# taz.de -- Flüchtlinge im Mittelmeer: Katastrophe vor Libyen
       
       > Überlebende und die Hilfsorganisation Save the Children berichten vom
       > Untergang eines Flüchtlingsschiffes im Mittelmeer: mehr als 400 Tote.
       
 (IMG) Bild: Eine Helferin trägt ein geretttes Baby an Land.
       
       ROM taz | Nach den Aussagen von Überlebenden hat sich vor der libyschen
       Küste erneut eine Tragödie ereignet. Die Zeugen, die von einem
       italienischen Schiff gerettet und in den Hafen von Reggio Calabria gebracht
       worden waren, sprachen von bis zu 400 Toten, die am Sonntag dem Untergang
       ihres Boots zum Opfer gefallen sein sollen. Nur knapp 150 Personen sollen
       überlebt haben.
       
       Italienische Schiffe bargen bisher neun Leichen. Und das Drama setzte sich
       an Bord des italienischen Marineschiffs „Orione“ fort: Eine junge,
       schwangere Frau starb völlig entkräftet, während zugleich eine andere
       Schwangere ihr Kind gebar.
       
       Den Mitarbeitern der Hilfsorganisation Save the Children berichteten die
       Geretteten auch von den Zuständen in den libyschen Lagern: Sie seien vier
       Monate lang in einer alten Sardinenfabrik gefangen gehalten und immer
       wieder misshandelt worden.
       
       Das Flüchtlingsboot kenterte offenbar, als seine Insassen einen Frachter
       erblickt hatten und die Menschen sich auf eine Seite des Decks drängten,
       wodurch der völlig überladene Kahn – so die Aussagen – das Gleichgewicht
       verloren hatte. Den Geretteten zufolge konnten die meisten Flüchtlinge,
       unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, nicht schwimmen.
       
       ## 8.500 Gerettete seit Freitag
       
       Das Boot ist eines der vielen, die in den letzten Tagen von der libyschen
       Küste aus in See gestochen sind. Allein seit Freitag wurden etwa 8.500
       Menschen von Schiffen der italienischen Küstenwache und Marine sowie von
       Frontex-Einheiten aufgenommen und in italienische Häfen gebracht.
       
       Die Erwartung, dass die Ankunftszahlen 2015 noch einmal über dem Rekordjahr
       2014 liegen könnten, wird zumindest bisher durch den aktuellen Trend
       bestätigt: Mit den in den letzten Tagen Eingetroffenen wurden seit
       Jahresbeginn 21.000 Bootsflüchtlinge gezählt. Und schon vor dem schweren
       Unglück vom Sonntag hatte die Zahl der Todesopfer auf dem Meer bei etwa 500
       gelegen.
       
       Mittlerweile greifen lybische Schlepper auch zu den Waffen, um die von
       ihnen genutzten Kähne vor der Beschlagnahmung zu schützen. Dies berichtete
       die Besatzung des italienischen Schleppers „Asso 21“, der ebenfalls am
       Sonntag 250 Flüchtlinge an Bord genommen hatte und dann unter Hilfestellung
       eines am Frontex-Einsatz beteiligten isländischen Schiffs den Kahn auf den
       Haken nehmen sollte. Dieser Plan wurde von Männern auf einem Boot der
       libyschen Küstenwache – die aber offenbar Schleuser waren – durchkreuzt:
       Sie feuerten in Richtung des italienischen Schiffs und vereitelten so die
       Abschleppaktion.
       
       Der Vorfall ist der zweite dieser Art seit Jahresbeginn; der italienischen
       Küstenwache gilt er als Indiz, dass in Libyen die Boote knapp werden und
       deshalb auch jene schrottreifen Kähne, die bisher in der Regel bloß zur
       einmaligen Überfahrt bestimmt waren, zum kostbaren Gut werden.
       
       ## Rassistischer Wahlkampf in Italien
       
       Dramatische Berichte gab es auch von anderen Flüchtlingsschiffen. So sagten
       die Insassen eines Schlauchboots nach ihrer Rettung aus, ein Passagier sei
       während der Überfahrt gestorben und daraufhin ins Wasser geworfen worden,
       wo er unter ihren Augen von Haien zerfleischt worden sei.
       
       Angesichts der vielen Neuankünfte von Flüchtlingen alarmierte das
       italienische Innenministerium die Präfekturen im ganzen Land; sie sollen
       schnellstens neue Notunterkünfte ausfindig machen. Doch die
       rechtspopulistisch-fremdenfeindliche Lega Nord ist offenbar entschlossen,
       die Flüchtlingsfrage zum zentralen Thema im beginnenden Wahlkampf für die
       Regionalwahlen Ende Mai zu machen.
       
       Lega-Nord-Chef Matteo Salvini erklärte, „wir sind bereit, jedwedes Hotel,
       jede Schule oder Kaserne zu besetzen, die für die angeblichen Flüchtlinge
       bestimmt sind“. Und der aus den Reihen der Lega stammende Präsident der
       Region Venetien Luca Zaia droht, die Aufnahme weiterer Flüchtlinge zu
       verweigern: „Ich lese, dass Venetien weitere 700 Plätze bereit stellen
       soll“, ließ er verlauten, „und ich antworte, dass die Zahl der verfügbaren
       Plätze null ist“.
       
       15 Apr 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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