# taz.de -- Kampf gegen die vierte Coronawelle: Alle in die Impfpflicht nehmen
       
       > Freiwilligkeit ist super. Doch die Befindlichkeiten von Ungeimpften
       > sollten nicht mehr über das Leben anderer Menschen gestellt werden.
       
 (IMG) Bild: Ziemlich leer: Impfzentrum Wiesbaden im vergangenen Sommer
       
       Die vierte Corona-Welle macht vielen klar: Es funktioniert nicht, Menschen,
       die sich nicht impfen lassen wollen, aus der Verantwortung zu nehmen.
       [1][Inzwischen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine
       allgemeine Impfpflicht aus]. Insbesondere bei ungeimpftem medizinischen
       Personal findet wegen der aktuellen Todesfälle in Pflegeheimen ein Umdenken
       statt. Letztlich lebt aber kaum jemand so isoliert, dass er oder sie
       garantieren kann, im Supermarkt, Bus oder Familienkreis wirklich niemanden
       anzustecken.
       
       Zuvor wurde eine Impfpflicht oft als Ultima Ratio dargestellt, die auf
       jeden Fall vermieden werden sollte. Doch ist es langsam an der Zeit
       zuzugeben, dass es sie braucht.
       
       Freiwilligkeit und Eigenverantwortung sind super, wenn auch von genug
       Menschen freiwillig Verantwortung übernommen wird. Es ist nicht abzusehen,
       dass ein relevanter Teil der Ungeimpften mit Blick auf die Realität ihre
       Meinung ändern wird. Es liegt in der Verantwortung der Regierung,
       sicherzustellen, dass die Gesundheit der Bevölkerung geschützt wird.
       Besonders aber ist es ihre Verantwortung, die unfreiwillig Ungeimpften zu
       schützen. Und das heißt eben, dass sich alle impfen lassen müssen, die
       können – insbesondere jene, die beruflich Kontakt zu ihnen haben.
       
       ## Gegen die Impfung ist ein Schaden für die Bevölkerung
       
       Die Entscheidung eines so großen Teils der Bevölkerung gegen die Impfung
       ist auch eine Entscheidung dafür, der Gesundheit von schwächeren Gruppen zu
       schaden und ihre Freiheit einzuschränken. Schulpflichtige Kinder müssen in
       die Schule gehen, Pflegeheimbewohner*innen können sich ihre
       Pfleger*innen nicht aussuchen. Tumorpatient*innen haben ebenfalls
       ein Recht auf zügige medizinische Versorgung. Menschen in prekären Jobs mit
       viel Menschenkontakt können nicht einfach kündigen. Diese Menschen haben
       auch Rechte. Und die Rechte der Schwächeren zu schützen ist ebenso Aufgabe
       des Staates.
       
       Die Konsequenz der aktuellen Versäumnisse ist, dass viele Menschen schwer
       und dauerhaft erkranken oder gar sterben. Das Motto der vergeigten
       Impfkampagne lautet gewissermaßen: Wer sich impfen will, soll es tun, und
       wer nicht, hat Pech gehabt. Jedenfalls werde alles ganz schnell wieder
       normal. Vergessen wird, dass sich Kinder und Immunschwache nicht einfach
       selbst schützen können. Selbst wer geimpft ist, stirbt im Zweifel an etwas
       anderem, wenn die Krankenhäuser durch ungeimpfte Covid-19-Patient*innen
       überlastet sind.
       
       ## Die Konsequenzen tragen andere
       
       Wenn Ungeimpfte das Risiko einer eigenen Covid-19-Infektion eingehen,
       entscheiden sie sich – wenn auch unbewusst – in der Masse unter anderem
       dafür, dass die Gesundheitsversorgung der gesamten Bevölkerung nicht mehr
       gewährleistet werden kann. Die Konsequenzen dieser Entscheidung müssen also
       auch andere Menschen tragen.
       
       Durch das vermeidbare Blockieren von medizinischem Personal wird anderen
       Menschen Gesundheitsversorgung verwehrt. In einer pandemischen Situation
       ist das etwas anderes als der gelegentliche Beinbruch einer Skifahrerin,
       den die Solidargemeinschaft gut verkraften kann, weil alle mal ein Risiko
       eingehen wollen und Fehler haben.
       
       Die Regierung hat immer wieder versprochen, dass es keine Impfpflicht geben
       wird. Auch etliche linke Kommentator*innen halten eine Impfpflicht –
       aus guten Gründen – für einen zu großen Eingriff in die Selbstbestimmung.
       Und [2][Querdenker*innen] hyperventilieren schon beim leisesten Hauch
       einer Einschränkung aufgrund des Impfstatus und reden von „Zwangsimpfung“.
       
       Dass alle für sich selbst entscheiden – noch dazu auf Grundlage von
       Fehlinformation –, funktioniert aber nicht in einer
       gesamtgesellschaftlichen Notlage wie einer Pandemie. Gerade Linke sollten
       nicht zulassen, dass sich der „Dann sollen sie halt sterben“-Diskurs
       durchsetzt. Denn weder sollte man Ungeimpfte mit Verweis auf „selbst
       schuld“ verrecken lassen – aus grundsätzlicher Solidarität, und weil
       Desinformation, Mangel an Information, Ängstlichkeit und prekäre Lage ihre
       Gründe sein können. Noch sollte zugelassen werden, dass deren Verhalten
       Gesundheit und Leben so vieler anderer Menschen bedroht.
       
       ## Pandemieeindämmung macht niemandem Spaß
       
       Grundrechte müssen oft gegeneinander abgewogen werden. In der Frage der
       Impfpflicht wird die körperliche Unversehrtheit der einen (vor dem kleinen
       Piks) aber nicht angemessen gegen die der anderen abgewogen (Tod,
       Krankheit, [3][Long Covid] und Kollateralschäden). Pandemieeindämmung macht
       niemandem Spaß, aber es ist bitter nötig. Welche Maßnahmen funktionieren,
       ist bekannt, und auch, dass sie angesichts der Tücke von Covid-19 allesamt
       nötig sind.
       
       Die Menschen müssen sich schnell und vor Ort impfen lassen können. Der
       Grund muss ihnen verständlich in ihrer Sprache erklärt werden, die Angst
       vor Spritzen muss begleitet werden – auch das führen nämlich manche
       Ungeimpfte als Beweggrund an. Menschen, die sich impfen lassen, brauchen
       Geld für Einkommensausfälle bei Impfreaktionen, damit sie aus Angst vor
       Arbeitsausfällen erst gar nicht vor der Impfung zurückschrecken. Die
       Abschaffung der kostenlosen Tests sollte rückgängig gemacht werden, denn
       auch Geimpfte können sich anstecken. Und es braucht einen ehrlichen Umgang
       damit, dass sowohl impfen als auch testen und alles andere wie Masken
       tragen nötig ist.
       
       Eine Impfpflicht kategorisch abzulehnen, scheint nicht nur unangemessen
       angesichts der desaströsen Aussicht auf den Winter, die diesen Eingriff
       rechtfertigen würde. Auch unabhängig davon wirkt das übertrieben:
       Impfpflicht heißt nicht Zwangsimpfung, sondern Zugangsbeschränkung, wo
       andere gefährdet würden. Sie ist nicht nur recht unspektakulär, sondern
       wurde bereits und wird angewandt: Ohne Masernimpfung können Kinder nicht in
       die Kita geschickt werden.
       
       Man lässt Menschen auch nicht die Wahl, ob sie lieber mit oder ohne
       Führerschein Auto fahren wollen, oder ob sie überall rauchen können.
       
       Es wäre schöner, wenn eine Impfpflicht nicht nötig wäre. Aber es kann nicht
       noch viele Wellen dauern und das Leben und auch die Freiheit von so vielen
       Menschen kosten in der Hoffnung, dass die Menschen es schon irgendwann
       einsehen werden.
       
       10 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend/deutschlandtrend-2821.html
 (DIR) [2] /Andreas-Speit-ueber-Querdenkerinnen/!5810668
 (DIR) [3] /Spaetfolgen-durch-Coronavirus/!5736414
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anna Böcker
       
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