# taz.de -- Historien-Roman: Die Unglücklichen
       
       > Welche Geister der Vergangenheit spuken in diesem Haus? Andreas Schäfers
       > Roman „Das Gartenzimmer“ handelt von hundert Jahren einer Villa.
       
 (IMG) Bild: Bauhaus-Villen in Krefeld, basierend auf Zeichnungen aus dem Büro von Ludwig Mies van der Rohe
       
       Zwischen den Villen im südlichen Berlin spazieren zu gehen, zwischen Gärten
       und hohen Bäumen an den Straßen, ist eine echte Alternative in diesem
       Sommer, wenn die innerstädtischen Parks zu wuselig werden; zu viele
       Menschen. Da draußen sind die Straßen ruhig, man bewundert Wintergärten,
       staunt über Türmchen und romantische Verspieltheit und freut sich womöglich
       am gepflegten Altern der Häuser.
       
       Noch ein wenig weiter draußen, wo die Grundstücke noch größer werden und
       Kieferwaldungen zwischen die Gärten drängen, steht im Roman „Das
       Gartenzimmer“ die Villa Rosen. 1909 von dem noch unbekannten Architekten
       Max Taubert (eine fiktive Figur, aber mit vielen Ähnlichkeiten zu
       Architekten der Moderne) gebaut, ist sie der stille Protagonist des Romans.
       Das Licht in ihren Räumen, der Bezug auf den Garten, die Offenheit der
       Halle deuten schon den Übergang zur Moderne an, so schreibt der Autor
       Andreas Schäfer; das Giebeldach und die Gauben gehören noch dem vergangenen
       Jahrhundert an. Doch dass Tradition und Aufbruch wunderbar miteinander
       harmonieren, gibt dem Roman seine gediegene Grundierung.
       
       Die darin wohnen aber sind unglücklich. Ella Rosen, die das Haus mit ihrem
       Mann in Auftrag gab, leidet unter einer traumatischen Erinnerung, dem durch
       Polizisten verursachten Tod ihres Sohnes. An dessen statt fördert sie den
       jungen Architekten, der zwar als ein Genie in der Baukunst beschrieben
       wird, aber weder für die Freundschaft noch für die Liebe begabt. Kurzum: Er
       lässt sie undankbar wiederholt im Stich.
       
       Nach dem Ersten Weltkrieg schließt er sich einer Bewegung der Moderne an,
       die auf Materialsparsamkeit und eine minimalistische Ästhetik setzt. Als
       die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gerät er damit ins Abseits. Um
       den neuen Machthabern zu zeigen, dass er auch anders bauen kann, schleppt
       er, die Karriere im Sinn, einen ranghohen Nazi, Alfred Rosenberg, in die
       Villa Rosen – in dessen Gartenzimmer bald darauf ein Institut für
       Rassenhygiene einzieht. Ella Rosen ahnt es und zieht sich immer mehr in den
       oberen Teil des Hauses zurück.
       
       ## An einer Pilgerstätte kann man nicht leben
       
       Dieser Teil der Geschichte ist interessant, stößt er doch gegen die gern
       gepflegte Vorstellung, dass die Künstler der Moderne, die unter der
       nationalsozialistischen Ideologie zu leiden hatten, immer auf der Seite der
       unschuldig Verfolgten gestanden wären. Nicht zuletzt deshalb wüsste man
       gerne, wer denn das Vorbild für Max Taubert war. Aber es braucht schon
       Kenner der Architekturgeschichte, um das herauszufinden, wie den Literatur-
       und Architekturkritiker Gerhard Matzig, der in der Süddeutschen Zeitung
       über den Roman schrieb und auf Ludwig Mies van der Rohe tippt.
       
       Andreas Schäfer lässt das im Vagen, sicher auch, weil er einen Roman und
       kein Sachbuch schreiben wollte. Trotzdem hat Alfred Rosenberg,
       Chefideologe der NSDAP, seinen Auftritt als Alfred Rosenberg. Die
       Einzelheiten sind recherchiert; das lässt die Lektüre manchmal an einen gut
       ausgestatteten Film denken, der in Kostüm und Design so viel Zeitgeist
       atmet, dass die Darsteller in diesem Rahmen nur einen eingeschränkten
       Entfaltungsraum haben.
       
       Schäfer erzählt von der Villa über hundert Jahre hinweg. Seine Nutzung
       durch die Nazis ist längst vergessen, als ein reiches junges Paar das halb
       verfallene Haus entdeckt und als ein Architekturdenkmal rekonstruiert. Für
       Hannah wird es zum Lebensinhalt, die vergessene Villa des großen
       Architekten bekannt zu machen. Für Frieder und den Sohn Luis ist die
       Reinhaltung der ursprünglichen Ästhetik des Hauses aber bald ein
       ungemütliches Korsett. An einer Pilgerstätte kann man nicht leben. Wieder
       wird eine Familie unglücklich.
       
       ## Die Rückversicherung, Wichtiges zu erzählen
       
       Die Erzählung springt zwischen den Zeiten, sie nähert sich von zwei Enden
       her der Mitte, der Zeit des Nationalsozialismus. Durch Zufall oder besser:
       durch eine verschlungene Geschichte erfährt Hannahs Sohn davon und glaubt
       das Haus selbst von etwas Bösem besessen. Ein Gespenst der Vergangenheit,
       das der Gegenwart keine Ruhe lässt.
       
       Der Roman ist sehr kunstvoll komponiert, vielleicht etwas sehr bedacht auf
       bedeutungsvolle Details. Seine Sprache hat einen Rhythmus, der auch den
       Leser entschleunigt. Alles rutscht in weite Ferne, nur noch das Leben in
       der Villa zählt. Aber zugleich wird dieses Haus ja als Gefängnis
       geschildert, als ein Ort von schicksalhafter Macht. Von dort wegzuwollen,
       dieser Impuls treibt schließlich nicht nur Luis an, sondern auch den Leser,
       den Schäfer aber immer wieder dahin zurückbringt.
       
       Viele deutsche Romane der Gegenwart speisen sich aus der Geschichte des
       Verdrängens der Nazizeit. Das ist einerseits Aufklärungsarbeit, aber hat
       andererseits auch etwas von einer Rückversicherung, Wichtiges zu erzählen.
       In Schäfers „Gartenzimmer“ ist es ein wenig ambivalent – hält einen nun die
       Erzählkunst bei der Lektüre oder das zeithistorische Dokument? Am Ende
       haben alle Erzählfäden zueinander gefunden, fast zu perfekt. Ein wenig mehr
       Unordnung wünscht man sich; sie hätte nicht nur dem Leben in der Villa
       Rosen gutgetan, sondern auch dem Roman.
       
       29 Jul 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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