# taz.de -- Horror im Stadtpark in Hamburg-Harburg: „Lovecraft hatte unerklärliche Angst“
       
       > Das Zwei-Leute-Privattheater „Antikyno“ performt Open-Air die
       > Horror-Komödie „Dagon“ und macht einen Spaziergang durch Harburg.
       
 (IMG) Bild: H.P. Lovecraft in Brooklyn 1922. Ein Jahr später wurde die Erzählung „Dagon“ zum ersten Mal gedruckt
       
       taz: Lars Henriks, wie modern ist [1][Horrorautor H. P. Lovecraft]
       (1890–1937)? 
       
       Lars Henriks: Da kommt es ein bisschen darauf an, wie wir Moderne
       definieren, das hat viel zu tun mit der Aufklärung: mit der Ablösung
       traditioneller, religiöser Werte durch eher wissenschaftliche. Das
       Weltbild, das Lovecraft aufbaut, dieser ganze „Kosmizismus“, englisch
       „cosmicism“, [2][die Idee von der Bedeutungslosigkeit des Menschen] im
       Universum: Das ist ja eine fast perfekte Metapher für das ideologische
       Vakuum, das auch Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“
       beschreiben. Also für dieses Gefühl: Nicht nur unser Wertesystem, sondern
       auch, wie wir uns den Kosmos und das Leben und den Sinn des Lebens erklärt
       haben – das fällt jetzt alles weg. Was machen wir damit? Das ist eine der
       Grundfragen Lovecrafts. Und er kommt mit super unangenehmen Antworten um
       die Ecke. Ich meine ja, er war seiner Zeit weit voraus: Da stecken Ideen in
       seinen Texten, Sachen, die teilweise jetzt erst so richtig relevant werden.
       
       Woran denken Sie da genau? 
       
       Das ist jetzt nichts, das jetzt gerade erst relevant wird, aber es ist mir
       neulich aufgefallen: Wir machen dieser Tage ja auch einen
       Lovecraft-Spaziergang, bei dem wir Texte als Monologe vortragen. Da gibt
       es einen, der heißt „Nyarlathotep“. Lovecraft hatte ja vor vielen Sachen
       unerklärliche Angst, unter anderem auch vor Nikola Tesla.
       
       Dem Konkurrenten Thomas Edisons. 
       
       Und das hat ihn eben inspiriert zu diesem Text: Darin geht es um eine
       göttliche Figur, die in Menschengestalt erscheint, als Anführer, und für
       Chaos sorgt. Die ihm willens folgenden Menschen führt er in die Finsternis.
       Da steht am Ende ein Satz: „… durch dieses widerwärtige Grab des Universums
       dröhnen das gedämpfte, in den Wahnsinn treibende Schlagen von Trommeln und
       das dünne, monotone Wimmern blasphemischer Flöten aus unfassbaren,
       unerleuchteten Kammern jenseits der Zeit“, dazu „tanzen langsam, unbeholfen
       und grotesk die gigantischen, düsteren, allerletzten Götter“, und ich denke
       immer: Wäre er nicht 1920 veröffentlicht worden, dann wäre das ein Text
       über Auschwitz.
       
       Angesichts dessen, was er über andere „Rassen“ und Fremde so gesagt und
       geschrieben hat: Möchte man wirklich wissen, was Lovecraft zu Auschwitz
       eingefallen wäre? 
       
       Heute ist Lovecraft – paradoxerweise, nimmt man seine Ansichten – gerade
       bei Progressiven, [3][auch bei LGBT-Leuten] wahnsinnig beliebt. Ja, er war
       ziemlich schlimm, sogar für seine Zeit – aber nicht unbedingt schlimmer als
       Bram Stoker. Der hat ein widerwärtiges Buch geschrieben, „The Lair of the
       White Worm“. Aber bei Lovecraft fällt uns das Abzulehnende mehr auf. Er
       hatte wohl sein Leben lang das Gefühl, in jeder Hinsicht ein Außenseiter zu
       sein, und ist, glaube ich, aus seinem Kopf nicht richtig rausgekommen. Und
       das ist, was so viele Leute heute anspricht. Und das sind eben so Sachen,
       die ich in immer wieder in diesen Texten finde.
       
       Es gab und gibt Versuche, Lovecraft zu adaptieren, zu verfilmen – mit sehr
       unterschiedlich gelungenen Ergebnissen. Bieten seine Texte sich an für die
       Bühne? 
       
       Aus meiner Sicht tun sie das. Was Lovecraft liefert, sind fantastische
       Ideen, Welten. Was er nicht liefert: Charaktere und Plot. Ich wiederum
       erfinde gerne Charaktere und strukturiere auch ganz gern Plot. Wir sind da
       aber super textfern. Ich meine „Dagon“, da ist die Vorlage eine Seite lang,
       und ich habe da sogar noch Elemente rausgenommen. Was ich drin gelassen
       habe, ist die Idee von einer Insel, die plötzlich irgendwo im Pazifik
       auftaucht, uralt ist und die Spuren einer längst vergangenen Zivilisation
       trägt. Das ist doch sehr inspirierend – mir kann niemand erzählen, dass
       Damon Lindelof und J. J. Abrams sich darauf nicht bezogen haben, als sie
       die Serie „Lost“ konzipiert haben.
       
       24 Jul 2023
       
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 (DIR) [2] https://de.wikipedia.org/wiki/H._P._Lovecraft#Cosmicism_und_Weltbild
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