# taz.de -- Die Wahrheit: Zehn Jahre Dauererektion
       
       > Hatten wir nicht alle einmal den großen Traum vom Ruhm? Von Rockmusik und
       > Rebellentum? Mancher Traum war sogar ziemlich feucht.
       
 (IMG) Bild: Schöner Wohnen in Berlin
       
       In diesen schweren Zeiten denkt alle Welt ja gern an das, was einst möglich
       war: Konzerte beispielsweise. So geht mir eine Jubiläumserinnerung im Kopf
       herum. Genau zehn Jahre ist es her, dass ich Sänger einer Band war, die auf
       den Namen [1][Priapismus] hörte. Priapismus ist der medizinische
       Fachterminus für eine schmerzhafte Dauererektion, und genau so klangen wir
       auch.
       
       Der Begriff geht auf den griechischen Gott Priapos zurück, der bei einem
       Techtelmechtel zwischen Liebesgöttin Aphrodite und Saufgott Dionysos
       entstand, also Spross der beiden hottesten Olympgestalten war.
       Bedauerlicherweise hatte die eifersüchtige Hera ein Problem mit dieser
       Kreuzung und sorgte dafür, dass Priapos mit einem monströsen Glied zur Welt
       kam, das ihn auf Abbildungen oft selbst überragt. Diese Figuren stellte man
       als Fruchtbarkeitssymbol in den Garten oder aufs Feld, weil sie als
       Vogelscheuche die wohl phallusphoben Vögel davon abhielten, die Ernte zu
       stehlen. Warum hat man damit aufgehört?
       
       Gedichte, die ebenjenem Priapos huldigten, nennt man Priapeen. Als solche
       verstanden wir auch unsere schludrigen Songs mit Titeln wie „Rock ’n’ Roll
       Erection“. Flyer bewarben unseren Musikstil als „S(t)iffpunk“. Das Bandlogo
       setzte sich zusammen aus einem giftgrünen P mit einem wilden Hahnenkamm
       oben und einem prächtigen Hodensack unten. Entworfen hatte es unser
       Gitarrist, der sich schon in ganz jungen Jahren als Grafiker verdingte, mit
       dem Gitarrenspiel jedoch erst vor Kurzem begonnen hatte. Wir waren
       Teenager, falls das nach all den beschriebenen pubertären
       Entstehungsumständen noch nicht klar geworden ist.
       
       Retrospektiv erscheint mir sympathisch, dass es uns offenbar nie darum
       ging, eine besonders gute Performance abzuliefern, sondern wir einzig um
       der Aufmerksamkeit Willen auf die Bühne gingen: Für unser erstes Konzert
       hatten wir zwar schon mal geprobt, aber so gut wie immer ohne unseren
       Bassisten, der sich wenige Stunden vor Konzertbeginn beim Schlagzeuger
       erkundigte, wie der nochmal heiße. Als selbiger Schlagzeuger vor einem
       späteren Auftritt an Grippe erkrankte, sagten wir nicht ab, sondern fragten
       vor Ort, ob jemand drummen könnte – und spielten die Show dann mit einem
       völlig Fremden.
       
       ## Shishisten
       
       Als Alleinstellungsmerkmal und originellen Live-Effekt verfügte unsere
       siebenköpfige Truppe zudem über zwei „Shishisten“ mit den Künstlernamen
       Fresh D & Fresh T, die nichts zur Musik beitrugen, sondern lediglich
       Wasserpfeife rauchten und cool aussahen. Jugendhäuser mussten wegen den
       beiden die Brandschutzbestimmungen ändern, taten dies sogar, und zum Dank
       soffen die zwei ihnen im Anschluss den Keller leer, weil sie als
       vollwertige Bandmitglieder freigetränkberechtigt waren.
       
       Schade, dass all das während einer Pandemie nicht mehr möglich ist.
       Vielleicht aber auch besser so.
       
       23 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://flexikon.doccheck.com/de/Priapismus
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cornelius Oettle
       
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