# taz.de -- Ausschuss zu Cum-Ex-Steuerhinterziehung: Die Koalition schützt ihre Minister
       
       > Ein Ausschuss sollte die Hinterziehung von Milliarden in der
       > Cum-Ex-Affäre aufarbeiten. Das wäre nicht nötig gewesen, findet die
       > Regierung.
       
 (IMG) Bild: Mit Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften sind viele sehr reich geworden: Aktienhändler in Frankfurt/M.
       
       BERLIN taz | Die roten und schwarzen Finanzminister haben alles richtig
       gemacht: Zu diesem Ergebnis kommt die Regierungskoalition in ihrem
       Abschlussbericht zum sogenannten Cum-Ex-Untersuchungsausschuss im
       Bundestag.
       
       Am Dienstag präsentierten Union und SPD ihre Schlussfolgerungen aus mehr
       als einem Jahr Aufklärungsarbeit. Das entspannte Resümee ist erstaunlich
       angesichts der Höhe des vermutlichen Schadens: Banken und Investoren sollen
       die Allgemeinheit um bis zu 16 Milliarden Euro betrogen haben, schätzen die
       Grünen.
       
       Trotzdem schreiben Union und SPD in ihrem Mehrheitsvotum: „Dieser
       Untersuchungsausschuss war nicht erforderlich.“ Es sei immer klar gewesen,
       dass die umstrittenen Steuertricks illegal waren. Als das
       Bundesfinanzministerium und andere Institutionen merkten, was im Gange war,
       seien sie schnell und konsequent eingeschritten.
       
       „Dem Finanzministerium und dem Bundeszentralamt für Steuern kann nicht der
       Vorwurf gemacht werden, dass die Aufklärung zögerlich behandelt und die
       Bedeutung der Fälle nicht erkannt wurde“, so der Bericht. Dementsprechend
       habe der Ausschuss „die Überzeugung gewonnen, dass die Verantwortlichen in
       Bund und Ländern keiner Empfehlung bedürfen“. Fazit des Vorsitzenden Ulrich
       Krüger (SPD): „Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden.“
       
       Das sehen die Oppositionspolitiker Gerhard Schick (Grüne) und Richard
       Pitterle (Linke), die den Ausschuss vorantrieben, durchaus anders. Für
       Schick zeigen die aufgedeckten Machenschaften eine Kombination aus „Gier,
       organisierter Kriminalität und Staatsversagen“. Pitterle sagt: „Der
       Finanzverwaltung sind katastrophale Fehler unterlaufen, die den
       milliardenschweren Raubzug der Cum-Ex-Mafia überhaupt erst ermöglicht
       haben.“
       
       Die unterschiedlichen Bewertungen spiegeln den Wahlkampf: Grüne und Linke
       sahen in der Ausschussarbeit auch ein Mittel, um die Große Koalition kurz
       vor der Bundestagswahl schlecht aussehen zu lassen. Union und SPD dagegen
       bemühten sich nach Kräften, ihre Bundesfinanzminister Peer Steinbrück
       (2005–2009) und Wolfgang Schäuble (seit 2009) aus dem Skandal
       herauszuhalten.
       
       Der Begriff „Cum-Ex“ bezeichnet eine Steuersparstrategie, die Banken,
       Berater und Investoren seit den 1990er Jahren entwickelten. Auch als der
       Skandal schon öffentlich war, interessierte sich kaum jemand für das Thema.
       Das sperrige Wort trug wohl dazu bei, dass die meisten sofort abschalteten.
       
       Bei diesen Geschäften wurden Aktien mit (lateinisch: cum) und ohne (ex)
       Dividendenanspruch gehandelt. Die BesitzerInnen zahlten einmal
       Kapitalertragssteuer für die erhaltene Gewinnausschüttung – ließen sich
       dies aber mehrfach vom Finanzamt zurückerstatten. Möglich wurden die
       lukrativen Tricks, indem Investoren ihre Anteilscheine im Umkreis des
       Termins der Dividendenzahlung schnell hin- und herverkauften. Rechtlich
       waren dadurch zum selben Zeitpunkt mehrere Leute im Besitz derselben Aktie.
       
       Grünen-Politiker Schick schätzt den Schaden für Staat und BürgerInnen auf
       rund 10 Milliarden Euro bei Cum-Ex und bis zu 6 Milliarden jährlich bei den
       verwandten Cum-Cum-Geschäften. Zum Vergleich: Davon könnte man zehn Jahre
       lang rund 30.000 LehrerInnen bezahlen. Der Finanzwissenschaftler Christoph
       Spengel (Universität Mannheim) kommt sogar auf einen Verlust von insgesamt
       rund 32 Milliarden Euro.
       
       Rund 40 Banken in Deutschland und 100 weltweit wurden im Zusammenhang mit
       der Affäre genannt – darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank, die
       ehemalige West LB, die HSH Nordbank und die Landesbank Baden-Württemberg.
       Einige Prominente erschienen als Zeugen vor dem Ausschuss. Finanzinvestor
       Carsten Maschmeyer etwa will von den illegalen Praktiken nichts gewusst
       haben, Drogerieunternehmer Erwin Müller ebenso wenig.
       
       Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, es bestehe der
       „hinreichende Tatverdacht der besonders schweren Steuerhinterziehung“.
       Staatsanwaltschaften betreiben über 30 Ermittlungsverfahren. Rund eine
       Milliarde Euro sollen Banken und Investoren inzwischen an Finanzämter
       zurückgezahlt haben.
       
       ## „Krasses Organisationsversagen“
       
       Mit seinem Sondervotum zum Abschlussbericht wirft Schick den
       verantwortlichen Institutionen „krasses Organisationsversagen“ vor. Die dem
       Bundesfinanzministerium unterstehende Bundesanstalt für
       Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) habe spätestens ab 2007 über die
       nötigen Informationen verfügt, das Ministerium sie jedoch ignoriert. So
       seien nur halbherzige Versuche unternommen worden, das Finanzloch zu
       stopfen, bemängelte der grüne Abgeordnete.
       
       Hübsch ist dabei diese Anekdote: Ein Finanzexperte arbeitete im Wechsel für
       Bankenverbände und das Bundesfinanzministerium. Er war dort tätig, weil
       akuter Mangel an Fachpersonal herrschte. Die Opposition hegt den Verdacht,
       der Spezialist habe die Gesetzgebung zum Nachteil des Staates beeinflusst.
       Erst Ende 2011 schob ein neues Gesetz der Cum-Ex-Steuergestaltung endgültig
       den Riegel vor. Nach Einschätzung der großen Koalition ist das mit der
       Investmentsteuerreform von 2016 auch für Cum-Cum-Geschäfte gelungen.
       
       An diesem Punkt lässt auch Andreas Schwarz, SPD-Sprecher im Ausschuss,
       leise Kritik durchblicken. „Das Finanzministerium braucht eine gute
       personelle Ausstattung, um auf Augenhöhe mit den Finanzmarktakteuren“ zu
       handeln.
       
       Die Grünen fordern derweil ein Gesetz, das Informanten aus dem
       Finanzbereich schützt. „Wenn wir dort Kriminalität aufklären wollen, sind
       wir auf die Hinweise von Whistleblowern angewiesen“, sagt Finanzexpertin
       Lisa Paus. Außerdem plädiert sie für eine Anzeigepflicht für
       Steuergestaltungsmodelle, wie sie Großbritannien praktiziert, und ein neues
       Spezialfinanzamt auf Bundesebene für große Konzerne, Banken und
       Einkommensmillionäre. Bundestagspräsident Norbert Lammert erhält den
       Bericht offiziell am Mittwoch, am Freitag debattiert der Bundestag.
       
       20 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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