# taz.de -- Scholz und die Ost-Ministerpräsident:innen: Willkommen heißen und abschieben
       
       > Nach dem guten Abschneiden der AfD in den ostdeutschen Bundesländern
       > debattieren Ministerpräsident:innen und Kanzler, welche Lehren sie
       > daraus ziehen.
       
 (IMG) Bild: Welche Richtung jetzt? Ministerpräsident:innen auf der Suche
       
       COTTBUS/BERLIN taz | Laura Rudolph ist dageblieben. Nach dem Schulabschluss
       hat die 25-Jährige eine Ausbildung bei der Lausitz Energie AG im
       kaufmännischen Bereich gemacht, heute ist sie Jugendausbildungsvertreterin
       der LEAG. Sie wohnt immer noch bei Cottbus, anders als viele ihrer
       Klassenkameradinnen, die nach der Schule in die Großstädte Leipzig, Dresden
       oder Berlin gezogen seien. Es fühle sich gut an, hier zu leben, sagt sie,
       die Familie, der Fußballverein, hier sei sie verwurzelt. Und sie glaubt an
       die Lausitz: „Wir sollten den Strukturwandel als Chance begreifen. Hier
       kann in den nächsten Jahren was ganz Tolles entstehen.“
       
       Die LEAG betreibt vier Braunkohlekraftwerke im Lausitzer Revier. Bis 2038
       soll der Ausstieg aus der Kohle vollzogen sein, die Standorte und die
       Arbeitsplätze sollen aber erhalten bleiben. Das größte Zentrum grüner
       Energie soll dort entstehen, wo jetzt noch die Bagger schürfen. Damit das
       klappt, erhält allein Brandenburg in den nächsten vier Jahren über 10
       Milliarden Euro.
       
       Doch Rudolphs Optimismus teilen nicht alle. Bei den Kommunalwahlen Anfang
       Juni schwappte eine braune Welle über Brandenburg und die ostdeutschen
       Bundesländer, in Cottbus wählten knapp 30 Prozent die AfD. Sie stimmten
       damit für eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel bestreitet,
       die folglich auch nicht die Notwendigkeit einer Energiewende sieht und
       Menschen, die aus dem Ausland zuziehen, am liebsten wieder zur Ausreise
       zwingen würde.
       
       Auch bei den zeitgleich stattfindenden Europawahlen wurde die AfD überall
       im Osten stärkste Kraft. Einer aktuellen Umfrage für Thüringen zufolge käme
       die AfD mit dem BSW zusammen auf eine absolute Mehrheit. Kein gutes Omen
       für die drei ostdeutschen Landtagswahlen im September.
       
       ## Generalaussprache über Rechtsruck
       
       Was läuft falsch? Das fragten sich auch der Bundeskanzler und die
       ostdeutschen MinisterpräsidentInnen bei ihrem Treffen am Dienstag im
       sachsen-anhaltischen Wittenberg. In einer Generalaussprache ging es unter
       anderem um die Wahlergebnisse. „Wir haben als demokratische Mitte zu viele
       Federn gelassen in die falsche Richtung“, konstatierte Sachsen-Anhalts
       Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU). Deshalb müsse es jetzt deutliche
       Zeichen geben, dass man verstanden habe.
       
       Drei Punkte habe man an den Bundeskanzler herangetragen: eine bessere
       gesundheitliche Versorgung in den ostdeutschen Flächenländern, mehr
       Ausbildungsplätze und mehr ÄrztInnen und Ärzte. Der geplanten
       Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach stehe man positiv
       gegenüber.
       
       Scholz gab im Gegenzug die Zusage, dass im Osten kein Krankenhaus mehr
       geschlossen wird. Die große Schließungswelle haben die ostdeutschen Länder
       in der Tat schon hinter sich. Als in den 90er und Anfang der 2000er Jahr
       mehr als eine Million Menschen von Ost nach West zogen, hatte das auch
       Folgen für die Strukturen vor Ort – Krankenhäuser, Schulen, Kitas wurden
       geschlossen. Orte der Begegnung, die es so nicht mehr gibt.
       
       Als zweiten Punkt nannte Haseloff eine stärker auf den Osten fokussierte
       mediale Berichterstattung mit lokalen Fenstern, „um an die Menschen
       ranzukommen“.
       
       ## Konsequenter abschieben
       
       Um dann zu seinem dritten und wichtigsten Punkt zu kommen: Nötig seien
       schnellere Abschiebungen. Die innere Sicherheit sei das wichtigste Thema
       bei der Europawahl gewesen, so Haseloff, viele Menschen hätten ein
       „destabiles“ Sicherheitsgefühl. „Eine Demokratie kann und muss liefern“, so
       der Ministerpräsident. „Sonst machen wir uns unglaubwürdig und sind alle
       weg.“
       
       Beim Management der irregulären Migration sehe er sehr viel Einigkeit,
       sagte Scholz und bekräftige, dass man nach wie vor plane, Menschen auch in
       „komplizierte“ Länder wie etwa Afghanistan abzuschieben. Daran werde
       konkret gearbeitet. Was wohl auch Gespräche und Abkommen mit den Taliban
       einschließt, doch dies erwähnte Scholz nicht.
       
       Dafür äußerte sich Scholz auch zum Krieg in der Ukraine. Kein Thema, wo
       Lösungen bei einer ostdeutschen Ministerpräsidentenkonferenz erarbeitet
       werden, wohl aber eines der wahlentscheidenden für die Bürger:innen bei
       der Europawahl. Scholz versprach seinen Kurs der Besonnenheit fortzusetzen,
       sich von Prinzipien und nicht von Talkshowauftritten leiten zu lassen.
       Unter seiner Regierung seien „keine Abenteuer der deutschen Politik zu
       befürchten“.
       
       Und ja, ein Teil der Bürgerinnen und Bürger finde, dass man die Ukraine
       nicht unterstützen solle. „Das kann man nicht mit einer Presseerklärung
       beiseitewischen.“ Das kann man durchaus als Selbstkritik verstehen. In der
       SPD war Scholz nach der Wahl viel dafür gescholten worden, dass er sein Go
       für die Ukraine, [1][mit westlichen Waffen auch Ziele in Russland
       anzugreifen], nicht selbst erklärt hatte, sondern nur eine Pressemitteilung
       verschicken ließ.
       
       ## Zuzug als zentrale Herausforderung
       
       Nach dem Motto „Es ist nicht alles schlecht“ lobte Scholz aber auch die
       guten Perspektiven für den Osten. Die ostdeutschen Länder hätten zuletzt am
       meisten von Investitionen profitiert, als Beispiel nannte er die
       [2][Ansiedlungsmilliarden für die Halbleiterindustrie], etwa in Magdeburg
       und Dresden. „Arbeitslosigkeit wird für die nächsten Jahrzehnte nicht das
       Thema sein, sondern das Thema der Arbeiterlosigkeit“, war sich Scholz
       sicher.
       
       „Die Besetzung von Arbeitsplätzen und der notwendige Zuzug sind die
       zentralen Herausforderung“, verstärkte der Ostbeauftragte der
       Bundesregierung Carsten Schneider (SPD). Dafür brauche es eine Politik der
       offenen Arme und sichere Perspektiven. Deshalb stehe man auch zu den
       zugesagten Mitteln für den Strukturwandel und die LEAG.
       
       Man ahnt, es wird ein kommunikativer Spagat, harte Abschiebungen einerseits
       und eine Willkommenskultur andererseits in einem Atemzug zu proklamieren.
       
       Ausbildungsvertreterin Rudolph erzählt, dass einige ihrer Freunde und
       Bekannten nach Studium und Ausbildung wieder in die Region zurückkehrten.
       Zur AfD möchte sie sich nicht öffentlich äußern. Nur so viel: „Vielleicht
       sollten wir uns alle fragen, was wir falsch gemacht haben. Statt über die
       Menschen hier sollte viel mehr mit den Menschen gesprochen werden.“ Die, da
       ist sie sich sicher, die Zukunft gestalten möchten. „Wir wollen wirklich.“
       
       Der Bundeskanzler will Ende Juni wieder nach Cottbus kommen.
       
       18 Jun 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Lehmann
       
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