# taz.de -- Ausstellung im Jüdischen Museum: Wimmelbild mit schwarzen Schatten
       
       > Viele Künstler aus Osteuropa und jüdischer Herkunft kamen nach Paris. Dem
       > widmet sich das Jüdische Museum mit „Paris Magnetique 1905–1940“.
       
 (IMG) Bild: Marevnas Bild „La mort et la femme“ von 1917 kommt aus dem Petit Palais in Genf (Ausschnitt)
       
       Schaurig ist diese Szene: Eine Frau mit Gasmaske und ein Offizier, der mehr
       tot als lebendig ist, sitzen gemeinsam am Tisch. Seine Prothese und ihr
       bedecktes Gesicht lassen an den Ersten Weltkrieg denken. Eingebettet in
       überwiegend kühle Farben erzeugen die kantigen Formen des kubistischen
       Gemäldes eine bedrohliche Atmosphäre in dem Bild „La femme et la mort“ von
       1917. Gemalt hat es die eher unbekannte Marevna (Marija Worobjowa). Das
       Bild ist neben Werken von bekannten Künstler:innen wie Sonia Delaunay,
       Marc Chagall und Modigliani aktuell in der [1][Ausstellung „Paris
       Magnetique 1905–1940“] im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.
       
       Die vielfältigen Arbeiten aus der Zeit der französischen Avantgarde legen
       hierbei das Augenmerk vor allem auf unbekanntere Persönlichkeiten wie Jules
       Pascin und Chana Orloff. Darüber hinaus liegt der Fokus auf den Werken
       jüdischer Maler:innen, damals oft marginalisiert, die jedoch maßgeblich die
       klassische Moderne mitprägten.
       
       Ausgestellt sind zahlreiche Gemälde und Zeichnungen, raumgreifende
       Skulpturen und grafische Werke der 33 Künstler und Künstlerinnen, die
       ursprünglich aus Ost- und Mitteleuropa kamen. Ihre Kunst repräsentiert
       einen großen Teil der französischen Avantgarde.
       
       Die 120 Werke werden der Ära der „Pariser Schule“ („École de Paris“)
       zugerechnet. Entgegen der Assoziation einer Kunstschule beschreibt der
       Ausdruck der „École de Paris“ eine Epoche des Kosmopolitismus in der Kunst.
       Die École verkörperte eine weltoffene Haltung, weit entfernt von einem
       Denken in nationalistischen Grenzen.
       
       Die Bezeichnung kam 1925 von dem kritischen Journalisten André Warnod, der
       sich öffentlich gegen die Privilegierung der französischen Kunstszene
       positionierte. Er beschrieb die jüdischen und nichtjüdischen
       Künstler:innen, die aus aller Welt nach Paris kamen, als Bereicherung für
       die Stadt. Gemeinsam ergaben sie die Pariser Schule.
       
       ## Bis zum Panthéon geht der Blick
       
       Der Begriff machte sich einen weltweiten Namen und zog wie ein Magnet
       weitere Maler und Malerinnen nach Paris – die Bezeichnung „Paris
       Magnétique“ entstand.
       
       1903 war der expressionistische Maler Rudolf Levy als einer der Ersten aus
       Deutschland in Paris angekommen. Sein Bild „Blick auf den Pont Marie“ von
       1910, das den Auftakt macht im ersten Kapitel der Ausstellung „Destination
       Paris“, feiert die Stadt in einer typischen Ansicht. Vorn weht eine
       französische Flagge, dahinter spannen sich die steinernen Bögen einer
       Brücke über die Szene, bis zum Panthéon im Hintergrund geht der Blick.
       
       An Orten wie dem Café du Dôme trafen Maler und Malerinnen wie Rudolf Levy
       und Sonia Terk (aus der Ukraine, später Sonia Delaunay) aufeinander. Es war
       das „brodelnde Leben“, das die Künstlerin, wie sie schrieb, anzog. Drei
       Jahre später entstand ihr expressionistisches Porträt „Philomène“ mit
       intensiven Farben in der Metropole.
       
       Zu sehen ist eine Frau mit hochgesteckten dunklen Haaren. Ihre Nase und
       Wangen sind rot, beinah so wie das Oberteil, das sie trägt. Der Hintergrund
       mit seinen Blumenornamenten erinnert an einen Textildruck oder eine
       gemusterte Tapete.
       
       Auch Béla Czóbel zog es in die Großstadt, um zu malen. Der ungarische
       Künstler mit jüdischer Abstammung ist aktuell auch in der Ausstellung
       „Magyar Modern“ in der Berlinischen Galerie zu sehen, in der es um die
       ungarische Avantgarde und ihre Verbindung zur Metropole Berlin geht.
       
       Czóbel gehörte zu der ungarischen Avantgardekünstlergruppe „die Acht“ und
       brachte seine Erfahrungen und Prägungen später von Paris mit nach Budapest.
       
       ## Die Sehnsucht nach Bohème
       
       Der Input der Ausstellung „Paris Magnetique 1905–1940“ auf 800
       Quadratmetern ist umfangreich. Da kommt ein Raum gerade recht, in dem sich
       die Besucher:innen an einen Tisch setzen können. Blätter und Stifte
       ermöglichen, selbst zu zeichnen und jemanden aus der unmittelbaren Umgebung
       zu porträtieren. Auf einer der umliegenden Wände sind in einer großen
       Grafik die verschiedenen Treffpunkte, Orte und Anlässe markiert, an denen
       sich die Künstler:innen versammelten und austauschten.
       
       Dabei handelte es sich um bekannte Künstlerorganisationen und Ausstellungen
       wie den Salon d’Automne, den Salon des Indépendants oder La Ruche.
       Besonders im La Ruche (der Bienenstock) kamen viele Künstler:innen
       zusammen. Der Bienenstock war eine Künstlerkolonie in Montparnasse, 1902
       von dem Bildhauer Alfred Boucher gegründet, mit 140 Ateliers.
       
       Die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen waren geprägt von Lebenshunger,
       Leidenschaft und der Sehnsucht nach Bohème.
       
       Die damalige Stimmung zeichnet sich unter anderem auch in der Arbeit
       „Persönlichkeiten“, von Jules Pascin um 1928 gemalt, ab: in dem Wimmelbild,
       das mit Feder, Buntstift und Aquarell gezeichnet ist, sind Menschen beim
       Musizieren, bei der Kleiderprobe, sitzend und liegend zu sehen. Der
       abgebildete Trubel lässt die lebendige Stimmung erahnen.
       
       Die [2][Zeit der Pariser Schule] wurde durch den Einmarsch der Deutschen in
       Paris brutal beendet. Auch visuell ist der drastische Umbruch in den
       letzten Kapiteln zu erkennen: Otto Freundlich, ein Pionier der Abstraktion,
       verfolgte eine eigene Farbenlehre. 1938 entstand seine Arbeit „Hommage an
       die Völker aller Farben“, die er als eine Botschaft gegen Faschismus und
       Rassismus verstand.
       
       In dem Mosaik reiht sich in unterschiedlichen Farben Stein an Stein. Farben
       und Strukturen erinnern an bunte Kirchenfenster. Die kleinen kantigen und
       voneinander abweichenden Steine lassen in ihrem Gesamtgefüge die groben
       Umrisse menschlicher Körper erkennen.
       
       Die abwechslungsreiche Ausstellung, die nicht zuletzt von politischen
       Hintergründen und persönlichen Verbindungen unter den Künstler:innen
       erzählt, war bereits 2021 im Musée d’art et d’histoire du Judaïsme in Paris
       zu sehen. In Berlin eröffnete sie am Gedenktag des Holocaust und ruft die
       Schicksale der jüdischen Künstler und Künstlerinnen in Erinnerung.
       
       Otto Freundlich kam im Konzentrationslager im deutsch besetzten Polen mit
       65 Jahren ums Leben. [3][Rudolf Levy wurde 1943] von Gestapo-Leuten in
       Italien verhaftet und starb vermutlich beim Transport nach Auschwitz. Seine
       Arbeiten wurden ebenso wie die von Jules Pascin, der sich 1930 umgebracht
       hatte, von den Nationalsozialisten als entartet diffamiert und aus
       öffentlichen Sammlungen entfernt.
       
       1 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.jmberlin.de/
 (DIR) [2] /Konzertempfehlungen-fuer-Berlin/!5908027
 (DIR) [3] /Naziverstrickungen-der-fruehen-documenta/!5777263
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paula Marie Kehl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jüdisches Museum Berlin
 (DIR) Judentum
 (DIR) Osteuropa
 (DIR) Künstlerin
 (DIR) Paris
 (DIR) Moderne
 (DIR) Avantgarde
 (DIR) Kunst
 (DIR) Malerei
 (DIR) Retrospektive
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Schau über Anfänge der modernen Malerei: Von der Lupe zum Wow
       
       Eine Kölner Ausstellung über den Salon de Paris präsentiert die Erzählung
       vom Urknall der Moderne in der Kunst. Das ist eine widersprüchliche
       Angelegenheit.
       
 (DIR) Biografie einer Pariser Bohemienne: Königin des Undergrounds
       
       Mark Braudes Porträt über Kiki de Montparnasse nimmt mit an eine Brutstätte
       zeitgenössischer Künste. Es zeigt, wie Kiki diese geprägt hat.
       
 (DIR) Monografie „Viewshed“ über Larissa Fassler: Die soziale Maschine erfassen
       
       Die Künstlerin Larissa Fassler entwirft ausufernde Modelle von urbanen
       Konfliktzonen. Die Monografie „Viewshed“ gibt einen Überblick.
       
 (DIR) Ausstellung „Maler des Heiligen Herzens“: Die Gruppe, die es nie gab
       
       Eine missglückte Ausstellungen lohnt den Besuch: Das Modersohn-Becker
       Museum zeigt visionäre Gemälde der Séraphine Louis. Allerdings unter
       anderem.
       
 (DIR) Ausstellung von Etel Adnan in München: Gemalte Gedichte, sanftes Pastell
       
       Sie war nie ganz greifbar. Eine Retrospektive in München widmet sich der
       Malerei und Lyrik von Etel Adnan, die spät als Künstlerin entdeckt wurde.