# taz.de -- Künstlerin über Mobiliar als Träger von Politik: „Sie zerstörten ihr eigenes Haus“ > Ob beim Sturm auf das Kapitol oder das Parlament in Brasília: Möbel > können Demokratiegegnern als Waffe und Trophäe dienen, sagt Henrike > Naumann. (IMG) Bild: Als die Bolsonaro-Anhänger*innen ins brasilianische Parlament eindrangen, wurden alle Stühle umgefegt wochentaz: Frau Naumann, zwei Jahre nach dem Sturm auf das Kapitol von Trump-Anhängern zeigen Sie im New Yorker Sculpture Center Ihre Installation „Re-Education“, in der Sie die Ereignisse vom 6. Januar 2021 künstlerisch zu fassen versuchen. Ihr Interesse gilt den Möbeln, warum? Henrike Naumann: Dieser Sturm war ja nicht nur für einen tatsächlichen Umsturz gemacht, sondern auch, um bestimmte Bilder zu produzieren. Die Möbel im Kapitol haben am 6. Januar 2021 eine wichtige Rolle gespielt für die Bildproduktion. Sie waren Waffen, um einzubrechen, um zu zerstören. Sie waren auch Schutzschilde für die Abgeordneten. Die Leute haben sich in den Büros verbarrikadiert und hinter den Möbeln ihr Leben gerettet. Und sie waren auch Trophäen, etwa als einer der Eindringlinge seine Stiefel auf den Schreibtisch von Nancy Pelosi legte. Die Möbel sind ein gutes Element, um über etwas zu sprechen, das schwer zu fassen und auch schwer darzustellen ist. Was sind das für Möbel? Klassizistische Schränke und Tische aus dunklem rötlichen Holz des federal style. Ein Stil, der sich direkt aus der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeit ableitet und auftaucht, wenn es um die Repräsentation der US-Demokratie geht. Solche Möbel für die Bundesgebäude werden in den USA übrigens häufig von Gefängnisinsassen hergestellt. Die Forschungs- und Museumseinrichtung Smithsonian hat sofort die Artefakte von den Vorgängen am 6. Januar gesammelt. Auch die Möbel? Das Smithsonian hat die Plakate der Erstürmer sichergestellt, die zerstörten Kunstwerke wurden restauriert. Aber die Möbel haben so eine Zwischenfunktion. Die sind nicht Architektur, nicht Kunstwerk und wurden nicht auf die gleiche Weise archiviert. Beim Smithsonian konnte mir bei der Suche nach den zerstörten Möbeln keiner helfen. Vermutlich wurden sie entsorgt. Sie bauen für Ihre acht Meter hohe Installation das Kapitol nach, aber aus privaten Möbeln. Warum? [1][Möbel sind für mich Träger von Politik im Privaten]. Über alle möglichen Stellen habe ich in New York Möbel von Privatpersonen gesammelt und dabei nach dieser bestimmten Ästhetik des federal style gesucht. Ich wollte nicht die historischen Artefakte aus dem Kapitol aufbauen, sondern sagen: „Hey, der Staat, das seid ihr!“ Ich habe versucht, [2][eine Metapher für die amerikanische Demokratie] zu finden – stabil, traditionell, aber sie kann auch zum Einsturz gebracht werden, wenn man die Normen und Prozesse untergräbt, mit denen sie verbunden ist. Am 8. Januar 2023 stürmten Bolsonaro-Anhänger den Kongress, den Regierungssitz und den Obersten Gerichtshof in Brasília. Auch da wurden Möbel zerstört. Aber die eines modernen Designs, etwa die schlichten Holzstühle vom Holocaust-Überlebenden Jorge Zalszupin. Was sagt Ihnen das? Diese [3][Möbel repräsentieren] eine ganz andere, viel jüngere Demokratiegeschichte – und eine sehr umkämpfte. Es gibt Bilder vom Militärputsch 1964, da stehen Panzer vor Oscar Niemeyers Gebäuden in Brasília, nicht zum Schutz, sondern zum Sturz der Demokratie. Am 8. Januar wurde der Schreibtisch von Juscelino Kubitschek zerstört, dem brasilianischen Staatspräsidenten, auf den auch die Gründung von Brasília als Hauptstadt zurückgeht. Er wurde als Barrikade genutzt und zerschlagen. Ähnlich wie beim Kapitol sind die Artefakte der Erstürmung in Brasília, die zerstörten Vasen oder Kunstwerke, aber sehr gut dokumentiert. Architekt Oscar Niemeyer entwarf Brasília am Reißbrett mit einer freiheitlichen, großgestischen, modernen Architektur für eine junge Demokratie. Lässt sie sich – zumindest, was die Bilder angeht – überhaupt so erstürmen wie das Kapitol? Dieses Eindringen, dass das Volk sich auf gewaltvolle Weise Zugang zu einem Symbol der Demokratie verschafft, wie es das Kapitol repräsentiert, [4][das funktioniert in Brasília nicht auf die gleiche Weise. Oscar Niemeyers] Gebäude wollen das Volk ja willkommen heißen. Die Architektur ist durchlässig, sieht so aus, als könne da jeder reinspazieren. Architektonisch zumindest ist es nicht abwegig, dass die Leute dahin kommen und ihre Meinung kundtun. Ich habe beim Anblick der Bilder aus Brasília verstanden, wie krass umkämpft die Demokratie in dem Land wohl immer noch ist. Ich hatte das Gefühl, die Leute zerstörten ihr eigenes Haus. 14 Jan 2023 ## LINKS (DIR) [1] /Gutes-Design-und-Wohnungen-fuer-alle/!5891842 (DIR) [2] /Kunstausstellung-in-Chemnitz/!5702892 (DIR) [3] /Ausstellung-im-Kunsthaus-Dahlem/!5794790 (DIR) [4] /Brasilien-nach-Bolsonaro/!5903636 ## AUTOREN (DIR) Sophie Jung ## TAGS (DIR) Kunst (DIR) New York (DIR) Ausstellung (DIR) Neue Rechte (DIR) Donald Trump (DIR) Jair Bolsonaro (DIR) Architektur (DIR) Innenarchitektur (DIR) Demokratie (DIR) Knapp überm Boulevard (DIR) Schauspielhaus Hamburg (DIR) Joe Biden (DIR) wochentaz (DIR) Brasilien (DIR) Wien (DIR) Kunst ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Sturm auf die Parlamente: Angriff der Gegendemokratie Parlamente in den USA, Deutschland und Brasilien wurden angegriffen. Was bedeutet es, wenn eine ursprünglich demokratische Geste ins Gegenteil verkehrt wird? Die Gegendemokratie hat sich verändert. (DIR) Weltuntergang am Schauspielhaus Hamburg: Mensch, mach mal Pause In „Der lange Schlaf“ soll sich die Natur ihren Lebensraum zurückerobern. Regisseur Philipp Stölzl inszeniert diese Dystopie Finnegan Kruckemeyers. (DIR) Durchsuchung im Haus des US-Präsidenten: FBI beschlagnahmt weitere Akten Erneut werden bei US-Präsident Joe Biden geheime Akten aus seiner Zeit als Senator und Vizepräsident gefunden. Die Justiz ermittelt weiter. (DIR) Die Künstlerin Leiko Ikemura in Berlin: Zerbrechlich wie Eierschalen Etwas Beschützendes und Unheimliches liegt in vielen Skulpturen von Leiko Ikemura. Ihre hybriden Wesen bewohnen jetzt das Kolbe Museum in Berlin. (DIR) Sturm auf Kongress in Brasilien: Chaos in Brasília Anhänger*innen von Bolsonaro haben Regierungsgebäude und den Obersten Gerichtshof verwüstet. Der Ex-Präsident äußerte sich auf Twitter. (DIR) Gutes Design und Wohnungen für alle: Wer hat's erfunden? Was nach skandinavischer Gestaltung ausschaut, stammt oft aus Wien. Caroline Wohlgemuth über Österreichs vergessene Avantgarde. (DIR) Ausstellung im Kunsthaus Dahlem: Selbstüberhöhung mit Barbarossa Welche ideologischen Spuren stecken in Möbelhinterlassenschaften? Die Ausstellung „Einstürzende Reichsbauten“ begibt sich auf Spurensuche.