# taz.de -- Flüchtende an der Grenze zu Libyen: Tunesien deportiert Migranten
       
       > 1.200 Menschen harren in einer militärischen Sperrzone aus. Tunesiens
       > Präsident Saied weist Kritik zurück. Hilfsorganisationen sind alarmiert.
       
 (IMG) Bild: Diese Menschen brauchen dringend Hilfe, warnen Hilfsorganisationen
       
       SFAX taz | In einer militärischen Sperrzone zwischen der tunesischen und
       libyschen Grenze warten mehr als 1.200 Migranten seit Tagen verzweifelt auf
       Hilfe. Sie waren während der aktuellen Welle von Übergriffen in der
       tunesischen Hafenstadt Sfax aus ihren Wohnungen vertrieben worden. In
       Gruppen von bis zu 50 Angreifern waren tunesische Jugendliche durch die
       Straßen der Stadt gezogen. Sie nahmen den aus West- und Zentralafrika
       kommenden Menschen Telefone, Geld und Dokumente ab.
       
       Seit letztem Mittwoch werden die Migranten in Bussen an die libysche
       sowie an die algerische Grenze gefahren. Nach Angaben des aus Sfax
       stammenden Parlamentsabgeordneten Moez Barkallah schicken die Behörden
       täglich mehrere Gruppen in das Niemandsland an der libyschen Grenze beim
       Grenzübergang Ras Jadir.
       
       Viele der nach Sfax gekommenen Menschen waren zuvor aus Libyen geflohen
       oder von Schleppern aus Algerien in den tunesischen Grenzort Kasserine
       gebracht worden. Mit dem Transport der Migranten imitiert Tunesien nun
       die von den EU-Innenministern aktuell angestrebte europäische Asylpolitik:
       Zukünftig soll es demnach möglich sein, abgelehnte Asylbewerber aus einem
       EU-Mitgliedsstaat in das Land zu schicken, aus dem sie eingereist waren,
       auch wenn sie nicht von dort stammen.
       
       Das Vorgehen Tunesiens, die Menschen in der Wüste auszusetzen, hat offenbar
       schon zum Tod mehrerer Menschen geführt. Migranten in Tunesien stehen mit
       der täglich größer werdenden Gruppe an der Grenze zu Libyen in Kontakt. Sie
       berichteten von mindestens acht Todesfällen aufgrund von Dehydrierung und
       Schwäche. Einem Reporter von Al Jazeera gelang es, in das Sperrgebiet zu
       gelangen und mit den Gestrandeten zu sprechen. Bis auf die libyschen
       Grenzbeamten hätte ihnen niemand Wasser oder Lebensmittel gebracht,
       berichtet der Reporter Malik Traina.
       
       Temperaturen über 40 Grad 
       
       Die Gruppe harrt am Strand aus und wird von tunesischen und libyschen
       Beamten an der Weiterreise in die libysche Hauptstadt Tripolis oder der
       Rückkehr nach Sfax gehindert. Libysche Grenzbeamte berichteten der taz von
       heftigem Streit mit den tunesischen Kollegen. Man beherberge mehrere
       Hunderttausend Migranten und sei bisher nie auf die Idee gekommen, diese
       ohne Vorankündigung nach Tunesien zu schicken.
       
       Der Reporter Traina und Migranten, die mit der Gruppe in Kontakt stehen,
       appellieren an Hilfsorganisationen, der Gruppe so schnell wie möglich Hilfe
       zukommen zu lassen. Derzeit herrschen in dem Gebiet Temperaturen von über
       40 Grad Celsius. Human Rights Watch forderte Tunesien auf, „dringend
       humanitären Zugang“ zu den Betroffenen zu ermöglichen, die „wenig Nahrung
       und keine medizinische Hilfe“ hätten.
       
       Tunesiens Präsident Kais Saied wies Kritik am Samstagabend zurück. „Diese
       Migranten werden menschlich behandelt, ausgehend von unseren Werten und
       Charakterzügen“, sagte Saied. Dieses Verhalten stünde im Gegensatz „zu dem,
       was koloniale Kreise und ihre Agenten verbreiten“. Mit Blick auf die
       Migranten sagte er: „Tunesien ist keine möblierte Wohnung zum Verkauf oder
       zur Miete.“
       
       Bislang völlig unklar ist, warum die tunesischen Behörden die Menschen ohne
       Absprache mit Hilfsorganisationen deportieren. In Sfax trauen sich nach dem
       Abflauen der jüngsten [1][Welle der Gewalt gegen Migranten] einige nun
       wieder auf die Straße. Am Freitag forderten mehrere Hundert Menschen mit
       selbst gemalten Plakaten, ein Ende der Übergriffe und in ihre Heimat
       ausgeflogen zu werden.
       
       Hassan Gierdo aus Guinea zeigt auf eine offene Wunde an seinem
       Unterschenkel. „Jemand hat mit einem Knüppel auf mich eingeschlagen, als
       ich bereits zusammen mit einem Dutzend anderer zusammengetriebener Menschen
       auf dem Boden lag. Ich habe kein Geld für einen Arzt und öffentliche
       Krankenhäuser behandeln uns nicht“, sagt der 24-Jährige. „Man will es uns
       unmöglich machen, in Tunesien zu bleiben, auch wenn das unser Leben in
       Gefahr bringt“, glaubt Gierdo.
       
       9 Jul 2023
       
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