# taz.de -- Anhörung der EU-Kommission: Junckers schwarze Schafe
       
       > Ab Montag müssen sich Junckers Kandidatinnen und Kandidaten den Fragen
       > des Parlaments stellen. Ungewöhnlich viele von ihnen wackeln.
       
 (IMG) Bild: 3 von 27 Kommissaren: Vella/Malta, Moscovici/Frankreich, Cañete/Spanien (v.l.)
       
       BRÜSSEL taz | Plötzlich hatte es Miguel Areas Cañete ganz eilig. Wochenlang
       fand er nichts dabei, sich auf sein neues Amt als Energie- und
       Klimakommissar vorzubereiten, und nebenbei – angeblich als „Privatmann“ –
       Aktien von zwei spanischen Ölfirmen zu halten. Doch als das Europaparlament
       laut vernehmlich murrte, trennte sich der Spanier in Windeseile von seinen
       Anteilen. Das, so hoffte er wohl, würde die Europabgeordneten besänftigen.
       
       Doch Cañete hat sich gründlich getäuscht. Kurz vor Beginn der Anhörungen
       der 27 EU-Kommissare, die dem neuen Kommissionschef Jean-Claude Juncker zur
       Seite stehen sollen, wird die Kritik in Brüssel immer lauter. Es gebe
       „starke Zweifel, ob Cañete für einen Posten als Europäischer Kommissar
       geeignet ist“, schreiben die Grünen in einem offenen Brief an Juncker.
       Schließlich seien seine Frau, ein Sohn und ein Schwager immer noch
       Anteilseigner oder Vorstandsmitglieder der suspekten Öl-Unternehmen.
       Außerdem gebe es zahlreiche „Belege seines inakzeptablen, sexistischen
       Verhaltens“. Cañete gilt als unverbesserlicher Macho, der sich herablassend
       über Frauen äußert.
       
       Der Spanier ist kein Einzelfall. Juncker hat noch mit einem halben Dutzend
       weiterer Wackelkandidaten zu tun, die die EU-Länder in sein neues Team nach
       Brüssel entsandt haben. Als „Dreamteam“ hatte der Luxemburger seine
       Mannschaft vorgestellt. Doch ab Montag, wenn die Anhörungen im Parlament
       beginnen, droht ihm ein Albtraum.
       
       Nicht weniger als sechs Kommissare seien wegen finanzieller oder
       politischer Verwicklungen vorbelastet, moniert die lobbykritische
       Organisation „[1][Corporate Europe Observatory]“ (CEO). Neben Cañetes
       finden sich auf ihrer schwarzen Liste auch der Brite Jonathan Hill, der
       Malteser Karmenu Vella, der Portugiese Carlos Moedas, der Lette Valdis
       Dombrovskis und die Tschechin Vera Jourova.
       
       ## Ein Ungar für die Demokratie
       
       Damit die EU-Abgeordneten die suspekten schwarzen Schafe löchern können,
       hat CEO gleich noch die Daten der jeweiligen Anhörung im Parlament
       mitgeliefert. Allerdings wäre das kaum nötig gewesen. Denn die
       Europaparlamentarier bereiten sich seit Tagen wie Detektive auf die
       Interviews vor, und sie haben noch weitere Namen auf der Liste der
       Wackelnden.
       
       Ganz oben steht der Ungar Tibor Navracsics. Er steht dem autoritären
       Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahe und ist während seiner Amtszeit gegen
       kritische Journalisten und Nichtregierungsorganisationen vorgegangen. Nun
       soll er ausgerechnet Bildungs- und Bürgerschaftskommissar werden.
       
       ## Ein Malteser für Tiere und Umwelt
       
       Auf massive Vorbehalte stößt auch der designierte Umweltkommissar Vella.
       Das liegt nicht nur an seiner Person. Sondern auch daran, dass der Malteser
       auch für Fischerei und maritime Fragen zuständig sein soll. Die
       Umweltpolitik dürfe nicht zu einem Thema neben vielen verkommen, warnen die
       Naturschutzverbände WWF und Nabu.
       
       Es drohe eine „Rolle rückwärts“, fürchtet Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif
       Miller: „Dass ausgerechnet ein Kandidat aus Malta, wo die illegale Jagd auf
       Zugvögel immer noch an der Tagesordnung ist, nun die
       EU-Vogelschutzrichtlinie überprüfen soll, stößt bei uns gelinde gesagt auf
       großes Erstaunen.“
       
       Allerdings scheint Juncker diese Bedenken nicht ernst zu nehmen. Er hat
       sich fast schon einen Spaß daraus gemacht, seine Kommissare ausgerechnet
       auf jene Themen anzusetzen, die in ihrer Heimat vernachlässigt oder sogar
       mit Füßen getreten werden. Neben dem Malteser und dem Ungarn gilt dies auch
       für den Griechen Dimitris Avramopoulos.
       
       ## Ein Grieche für die Flüchtlingsstandards
       
       Bisher war Avramopoulos Verteidigungsminister und hat mit dafür gesorgt,
       dass das Mittelmeer zum Bollwerk gegen Bootsflüchtlinge aufgerüstet wird.
       Im neuen EU-Team soll er ausgerechnet für die Migration zuständig sein.
       „Eine komplette Fehlbesetzung“, schimpft die grüne Europaabgeordnete Ska
       Keller. „Griechenland sperrt Flüchtlinge über Jahre ein – gegen EU-Recht“,
       kritisiert sie. „Wie soll ein griechischer Kommissar da gute
       Flüchtlingsstandards in der EU durchsetzen?“
       
       Allerdings können die Grünen noch so sehr schimpfen – allein können sie
       keinen Kommissar verhindern. Im Parlament muss sich schon eine breite
       Mehrheit finden, damit umstrittene Kommissare aus Junckers Team
       herausgekickt werden können. Denn das Parlament stimmt nur über die gesamte
       Kommission ab, nicht über einzelne Kandidaten. Es muss also damit drohen,
       alle 27 Kommissare abzulehnen, wenn es sich eines einzigen entledigen will.
       
       Eine solche Drohung wird den Abgeordneten jedoch nicht leicht fallen. Denn
       zum einen haben sie Juncker selbst nominiert, sodass sie ihn nicht noch vor
       dessen Amtsantritt am 1. November demontieren wollen. Zum anderen wird das
       EU-Parlament von einer Großen Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten
       beherrscht. Die Parteien sind zusammengerückt, um den erstarkten Populisten
       und EU-Gegnern Paroli zu bieten.
       
       „Ich kann mir vorstellen, dass die beiden großen Fraktionen das gemeinsam
       durchziehen“, kündigt der einflussreiche CDU-Abgeordnete Elmar Brok an.
       Andere Parlamentarier betonen hingegen, es gebe keinen „Nichtangriffspakt“.
       Welcher Kandidat attackiert oder gar geopfert wird, dürfe letztlich vom
       Ablauf der Anhörungen abhängen. Drei Stunden lang werden die Kandidaten
       „gegrillt“. Wer sich dabei einen Patzer leistet, muss um seinen Job in
       Brüssel fürchten.
       
       An einer Stelle hat Jean-Claude Juncker reagiert: Der Brite Jonathan Hill
       soll als neuer EU-Finanzkommissar nicht über Banker-Boni wachen dürfen.
       Dafür ist künftig das Justizressort zuständig. Denn Hill ist Mitgründer
       einer auch für Finanzunternehmen arbeitenden Beratungsfirma und gilt als
       Bankenlobbyist.
       
       27 Sep 2014
       
       ## LINKS
       
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