# taz.de -- Inklusives Theater „No Limits“ in Berlin: Warum dürfen Ärzte rauchen?
       
       > Inklusives Theater macht sehr oft Spaß. Zum zehnten Mal lädt das Festival
       > „No Limits“ für Disability & Performing Arts nach Berlin ein.
       
 (IMG) Bild: Jonglieren mit Tellern wie eine vielarmige Gottheit: Das Thikwa-Ensemble in „Leap into the Unkown“
       
       Die Teller klappern leise. Ein Trampolin ist mit einem Tischtuch gedeckt
       und darauf arrangieren sieben Schauspieler:innen das weiße Porzellan
       stets neu, bauen gefährlich schwankende Türme, wirbeln und torkeln damit um
       den Tisch wie betrunkene Kellner mit gepflegtem Ungeschick.
       
       Bald lassen sie die Teller auf dem Boden kreiseln: Der Sturz, das
       Zerbrechen des Porzellans steht jeden Moment bevor. Aber das Kaputtgehen
       bleibt aus, die choreografischen Anordnungen kehren sich um in den Schutz
       des Zerbrechlichen. Leise werden schlafende Körper mit Tellern belegt,
       Hände und Haare auf Tellern geordnet.
       
       „Leap, into the unknown“ ist eine Konzert-Performance des
       [1][Thikwa-Theaters] und ein berührendes Spiel mit dem Zarten und der
       Zerbrechlichkeit. Träume und Ängste werden erzählt, – Angst vor Spinnen,
       vor dem Tod der Eltern, vor den Blicken der anderen -, und aufgefangen in
       den Bildern und gemeinsamen Aktionen.
       
       Scherben kratzen in der Musik mit, andere Schauspieler beatboxen, eine Band
       entsteht. Das Trampolin kommt später tatsächlich in Sprüngen zum Einsatz,
       jede und jeder steigt in die Höhe, fliegt einen Augenblick. Bilder vom
       Zirkus liegen ganz nah in dem Stück, das die Choreografin Camilla Milena
       Fehér mit den Performern des Thikwa Theaters erarbeitet hat.
       
       ## Barrieren werden erkannt, um Abbau bemüht
       
       Das Thikwa Theater in Kreuzberg und das [2][Ramba Zamba in der
       Kulturbrauerei] arbeiten in Berlin seit vielen Jahren mit Darstellern mit
       den unterschiedlichsten Behinderungen. Beide Theater zeigen eigene Stücke
       und sind Gastgeber für weitere Gruppen auf dem [3][Disabilty & Performing
       Arts Festival No Limits,] das noch bis zum 19. November zum zehnten Mal in
       Berlin stattfindet. Auch das Hebbel Theater und das Ballhaus Ost sind mit
       dabei.
       
       Seit 2005, als Andreas Meder, der Leiter des Festivals, „No Limits“ das
       erste Mal in der Kulturbrauerei bei Ramba Zamba und in der Volksbühne
       organisierte, hat sich einiges geändert. Einerseits waren damals die Räume
       in der Kulturbrauerei noch günstiger zu mieten und die eingeladenen Gruppen
       konnten mehrere Tage zu Workshops bleiben, dafür fehlt jetzt das Geld,
       erzählt Antje Grabenhorst, die seit Anfang an die Öffentlichkeitsarbeit für
       No Limits macht.
       
       Andererseits sind die Grenzen zwischen den Theaterformen fließender
       geworden und das Bewusstsein für die Behinderung der „behindert“ genannten
       ist gewachsen. Performer vom Thikwa und Ramba Zamba spielen etwa auch am
       Berliner Ensemble oder im Deutschen Theater mit, Häuser wie das HAU
       arbeiten mehr an der Barriere-Freiheit für Zuschauer:innen und
       Künstler:innen. Und dieses Jahr wurde das australische [4][“Back to Back
       Theatre“], das in Berlin unter anderem 2011 bei No Limits zu Gast war, mit
       dem Ibsen Award ausgezeichnet.
       
       Oft zu Gast in Berlin ist das [5][Theater Hora aus Zürich], das am Dienstag
       und Mittwoch (16. und 17. November) im Ballhaus Ost zusammen mit dem
       Theaterkollektiv vorschlag:hammer das lustige Stück „Das kranke Haus“
       zeigen wird. Mit Witz und Leidenschaft zelebrieren die Darsteller:innen
       Szenen aus Arzt-TV-Serien, die mit rührseliger Musik unterlegt von schweren
       Entscheidungen, von Abschieden und viel von Liebe erzählen.
       
       Die gelungen Parodien der Hora-Spieler, über die sie sich selbst
       gelegentlich vor Lachen ausschütten, stoßen auf sachliche Erzählungen und
       Erfahrungen aus Krankenhäusern. Vom Stress der Ärzte, von den müden
       Pflegern und den müden Farben an den Wänden ist die Erinnerung an das reale
       kranke Haus geprägt.
       
       ## Gute Fragen stellen
       
       Fragen werden gestellt: Warum dürfen Patienten nicht rauchen? Warum dürfen
       Ärtze rauchen? Warum laden Ärzte die Pfleger nicht ein? Die Pfleger laden
       aber schon die Ärzte ein. So entsteht ein Bild von den wunden Punkten in
       den Alltagshierarchien des Krankenhauses.
       
       Zum Ensemble des Hora gehört die Schauspielerin [6][Julia Häusermann], die
       mit der Berliner Choreografin Simone Aughterlony und der Performerin Nele
       Jahnke „No Gambling“ entwickelt hat, das zur Eröffnung von No Limits am
       letzten Mittwoch im HAU lief. Thibault Vancraenenbroeck hat für die Bühne
       ein Mobile gebaut aus Leitern, Federn, einem Fisch und Neonlicht, das
       unablässig kreisend der Performance eine nimmermüde Unruhe vorgab, ein
       ständiges Umarrangieren der Requisiten, von Kisten und Stoffbahnen, von
       Warnleuchten und Möbeln: Als ob die Arbeit nie ein Ende nähme.
       
       Und mittendrin schlägt Julia Häusermann einen Tisch auf, um mit Würfeln in
       die Zukunft der Zuschauerinnen zu schauen – meistens erschreckend –, sich
       auf einem Laufsteg zu präsentieren oder verführerisch wie in einer
       Striptease-Show zu tanzen.
       
       So wird „No Gambling“ zu einem Stück über das Spielen selbst, über die Lust
       an der Selbstermächtigung, die Attraktivität der Verwandlung und den
       Möglichkeitsraum des Als-ob.
       
       16 Nov 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] /Ibsen-Award-fuer-das-Back-to-Back-Theatre/!5882961
 (DIR) [5] /Inklusives-Musiktheater/!5587997
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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