# taz.de -- Debütalbum „Love Is“ von Jungstötter: Die Verzweiflung singt sonor
       
       > Der Pfälzer Gothic-Crooner Jungstötter hat mit Ende zwanzig einen
       > gepflegten Bariton. Sein Gesang erinnert an Nick Cave oder Scott Walker.
       
 (IMG) Bild: Jungstötter ist Ende zwanzig, singt aber wie die großen Popsänger der 1970er und 1980er Jahre
       
       Die popkulturelle Bedeutung der pfälzischen Kleinstadt Landau wird eher
       selten thematisiert. Womöglich liegt es daran, dass diese gen null
       tendiert. Lassen wir mal außer Acht, dass einer von den Söhnen Mannheims
       mal da wohnte. Das erste Mal in aller Munde war Landau, als Harald Schmidt
       – zu seinen anarchistischen Zeiten beim Privatsender Sat1 – die „dicken
       Kinder von Landau“ als wiederkehrendes Segment in seine Show einbrachte.
       
       Kaiserslautern gastierte früher stets in der Sportschau mit seiner
       Fußballmannschaft, und Ludwigshafen galt als BASF-Chemie-Unort
       beziehungsweise Heimat von Saumagen-Kanzler Kohl.
       
       Ein Glück, dass 2012 die Band Sizarr aus Landau auftauchte; drei
       Indiejungs, gar nicht so dick, wie Schmidt ehedem von den Kindern dort
       behauptete. Tief verborgen in ihren Songs schlummerte schon damals eine
       gewisse Brise despair: das ungute Gefühl, aus einem der abgehängtesten Orte
       der Republik zu stammen. Dort, wo man in der Kleinbürger-Tristesse zu
       versauern droht und Musik eines der wenigen probaten Mittel des Ausbruchs
       ist.
       
       Nach zwei vielgelobten Alben hatten sie ihr Pulver verschossen. Obwohl:
       Sizarrs „Nachbar“ und Leidensgenosse Drangsal, aus dem unweit Landaus
       gelegenen Dorf Herxheim, hatte währenddessen das „Pfalz“-Gefühl in
       (Charts-)Höhen befördert. Jetzt folgt das ehemalige Sizarr-Mitglied Fabian
       Altstötter mit seinem Solodebüt im Windschatten. Der ehemalige
       Sizarr-Bandkollege P. A. Hülsenbeck hatte Ende 2018 mit „Garden of Stone“
       bereits vorgelegt. Alle drei eint, dass sie mittlerweile in Berlin leben.
       
       ## Äußerst reifes Songwriting
       
       Nun, mit Ende zwanzig, hat Altstötter mit seinem Erstling unter dem
       Pseudonym Jungstötter einen neuen Abschnitt seiner Karriere gelauncht, der
       sicher von längerer Dauer sein wird. Musikalische Referenzen seines Albums
       „Love Is“ verweisen auf die großen Croonergestalten des Pop: Nick Cave,
       Scott Walker und gerne auch mal eine Brise Mark Hollis fließen bei
       Jungstötter ein.
       
       Die HörerInnen erwartet äußerst reifes Songwriting. Lieder vom Schmerz, vom
       Verlassenwerden und Verlassensein, von der absurden, existenzialistischen
       Last, in die Welt geworfen worden zu sein: „Love Is“ ist Cioran zum
       Streamen, am besten bei Reisen alleine in der Bahn oder während banger
       Stunden im Studentenwohnheim. Als Grundton des Albums darf der Songtitel
       „Wound Wrapped in Song“ herhalten – glaubt man Jungstötter, dann heilen
       Schnittwunden am besten, wenn man sie nur eng genug verschnürt.
       
       ## Fürsorgliche Wärme
       
       Zu zweit ist man weniger alleine: Das Arrangement, das Max Rieger von den
       Stuttgarter Krachmachern Die Nerven als Produzent hier gewählt hat, spendet
       fürsorgliche Wärme. Man fühlt sich behaglich zwischen den jazzigen,
       besenreinen und zurückhaltenden Fills von Drummer Manu Chittka und
       Hülsenbeck, der hier als Gitarrist metallisch schmeckende Anschlagsorgien
       feiert.
       
       Am nächsten bleibt einem dennoch Jungstötters sonore Stimme, die so brutal
       weit nach vorne geholt wurde, dass es über den Kopfhörer gerne mal so
       klingt, als säße der schmachtende Sänger mit all seinem Leid direkt auf der
       Hirnrinde. Bewaffnet mit seinem phänomenal nachklingenden Klavier und einer
       Stimme, die tatsächlich keinen Vergleich mit den großen Heulbojen des Pop
       scheuen muss.
       
       ## Insignien der Maskulinität
       
       Was Jungstötter mit den genannten Stars des zärtlichen Songwritings
       verbindet, ist Campness, die bei ihm aus allen Poren trieft. Selbst wenn
       der Sänger Jungstötter, mit seiner tätowierten Haut, der standesgemäßen
       dünnen Kette um den Hals und dem gepflegten Crewcut im Haar, viril
       rüberkommt – und das alles von seinem gepflegten Bariton untermauert wird
       –, kann die Musik dies glücklicherweise nicht ungebrochen darstellen.
       
       Den Männerfiguren in Christian Krachts Romanen ähnlich, weiß man um
       Insignien der Maskulinität und bricht sie sogleich. Das sieht man nicht
       nur, man hört es auch, der feine Männer-Background-Chor in „Sally Ran“ und
       die Kitschbombast-Pause bei „To Be Someone Else“ fallen einem sogleich auf.
       
       Vielleicht schlägt hier ein letztes Mal die Pfalz durch: Unweit der Grenze
       zu Frankreich, dem Wein nun mal näher als dem Bier, hört man hier mehr
       Chanson-Überformung statt Rock-Banalität, das Schöne als Antwort auf das
       Mächtige. Willkommen in der Neuen Deutschen Sanftheit.
       
       19 Feb 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lars Fleischmann
       
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