# taz.de -- Kampf gegen Rechtsextremismus in Sachsen: „Auf die Zivilgesellschaft zugehen“
       
       > Das Kulturbüro Sachsen berät die demokratische Stadtgesellschaft in
       > Görlitz. Grit Hanneforth über Demokratiearbeit im ländlichen Raum.
       
 (IMG) Bild: Blick über Görlitz: auch die rechte Szene ist in der Stadt aktiv
       
       taz: Frau Hanneforth, Sie haben in Görlitz – einer [1][Hochburg von
       Rechtsextremen] – die bereits fünfte mobile Beratungsstelle gegen rechts in
       Sachsen eröffnet. Worin besteht Ihre Arbeit? 
       
       Grit Hanneforth: Wir beraten die Menschen, die sich engagieren, um
       demokratische Grundstandards fortzuentwickeln, zu halten und Projekte und
       Ideen zu entwickeln. Wir stärken die Zivilgesellschaft und die Engagierten,
       machen Beobachtungen, Analysen und Monitoring mit Blick auf neonazistische
       und rechte Strukturen. Wir versuchen, eine Sensibilisierung in den
       jeweiligen Orten für die bestehenden Problemlagen zu erreichen.
       
       Die Kolleginnen und Kollegen von der Opferberatung, mit denen wir das Büro
       in Görlitz nun gemeinsam eröffnet haben, machen Monitoring mit der
       Perspektive auf Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt und beraten
       diese. Erstmalig hatten wir als Träger im ländlichen Raum nun die
       Möglichkeit, eine Beratungsstruktur aufzubauen, bei der mobile Beratung und
       Opferberatung gemeinsam arbeiten können.
       
       Warum macht es Sinn, diese beiden Ansätze zu verbinden? 
       
       Für uns war ganz wichtig, dass wir das Beratungsangebot auch in ländliche
       Regionen abseits der großen Städte tragen, weil es gerade in der Region
       Görlitz sowie den Landkreisen Görlitz und Bautzen seit zwanzig Jahren
       Kontinuitäten in neonazistischen Strukturen sowie aktuelle Aktivitäten
       gibt. Unsere Erfahrung ist: Sobald man mit einem Unterstützungsangebot für
       zivilgesellschaftliche Akteure sichtbar wird, laufen die Beratungsanfragen
       sofort an. Diese Öffentlichkeit schützt.
       
       Dass wir uns für Ostsachen entschieden haben, ist insofern kein Zufall, als
       dass es gerade dort verfestigte Strukturen im neonazistischen Spektrum gibt
       – Orte und Strukturen, auf die [2][Neonazis] immer wieder zurückgreifen
       können und die dann wiederum Ausgangs- oder Resonanzorte für das politische
       Klima sind. Aber was die Region eben auch auszeichnet, ist, dass es ein
       breites zivilgesellschaftliches Engagement gibt.
       
       Görlitz ist ein Hotspot rechter Kriminalität, die rechtsextreme Szene
       trifft sich hier häufig. Ein Drittel der 22 Immobilien, die von der rechten
       Szene genutzt werden, befindet sich laut Verfassungsschutz in den
       Landkreisen Bautzen und Görlitz. Sind rechte Aktivitäten sichtbar oder
       finden sie eher verdeckt statt? 
       
       Bedauerlicherweise wird der Immobilienkauf an sich oft spät von kommunalen
       Strukturen wahrgenommen. Diese Immobilien werden oft für Strukturen und
       Orte der neurechten oder neonazistischen Szene gekauft, teilweise aber auch
       verdeckt über Strohmänner.
       
       In den überwiegenden Fällen ist es so, dass die Käufe schon getätigt sind
       und es erst gelingt, über Veranstaltungen oder zivilgesellschaftliche
       Aktionen eine Aufmerksamkeit vor Ort herzustellen. Es gibt zahlreiche
       Beispiel für durch rechte Strukturen genutzte Immobilien in Ostsachsen, wie
       ein durch szenenahe Personen für die neonazistische Brigade 8 erworbenes
       Gelände in Mücka, Gaststätten, Hotels oder weitere Kauf- und Mietversuche.
       
       Wie lässt sich darauf reagieren? 
       
       Ein wichtiges Anliegen ist es, die Ressourcen, die es kommunalpolitisch
       gibt, zu stärken und auf die Zivilgesellschaft zuzugehen. Wir beraten
       Menschen, die uns anfragen, vor Ort in ihren jeweiligen Kontexten und
       Zusammenhängen. Mobile Beratung kann beispielsweise eine Prozessbegleitung
       für Initiativen sein, die ihre Ziele, ihre Partnerinnen und Partner und
       Handlungsfelder abstecken wollen.
       
       Oder wir verbreiten auch Information über rechte Strukturen in der Region
       beispielsweise bei Elternabenden, Sportvereinen, Kirchengemeinden oder auch
       in der Kommunalverwaltung. Aus solchen Veranstaltungen entstehen dann
       beispielsweise Beratungsprozesse in bestimmten Institutionen. Unser Ziel
       ist, so zu beraten, dass wir irgendwann wieder gehen können: Hilfe zur
       Selbsthilfe und Empowerment.
       
       Die Landesregierung scheint Ihrer Arbeit gegenüber aufgeschlossen zu sein,
       bei der Eröffnung des Görlitzer Büros war Sozialministerin Petra Köpping
       (SPD) anwesend. Das war nicht immer so. 
       
       Es gibt inzwischen eine ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem
       sächsischen Sozialministerium. In den letzten fünf, sechs Jahren hat die
       Staatsregierung eine Haltung eingenommen und eine klare Problembeschreibung
       erstellt: von der Leugnung von Problemlagen bis hin zur Akzeptanz und des
       aktiven Umgangs. Das bildet sich auch in der Zusammenarbeit ab. Es gibt
       regelmäßige Austauschrunden, wir werden über Förderung vom Land unterstützt
       und bringen gemeinsam Handreichungen und Publikationen raus.
       
       Handlungsmöglichkeiten bestehen auch darin, dass man Analyse und Recherchen
       noch intensiver zusammenträgt und diese Informationen auch für
       Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie in den Landkreisen streut sowie
       Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für die Verwaltungsstrukturen
       intensiviert. Gemeinsam mit dem sächsischen Sozialministerium haben wir zum
       Beispiel zwei Workshops gemacht, um die Sensibilität und Wachsamkeit auch
       in den Behörden zu erhöhen.
       
       Im Jahr 2019 wurde durch Recherchen bekannt, dass im Landkreis Görlitz auch
       einige Reichsbürger und Rechtsextreme im Besitz eines Waffenscheins sind.
       Die Behörden haben darauf nicht reagiert. Wird denn ordnungspolitisch in
       der Region etwas getan? 
       
       Zweifelsohne wird etwas getan, indem versucht wird, durch Verbote die
       Problematik in den Griff zu kriegen. Das hat auch einen Wert, wenn auch vor
       allem einen symbolischen Charakter, wenn man Strukturen zerschlagen will.
       Man kann das aber auch infrage stellen, weil trotz Verboten die Menschen
       natürlich immer noch da sind.
       
       Ordnungspolitik ist ein wichtiger Schritt im Präventionsbereich, aber
       ersetzt keinesfalls diskursive Auseinandersetzung um Rassismus und
       Antisemitismus – oder zivilgesellschaftliches Engagement und das Ringen um
       die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Nur Ordnungspolitik
       ist im Hinblick auf eine demokratische Gesellschaft zum Scheitern
       verurteilt. Demokratie lebt davon, dass Menschen sich engagieren.
       
       21 Oct 2020
       
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