition wieder eine absolute Mehrheit sichern
       sollten.
       
       ## Angst vor Neuwahlen
       
       Hinter seinem Kalkül stand die Erwartung, dass wenigstens eines diese
       Kräfte eint: die Angst vor vorgezogenen Neuwahlen. Renzis Partei zum
       Beispiel liegt in den Meinungsumfragen bei 3 Prozent und hätte beste
       Chancen, bei den nächsten Wahlen gänzlich aus dem Parlament zu
       verschwinden, Berlusconis Forza Italia steht bei 7 bis 8 Prozent.
       
       Zudem werden in der nächsten Legislaturperiode das [2][Abgeordnetenhaus von
       630 auf 400, der Senat von 315 auf 200 Sitze verkleinert] – das Gros der
       gegenwärtigen Parlamentarier*innen weiß genau, dass ihre Wiederwahl
       eher unwahrscheinlich ist.
       
       Diese Angst hält nicht zuletzt auch die drei verbleibenden
       Regierungsfraktionen zusammen. Das M5S, die PD und LeU erklärten bis
       zuletzt übereinstimmend, sie stünden treu zu Conte. Und wenn sie die
       Drohung mit Neuwahlen nur ins Spiel brachten, um Renzis Partei an die Wand
       zu drücken, ging doch diese Runde in der Krise eindeutig an Renzi: Niemand
       aus seinen Fraktionen lief – wie von der Koalition erhofft – ins
       Regierungslager über.
       
       Deshalb zog Conte jetzt mit seinem Rücktritt die Notbremse, denn schon in
       diesen Tagen hätte ihm im Senat die erste Abstimmungsniederlage gedroht.
       Conte hofft allerdings darauf, von Staatspräsident Sergio Mattarella nach
       dessen üblichen Konsultationen mit den Parteien wieder mit der
       Regierungsbildung betraut zu werden.
       
       ## Von der Marionette zum Mittepolitiker
       
       Sollte er das hinbekommen, dann wäre ihm – [3][dem parteilosen
       Juraprofessor] – das Kunststück gelungen, binnen nicht einmal drei Jahren
       die dritte Koalition aufzulegen. Angefangen hatte der Quereinsteiger, der
       den Fünf Sternen nahesteht, nachdem das M5S 2018 mit fast 33 Prozent einen
       überragenden Wahlsieg eingefahren und dann mit der rechtspopulistischen
       Lega unter Matteo Salvini eine Anti-Establishment-Koalition gebildet hatte.
       
       In dieser ersten Regierung unter seiner Führung galt Conte jedoch bloß als
       die Marionette, deren Fäden der M5S-Anführer Luigi Di Maio und Lega-Chef
       Salvini zogen.
       
       Im Sommer [4][2019 aber ließ Salvini die Regierung platzen], in der
       Hoffnung, bei vorgezogenen Neuwahlen einen Erdrutschsieg einzufahren. Doch
       die bisher verfeindeten PD und M5S machten ihm einen Strich durch die
       Rechnung. Schon damals geeint von der Angst vor Neuwahlen – und vor Salvini
       – schlossen sie völlig überraschend eine Koalition.
       
       Und völlig überraschend blieb Conte Regierungschef, mit neuem Profil: Er
       präsentierte sich nun als dezidiert pro-europäisch, als Mittepolitiker mit
       vorsichtigen Linkstendenzen.
       
       ## Coronabonus für Conte
       
       Conte schaffte es auf diese Weise, in der gesamten Wählerschaft der ihn
       tragenden Parteien populär zu werden; niemand schmähte ihn mehr als
       Marionette.
       
       Einen weiteren Popularitätsschub brachte ihm dann die Coronakrise ein, in
       der er den Bürger*innen den Eindruck zu vermitteln wusste, [5][er
       steuere das Land ebenso besonnen wie entschlossen] durch den Notstand. Er
       verordnete den ersten Lockdown in Europa, und seine Regierung konnte die EU
       überzeugen, den Wiederaufbaufonds aufzulegen, aus dem Italien 209
       Milliarden Euro erhalten soll.
       
       Mehr als 60 Prozent Zustimmung erhielt Conte in einer vor wenigen Tagen
       durchgeführten Meinungsumfrage, während die ihn tragenden
       Regierungsparteien auf gerade einmal 40 Prozent kommen.
       
       Mit diesem Pfund will der bisherige Ministerpräsident auch jetzt in der
       Regierungskrise wuchern. Ob seine Rechnung aufgeht, ist jedoch völlig
       offen. Noch schwören ihm die Regierungsparteien die Treue. Doch wenn die
       Verbreiterung der Koalition nur um den Preis einer Auswechselung des
       Ministerpräsidenten zu haben ist, könnte Conte schnell ins Abseits geraten.
       
       Und wenn die Koalitionsverhandlungen auch ohne Conte schief gehen, stehen
       Neuwahlen wahrscheinlich im Juni vor der Tür, bei denen sich die
       populistische, [6][europafeindliche Rechte unter Matteo Salvini beste
       Siegchancen] ausrechnen darf.
       
       26 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Regierungskoalition-in-Italien-geplatzt/!5744254
 (DIR) [2] /Neuwahl-und-Wahlgesetz-in-Italien/!5411741
 (DIR) [3] /Regierungsbildung-in-Italien/!5507322
 (DIR) [4] /Regierung-in-Rom-vor-dem-Aus/!5616896
 (DIR) [5] /Coronapolitik-in-Italien/!5725211
 (DIR) [6] /Matteo-Salvinis-Erfolg-in-Italien/!5614793
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Italien
 (DIR) Giuseppe Conte
 (DIR) Regierungskrise
 (DIR) Mario Draghi
 (DIR) Italien
 (DIR) Italien
 (DIR) Italien
 (DIR) Matteo Renzi
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Regierungskrise in Italien: Der Retter, der zerstört
       
       Ex-EZB-Chef Mario Draghi soll in Rom die Regierung führen. Das ist
       kurzfristig nützlich – aber langfristig gefährlich.
       
 (DIR) Regierungssuche in Italien: Jetzt soll Mario Draghi es richten
       
       Italiens Regierung unter Conte ist Geschichte. Der Staatschef hat nun den
       Ex-EZB-Chef Draghi eingeladen. Er könnte einer Expertenregierung vorstehen.
       
 (DIR) Regierungskrise in Italien: Atempause für Conte
       
       Auch wenn Ministerpräsident Conte die Vertrauensabstimmung im Parlament
       überstanden hat: Die Regierung ist schwächer als zuvor.
       
 (DIR) Geplatzte Regierungskoalition in Italien: Den Ruf retten
       
       Italiens Regierungskoalition ist geplatzt. Ministerpräsident Conte braucht
       jetzt neue Verbündete. Es geht um viel Geld – und Italiens Reputation.
       
 (DIR) Regierungskoalition in Italien geplatzt: Krise zur Unzeit
       
       Italia-Viva-Chef Matteo Renzi glaubt, mitten in der Pandemie müsse er
       Italien auch noch eine Regierungskrise bescheren. Damit hat er sich
       verzockt.