# taz.de -- Filmfestspiele in Venedig – Lidokino Teil 5: Recht postfaktisch
       
       > „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „The Third Murder“:
       > Diesmal stehen die Filmfestspiele in Venedig im Zeichen der Justiz.
       
 (IMG) Bild: US-Schauspielerin Frances McDormand bei der Premiere von „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“
       
       Die Galas und Staraufgebote fallen für einen selbst in der Regel aus, weil
       man statt auf dem roten Teppich in der Schlange steht oder im Kino sitzt.
       Bei einer Fotosession vor der Sala Giardino fällt unter den Prominenten
       dann eine große, sehr dünne Frau in Schwarz auf, deren T-Shirt den weithin
       lesbaren Schriftzug „No Photos Please“ trägt. Gar nicht so einfach, der
       Versuchung zu widerstehen, um ein Foto zu bitten.
       
       Und im Kino? Da liefert der Ire Martin McDonagh in „Three Billboards
       Outside Ebbing, Missouri“ ein kohlenglühendes Stimmungsbild der
       US-amerikanischen Befindlichkeiten. McDonagh („Brügge sehen…und sterben?“)
       lässt seinem schwarzen Humor und makabren Neigungen in der Provinz des
       Mittleren Westens freien Lauf. Er schickt Frances McDormand als Mutter
       einer Tochter, die vergewaltigt und ermordet wurde, in den Kampf gegen den
       Polizeichef des Kaffs und einen prügelfreudigen, homophob-rassistischen
       Cop, der heimlich Abba hört.
       
       Der Staat kommt seinen Aufgaben nur neigungshalber nach. Die Bürger nehmen
       das Recht zur Not selbst in die Hand. Zwar wurde das Skript vor Trumps
       Amtsantritt geschrieben – es ist dennoch ein Kommentar zur Lage des Landes.
       Bitter, klug, toll gespielt.
       
       In Japan sieht es nicht viel besser aus, hält man sich an „The Third
       Murder“ von Hirokazu Koreeda. Ein scheinbar glasklarer Mordfall gerät
       konsequent zum Justizwirrwarr, weil der Angeklagte, der zunächst alles
       gesteht, sich in immer abstrusere Widersprüche verwickelt, zum Leidwesen
       der Verteidigung. Einer der Anwälte zeigt sich anfangs als abgebrühter
       Prozesstaktiker, der stets auf die erfolgversprechendste Verteidigungslinie
       setzt. Je öfter er sich jedoch mit dem Angeklagten trifft, desto konfuser
       werden dessen Schilderungen.
       
       Erst scheint es, er habe sich mit der Witwe des Opfers zusammengetan, um
       eine Lebensversicherung einzukassieren, dann erweckt er den Eindruck, die
       Tochter des Opfers gerächt haben zu wollen – sie wurde wohl vom Vater
       vergewaltigt. Koreeda baut den Fall zu einer Kritik am Rechtswesen aus, in
       dem die Justiz nicht an der Wahrheitsfindung, sondern am Abschluss des
       Verfahrens interessiert ist. Vor allem zelebriert er ein Stellungsspiel um
       die gegenseitige Manipulation von Menschen.
       
       Willkommen in der postfaktischen Gesellschaft! Whodunit? Who cares?
       
       5 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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